Krise bei Opel: Die Zeit der Riesen

Nr. 20 –

Was will Fiat, was will Magna? Warum sind die Betriebsräte eindeutig für einen Gewerkschaftsfeind? Bei der Opel-Rettung werden zwei Dramen aufgeführt, eines auf der Bühne und eines dahinter.


Die Reaktionen von Regierungen, Konzernen und Wirtschaftsverbänden auf die Weltwirtschaftskrise haben weltweit einen gemeinsamen Nenner: Es geht nicht um Krisenbekämpfung, und schon gar nicht um die Bekämpfung ihrer sozialen Folgen. Es geht um die neue Schlachtordnung im Konkurrenzkampf nach der Krise.

Das verdeutlichen die gigantischen Summen, die in den Finanzsektor gesteckt werden und damit vor allem einen Prozess der Konzentration und Stärkung des - privaten - Bankenkapitals bewirken. Das verdeutlichen auch die Vorgänge bei den Airlines, wo Lufthansa nach der Integration von Swiss die österreichische Fluglinie AUA übernimmt - gesponsert mit 500 Millionen Euro durch die Regierung in Wien. Und schliesslich verdeutlicht das die Krise der weltweiten Autoindustrie: In den USA soll es zu einer kompletten Neugruppierung kommen - auch hier mit Hunderten Milliarden US-Dollar Staatshilfe kofinanziert. In China sollen rund ein Dutzend mittelgrosse Autohersteller fusionieren und der Start eines grossen nationalen Fahrzeugbauers für die westlichen Weltmärkte beschleunigt werden. In Indien rüstet Tata Motors - nach der Übernahme von Jaguar und Range Rover - mit dem Klein- und Billigmodell Nana zur weltweiten Volksmotorisierung. In Deutschland bilden Porsche und Volkswagen (VW) einen neuen, fusionierten Konzern.

Einigermassen windig

Und dann gibt es da das Drama um Opel beziehungsweise um General Motors Europe, also um den Verbund von Opel (Deutschland), Saab (Schweden) und Vauxhall (Britannien) mit einer Konzernzentrale in Glattbrugg. Es handelt sich um ein Drama, vor allem hinsichtlich der zynischen Art, wie einige Zehntausend Arbeitsplätze bewusst aufs Spiel gesetzt werden, um dem Ziel einer Neuaufstellung der deutschen Autoindustrie zu dienen. Ein Drama auch insofern, als dabei zwei europäische Grossprojekte - dasjenige des führenden italienischen Industriekonzerns Fiat und dasjenige des führenden deutschen Autoherstellers VW-Porsche - aufeinanderprallen.

Auf der Bühne wird das Stück gegeben: Wer verteidigt Opel und die damit zusammenhängenden Arbeitsplätze in Rüsselsheim, Bochum, Eisenach und Kaiserslautern am besten? Laut Drehbuch gibt es zwei Grundkonzepte: Dasjenige von Fiat, nachdem der italienische Autobauer, der bereits eine Option zur Übernahme des insolventen US-Autobauers Chrysler hat, mit Opel zusammengehen würde. Und dasjenige des kanadisch-österreichischen Autozulieferers Magna im Verbund mit dem russischen Autohersteller Gaz und der russischen Sberbank. Weil die Magna-Lösung einigermassen windig erscheint, soll Opel Fall zunächst aus dem US-Konzern General Motors (GM) herausgelöst und als Zwischenlösung durch eine Treuhandgesellschaft übernommen werden, bis ein «späterer Investor» gefunden sei.

Die Opel-Arbeitervertreter, allen voran der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Klaus Franz, aber auch die SPD und die drei wichtigen Landesregierungen mit Opel-Standorten in Hessen (CDU Ministerpräsident Roland Koch), Rheinland-Pfalz (SPD-Ministerpräsident Kurt Beck) und Thüringen (CDU-Ministerpräsident Dieter Althaus) favorisieren die Magna-Lösung. Dabei wird Magna-Chef Frank Stronach gern als erfolgreicher österreichischer Unternehmer porträtiert. Dass Magna in erster Linie ein nordamerikanisches, weitgehend vom US-Automarkt abhängiges Unternehmen ist, wird kaum debattiert. Und wer genau die russischen Bündnispartner von Magna sind, ist nur am Rande ein Thema.

Einig aber sind sich in Deutschland alle: Das Angebot von Fiat sei unseriös und abzulehnen. Opel als Anhängsel eines italienischen Konzerns? Mit einem flippigen Boss Sergio Marchionne, der mit einem Maserati vor dem Berliner Wirtschaftsministerium vorfährt und dessen Zottelhaarlook vielleicht zu einer Mailänder Modefirma, aber nicht zum soliden Rüsselsheimer Opel passt?

Russische Pleitekandidaten

Hinter der Bühne wird ein ganz anderes Stück gegeben: Die Unterstützung, die das Magna-Opel-Konzept, das Treuhand-Modell, erfährt, nimmt den mittelfristigen Untergang von Opel/GM in Kauf. Die damit freiwerdende Nachfrage könnte vom Rest der deutschen Autoindustrie gedeckt werden, vor allem Volkswagen würde dabei profitieren.

Denn der Autozulieferer Magna hat im Fahrzeugbau als Massenhersteller keinerlei Erfahrung. Er stellte Personenfahrzeuge bisher nur in kleiner Auftragsarbeit her - etwa das Saab Cabriolet, lange Zeit auch den BMW X3. Und wie alle Autozulieferer wird Magna von der Wirtschaftskrise voll getroffen. Der kanadisch-österreichische Konzern ist zu rund drei Viertel vom US-amerikanischen Markt und von den drei US-Konzernen Chrysler (pleite), GM (fast pleite) und Ford (in tiefroten Zahlen) abhängig. Insgesamt ist Magna damit selbst ein Pleitekandidat.

Die Unterstützung der Opel-Betriebsräte für Magna ist auch vor dem Hintergrund interessant, dass Magna-Boss Frank Stronach ein echter Scharfmacher gegen Arbeiterrechte ist. So lehnt er unabhängige Betriebsräte in seinen Werken grundsätzlich ab und hat in vielen Betrieben handverlesene Betriebsgewerkschafter installiert. Zahlungen an die Gewerkschaften bezeichnete er einmal als «Schutzgeldzahlungen an die Mafia». Im Mai erzwang er bei einem grossen Teil seiner Beschäftigten längere Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich.

Allerdings will Stronach bei einem Magna-Opel-Deal gar nicht die erste Geige spielen, sondern von Opel (das es als selbstständiges Unternehmen ja nicht einmal gibt) nur 19,1 Prozent der Anteile erwerben. 31 Prozent sollen die russischen Magna-Partner Gaz und Sberbank übernehmen. Nun ist aber auch Gaz ein Pleitekandidat. Der Autobauer musste in den letzten Jahren die Fertigung des Modells Wolga aufgeben; der 2008 unternommene Neustart mit der Lizenzfertigung des Chrysler-Modells Sebring gilt als gescheitert. Gaz befindet sich weitgehend im Eigentum des russischen Oligarchen Oleg Deripaska, dessen geschätztes Vermögen in der aktuellen Finanzkrise von rund 40 auf 3,5 Milliarden US-Dollar zusammenschrumpfte.

Die Sberbank wiederum verlor in den letzten fünfzehn Monaten rund achtzig Prozent ihres Börsenwertes und befindet sich inmitten des Zentrums der aktuellen russischen Finanzmarktkrise.

Erneut Halbierung

Fiat-Chef (und UBS-Vizepräsident) Sergio Marchionne hat bereits Ende 2008 eine klare Prognose vorgetragen: Von den derzeit weltweit noch aktiven zwölf grossen Autoherstellern würden «nur fünf oder sechs die Krise überleben». Damit setzte der Fiat-Boss ein grosses Fragezeichen hinter Autobauer wie BMW, Mazda und Mitsubishi, die nicht zu den zwölf grössten Autokonzernen zählen (vgl. Text «Die grössten Autokonzerne» weiter unten) - und Marchionne hat wohl recht: In den sechziger Jahren und bis zur Autokrise 1974/1975 gab es knapp zwei Dutzend Autokonzerne, heute noch die Hälfte. Vieles spricht dafür, dass es in der aktuellen Krise, bei der es im weltweiten Automobilabsatz zu Einbrüchen von 25 Prozent kommt - in Westeuropa von 35 Prozent und in Nordamerika gar von 45 Prozent - zu einer neuerlichen Halbierung der Zahl konkurrenzfähiger Autohersteller führt.

Zwei Kriterien sind für ein Überleben entscheidend: Jahresproduktion und Marktpräsenz. Zum Ersten: Eine Jahresproduktion von drei bis vier Millionen Einheiten (Personen- und Nutzfahrzeuge) galt bisher als Minimum für ein Überleben. 2007 produzierte Fiat 2,7 Millionen Einheiten, Opel 1,1 Millionen. Selbst wenn man GM Europe mit Vauxhall und Saab als Ganzes zählt, liegt deren Jahresproduktion mit rund 1,5 Millionen Autos deutlich unter der kritischen Grösse.

Das Kriterium der Marktpräsenz bedeutet konkret, dass ein konkurrenzfähiger Autobauer in mindestens drei der vier grossen Automärkte (Nordamerika, Europa, Südamerika und Asien und bei der zuletzt genannten Region vor allem in China) grössere Marktanteile aufweisen muss. Fiat ist nur in Europa gut verankert (und hier sogar deutlich besser als Opel). Darüber hinaus hat Fiat eine gewisse Relevanz in Südamerika.

Marchionnes Strategie, Fiat mit Opel und möglicherweise sogar mit Chrysler zusammenzufügen, ist - rein marktwirtschaftlich gesehen - durchaus sinnvoll. Mit einem grossen Knall entstünde ein neuer Autoriese, der sehr gut in Europa und Nordamerika verankert wäre und dessen Output mit mehr als sechs Millionen Automobilen ihn auf Rang drei der grössten Autohersteller und weitgehend auf gleiche Höhe wie VW platzieren würde. Zumal der neue Riese, falls der Deal gelänge, mit einer Starthilfe von rund zehn Milliarden Euro durch staatliche Stellen in Europa und in Washington rechnen könnte.


Die grössten Autokonzerne

2007 wurden weltweit 73 Millionen Fahrzeuge (Personen- und Nutzfahrzeuge) hergestellt. Davon entfielen sechzig Millionen auf die klassischen Autohersteller mit Sitz in den USA (18,1 Millionen), Japan (19,8), Deutschland (9,9), Frankreich (9,6) und Italien (2,7) - wobei hier jeweils der weltweite Output gemeint ist.

Autokonzerne aus dem «Rest der Welt» kamen auf 13 Millionen Einheiten; hier konzentrierte sich die Produktion auf Südkorea mit Hyundai (4 Millionen) und China (mit mehr als hundert Herstellern, die zusammen auf 3,9 Millionen Fahrzeuge kommen).

Hier die fünfzehn grössten Autohersteller (nach der Anzahl der produzierten Fahrzeuge, Stand 2007):

General Motors: 9,3 Mio.

Toyota (inkl. Daihatsu): 9,3 Mio.

Volkswagen: 6,3 Mio.

Ford: 6,3 Mio.

Renault: (inkl. Nissan): 6,1 Mio.

Hyundai: (inkl. Kia Motors): 4 Mio.

Honda: 3,9 Mio.

PSA (Peugeot und Citroën): 3,5 Mio.

Fiat: 2,7 Mio.

Suzuki: 2,6 Mio.

Chrysler: 2,5 Mio.

Daimler: 2,1 Mio.

BMW: 1,5 Mio.

Mitsubishi: 1,4 Mio.

Mazda: 1,3 Mio.