Deutschland: Vollbremsung

Nr. 9 –

Die gute Nachricht für die Umwelt: Es werden weniger Autos verkauft. Die schlechte Nachricht: Kurzarbeit für die ArbeiterInnen fast überall in der Autoindustrie. Wie reagieren die Gewerkschaften darauf? Welche Alternativen gibt es?


Der Dienstag vergangener Woche war nicht sein Tag. Dieter Zetsche, Chef des Autokonzerns Daimler, hatte schlechte Nachrichten: Seine Prognose von 2007, derzufolge die Marke Mercedes nach dem gefeierten Verkauf von Chrysler «ungehemmt wächst», ist Makulatur. Er musste in Stuttgart an der Bilanzpressekonferenz einräumen, dass der Absatz der Mercedes-Modelle im dritten Quartal 2008 um sechs, im vierten sogar um zwanzig Prozent eingebrochen war. Der Gewinn, so Zetsche, lag mit 2,1 Milliarden Euro deutlich unter dem des Vorjahres und ist allein dem ersten Halbjahr 2008 zuzuschreiben. Positives konnte er auch für 2009 nicht in Aussicht stellen, denn der Absatz im Januar lag um über dreissig Prozent unter dem des Vorjahres. Für das gesamte zweite Quartal 2009 ist für die Produktion Kurzarbeit vereinbart.

Die Autokrise ist Teil der Weltwirtschaftskrise: In Japan ist der Personenwagenabsatz auf den niedrigsten Stand seit 21 Jahren abgestürzt, in Westeuropa werden so wenige Autos verkauft wie seit zwölf Jahren nicht mehr, und in den USA liegen die Verkaufszahlen auf dem Niveau von vor 26 Jahren. Wer von den nordamerikanischen «Big Three» die Krise überleben wird, ist die grosse Frage. Zwar beherrschen die drohende Pleite von General Motors und die Zukunft seiner deutschen Opel- und schwedischen Saab-Werke dieser Tage die Schlagzeilen. Ford und Chrysler stehen aber nicht besser da. Und selbst der Toyota-Konzern, der die US-Autokonzerne längst überflügelt hat, meldet drastische Produktions- und Profiteinbrüche.

Den Gürtel enger schnallen?

Wie bitterernst die Lage ist, zeigen auch die aktuell diskutierten Kooperationspläne bei Einkauf, Entwicklung, Produktion und Vertrieb von BMW und Daimler respektive BMW und Peugeot. Jetzt in der Rezession drücken die weltweiten Überkapazitäten der Autobauer von zwanzig bis dreissig Prozent massiver auf die Renditen denn je. Die müssten beseitigt werden, sagte Fiat-Chef Sergio Marchionne; erst dann könnten die Profitraten wieder steigen. Deshalb sei es wahrscheinlich, dass am Ende der Krise nur noch sechs selbstständige Autokonzerne übrig bleiben werden.

An der Bilanzpressekonferenz vergangenen Dienstag verkündete Daimler-Chef Zetsche den Analystinnen, Aktionären und JournalistInnen, wie er sich die Verbesserung des Cashflows vorstellt. Zentraler Punkt: Die Arbeitskosten sollen «spürbar reduziert», die ArbeiterInnen und Angestellten auf den Unternehmer-Evergreen «Ihr seid zu teuer» eingestimmt werden. So soll die in mehreren Schritten vereinbarte Lohnerhöhung für Februar um 2,1 Prozent nicht für den Gesamtlohn gelten, sondern nur auf die tariflich verbindlichen Lohnbestandteile. Das bedeutet, dass die Basis aller künftigen Lohnerhöhungen entsprechend niedriger ausfällt. Freiwillige betriebliche Leistungen (etwa Gesundheitstrainings, Kuren, Weiterbildungsmassnahmen) werden zusammengestrichen. Von den im Sommer abschliessenden Auszubildenden soll ein Fünftel nicht übernommen werden.

Zetsches Forderung, die im Mai fällige zweite Stufe der mit der IG Metall vereinbarten Lohnerhöhung zu verschieben, hat der Gesamtbetriebsrat abgelehnt - und ohne sein Einverständnis ist die Verschiebung nicht möglich. Nicht ablehnen kann der Rat jedoch die angekündigte Nichtübernahme der Lehrlinge. Auch dies akzeptiert der Gesamtbetriebsrat zwar nicht. Aber die Politik der Zugeständnisse in der Vergangenheit holt die Betriebsräte heute ein: 2004 hatte die sozialpartnerschaftlich orientierte Betriebsratsmehrheit mit der Geschäftsleitung sogenannte Zukunftssicherungsverträge vereinbart, die Ausnahmeklauseln bei der Übernahme der Lehrlinge wie bei der Anrechnung von Lohnerhöhungen auf den Gesamtlohn erlauben. Auf diese bezieht sich die Konzernleitung jetzt. Gegen ihre Entlassung in die Arbeitslosigkeit protestierten am vergangenen Mittwoch vor dem Untertürkheimer Werkstor Daimler-Auszubildende aus dem ganzen Land.

Dreimal gezahlt - und doch gefeuert

Die geplanten Einschnitte seien nötig, schreibt Zetsche in einem Brief an die Beschäftigten, denn «dann haben wir die Chance, die Krise nicht nur zu meistern, sondern gestärkt aus ihr hervorzugehen». Am Ende der Krise bessere Startbedingungen haben als die Konkurrenz und ihr Marktanteile abjagen, lautet also seine Botschaft. Die im Übrigen identisch ist mit der von Bundeskanzlerin Angela Merkel: den Gürtel enger schnallen, um den deutschen Konzernen weitere Vorteile am Weltmarkt zu verschaffen.

Für die Beschäftigten der Automobilindustrie bedeutet dies, dass sie für die kapitalistische Krise gleich dreimal zur Kasse gebeten werden: nicht nur als SteuerzahlerInnen, nicht nur als potenzielle Opfer der absehbaren «Agenda 2020» nach der Bundestagswahl im September (schon mit der «Agenda 2010» hatte die frühere rot-grüne Regierung einen tief greifenden Sozialabbau durchgesetzt), sondern auch noch direkt als Beschäftigte.

Dieselbe Melodie hören die KollegInnen bei BMW, Audi, VW, Opel und Ford. Dass es sich dabei nur um ein Nullsummenspiel handelt, bei dem die Gewinne der einen die Verluste der anderen sein werden, liegt auf der Hand, weil im kapitalistischen Verdrängungswettbewerb die Überkapazitäten natürlich immer die Überkapazitäten der anderen sind. Eberhard von Kuenheim, früherer Chef von BMW, hatte das vor Jahren schon auf den Begriff gebracht: «Es gibt zu viele Autos, aber zu wenig BMW.»

Bleibt es bei dieser Logik, wird das für die aussortierten Automobilbelegschaften heissen: dreimal für die Krise bezahlt - und dann doch gefeuert werden. Bis heute beschränken sich die meisten Gewerkschaften weitgehend auf sozialpartnerschaftliche Versuche, das Schlimmste zu verhindern. Sie sind noch nicht auf der Höhe der Zeit - nicht bei der Krisenanalyse und ebenso wenig bei den Antworten. Im Gegensatz zu Regierung und Kapital, die sich nach anfänglicher Verunsicherung über den Bankrott der neoliberalen Ideologie zum Angriff formiert haben. Die Gewerkschaften stehen immer noch unter Schock und weigern sich, zur Kenntnis zu nehmen, dass am Ende dieser Krise keine neue Sozialpartnerschaft stehen wird, sondern eine dramatische Niederlage.

Alte Erkenntnisse ...

Kräfteverhältnisse werden nun mal nicht durch Lobbyismus verbessert. Machtfragen werden durch Massenmobilisierungen entschieden. Genau damit tun sich die Gewerkschaftsapparate aber sehr schwer. Und lassen es an kritischer Distanz zu den Krisenrezepten der Autobosse fehlen. Seit Frühjahr 2007 stehen sie und die Gesamtbetriebsratsvorsitzenden den deutschen Autokonzernen willig zur Seite, wenn CO2-Grenzwerte für die deutschen Konzerne aufgeweicht, Ökostrafen verhindert und Abwrackprämien durchgesetzt werden sollen.

Das ist ein Rückfall um zwanzig Jahre. Mitte der achtziger Jahre hatte es die IG Metall noch gewagt, das westliche Individualverkehrsmodell mit seinen ökologischen und sozialen Kosten infrage zu stellen. Angetrieben und gestützt von einer starken Umweltbasisbewegung diskutierte und popularisierte die Gewerkschaft integrierte Verkehrssysteme mit Priorität für den öffentlichen Transport. «Wenn die Beschäftigung in der Automobil- und Zulieferindustrie aus umwelt- oder verkehrspolitischen Gründen nicht weiter ausgedehnt, sondern nur stabilisiert werden kann oder im Trend zurückgeht, dann muss über neue Beschäftigungsperspektiven nachgedacht werden», schrieb der IG-Metall-Vorstand in seinem Papier «Auto, Umwelt und Verkehr» im Juni 1990. Kritisiert wurde die Strategie der Konzerne, das westliche Mobilitätsmodell weltweit durchzusetzen: «Es bedarf keiner weiteren Begründung, dass eine weltweite Angleichung der Pkw-Dichte an das Niveau der Industrieländer katastrophal für den Energie-, Rohstoff- und Klimahaushalt der Erde wäre.»

... in der Schublade

Solche Töne sind aus der IG-Metall-Zentrale kaum mehr zu hören, obwohl die Krisen weit gravierender sind als damals. Und obwohl es keinesfalls heissen darf: «Augen zu und durch» oder gar «weiter so». Erstens, weil es nicht mehr nur um einen «Trend zum Personalabbau» geht, sondern um Arbeitsplatzvernichtung in bisher ungekannten Dimensionen. Wenn die Gewerkschaften nicht mobilisieren - etwa mit einer neuen Offensive zur Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohn - droht die Zetsche/Merkel-Perspektive: Die Belegschaften werden überrollt und in Unterbietungskonkurrenz zueinander getrieben.

Und zweitens geht es angesichts von Klimaveränderung und Peak Oil - die Erdölförderung überschreitet ihren Höhepunkt - um eine dringend notwendige Änderung unseres Mobilitätsmodells. Wer den Kopf nicht in den Sand steckt, dem ist klar, dass auch Hybrid- und Elektroantriebe, wären sie denn entwickelt genug, keine weltweit verallgemeinerbare Antwort auf Peak Oil sind. Denn auch dafür gibt es die notwendigen Rohstoffe nicht in erforderlicher Menge.

Selbst in den Autokonzernen war diese Diskussion schon mal weiter. Unter dem Druck ökologischer Bewegungen und einer sensibilisierten Öffentlichkeit wollten sich vor fast zwanzig Jahren alle Autokonzerne in «integrierte Mobilitätskonzerne» verwandeln; der Brennstoffzellenantrieb sollte innerhalb weniger Jahre serienreif sein. Diese Pläne verschwanden schnell wieder in den Schubladen, als der Druck vonseiten der Grünen im Zuge ihrer parlamentarischen Anpassung zurückging. Ausserdem sorgte der jahrelang niedrige Ölpreis nach dem ersten Irakkrieg der USA Anfang der neunziger Jahre dafür, dass in den Motorenentwicklungsabteilungen der Autokonzerne auf Spritfresser gesetzt wurde.

Bei Daimler war für diese Entwicklung der «Green Technology Leader», wie Zetsche sich gern bezeichnen lässt, verantwortlich. Ohne politischen Druck wurden die Entwicklungsprioritäten wieder auf das umgestellt, was profitabel war und worin man Erfahrung hat: grosse PS-starke Verbrennungsmotoren. Das Erdöl mag zwar endlich sein, aber sein Preis sinkt gerade wieder.

Die Alternativen?

Einen Rohstoff gibt es allerdings, der im Überfluss vorhanden ist: das Wissen der FacharbeiterInnen im Autobau und die Kreativität von Zehntausenden in den Entwicklungsbereichen. Sie kennen sich nicht nur bei Verbrennungsmotoren, Hybrid- oder Elektroantrieben für Autos aus. In der Strukturkrise der britischen Industrie wehrte sich Mitte der siebziger Jahre die Belegschaft des Rüstungskonzerns Lucas Aerospace gegen Arbeitsplatzabbau mit der Parole «sozial nützliche Produkte statt Waffen» (siehe WOZ Nr. 7/07). In der deutschen Werftenkrise der achtziger Jahre riefen IG Metall, IngenieurInnen und FacharbeiterInnen von Blohm & Voss Konversionsarbeitskreise ins Leben, um die Produktion auf sozial sinnvolle und ökologisch verträgliche Produkte umzustellen.

Doch sind die Belegschaften angesichts der Wucht dieser Krise dafür überhaupt zu gewinnen? Blockiert die Angst um den Arbeitsplatz nicht einfach alles? Das ist keineswegs ausgemacht. Zumal die Erfahrungen der letzten Jahre die Beschäftigten zutiefst misstrauisch gemacht haben gegen die Rezepte von Kapital und Politik. Der über Jahre entstandene Zorn darüber, als Fussabstreifer behandelt zu werden, sitzt tief. Und das verhindert bis heute, dass die «Wir sitzen alle in einem Boot»-Appelle übernommen werden. Natürlich machen sich alle Gedanken. Ein Narr, wer sich angesichts dieser Krise nicht sorgen würde. Es gibt wohl Befürchtungen - aber keine von Angst erfüllte Stimmung à la «Rette sich wer kann», die die Daimler-Belegschaft in die Arme der VerzichtspredigerInnen treiben würde.

Noch gehen die Beschäftigten bei Daimler aufrecht in den Betrieb - das ist eine wichtige Voraussetzung für die Umsetzung einer mobilisierenden Politik. Noch sind sie für eine andere Krisenlösung offen, beispielsweise für ein Umsteuern wie bei Lucas Areospace. Wenn die Gewerkschaft das tut, parallel dazu gegen Arbeitsplatzvernichtung mobilisiert und für eine radikale Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn eintritt, könnten die AutomobilarbeiterInnen ein «window of opportunity», das jetzt gerade offene Fenster der Möglichkeiten, aufstossen.


Tom Adler ist IG-Metall-Betriebsrat der Alternativen Liste im Daimler-Werk Stuttgart-Untertürkheim.

Die Autokrise

Mehr als ein Zehntel aller Arbeitsplätze in Deutschland hängt direkt oder indirekt von der Autoproduktion ab. In den deutschen Daimler-Werken arbeiten etwa 160 000 Beschäftigte (inklusive Lastwagen- und Carproduktion); bei BMW und VW sind in Deutschland je etwa 100 000 regulär angestellte Arbeitskräfte tätig, bei Audi 46 000, bei Ford 26 000, bei Opel 25 000, bei Porsche knapp 10 000. Hinzu kommen die Angestellten der Zulieferbetriebe wie Bosch, Mahle oder die Zahnradfabrik Friedrichshafen. Noch wollen die meisten Unternehmen ihre hochqualifizierten Stammbelegschaften nicht verlieren - und greifen zur Kurzarbeit. Das heisst: Die Arbeitslosenkasse bezahlt den Lohnausfall für die Tage, an denen nicht gearbeitet wird. Die Beschäftigten erhalten für die Kurzarbeitstage zwischen 60 und 67 Prozent ihres Nettolohns. Doch Kurzarbeit ist nur eine vorübergehende Lösung. Im Rahmen ihrer Konjunkturprogramme hat die Regierung die maximale Dauer der Kurzarbeit zwar von sechs auf achtzehn Monate erhöht. Aber Massenentlassungen und Werksschliessungen - etwa bei Opel - verhindert die Kurzarbeit nicht.