Kanton Zürich: Die Rache der SP

Nr. 39 –

Der Grünliberale Martin Bäumle will Regierungsrat werden. Die SP will das mit einer eigenen Kandidatur verhindern. Als Favorit wird Nationalrat Daniel Jositsch gehandelt – der zeigt sich willig.


48 Stunden intensive Zürcher Politik. Womöglich die letzten 48 Stunden, in denen Martin Bäumle glaubte, Zürcher Regierungsrat werden zu können. Ob er seine Kandidatur nach Redaktionsschluss dieser WOZ zurückziehen wird, ist nicht klar. Gründe, es zu tun, gäbe es: Ein Wahlkampf über zwei Wahlgänge kostet zwischen 150 000 und 250 000 Franken. Bäumle sagte am Montagnachmittag zur WOZ, er investiere privates Vermögen, «also entweder investiere ich in ein Haus oder in den Wahlkampf». Deshalb hat er genau gerechnet. Am Montag schätzte er seine Chancen, gewählt zu werden, auf fünfzig Prozent. Dann kam der Abend: Delegiertenversammlung der Zürcher Grünen im Volkshaus. Würden die Grünen entgegen ersten Abmachungen doch einen Kandidaten ins Rennen schicken? Die Basis hatte gegen den Entscheid aufbegehrt, den Grünliberalen das Feld zu überlassen.

Aufatmen für Bäumle: Die ParteistrategInnen setzten sich durch. «Wir können doch nicht antreten, chancenlos wie wir sind, nur weil uns die anderen Kandidaten nicht passen», sagte Daniel Vischer. «Marlies Bänziger und Martin Graf, die Einzigen, die Bäumle hätten schlagen können, haben abgesagt», sagte Balthasar Glättli. Die Debatte war emotional, es wurde deutlich gemacht, dass die Grünliberalen für Linke nicht wählbar seien, eine SVP ohne AKW. Die Grünen verweigern deshalb Bäumle die Unterstützung im Wahlkampf.

Die Frage, die die Grünen vor allem am Anfang beschäftigt hatte, als auch Neo- und Altnazis in die Partei kommen wollten, dominierte die Versammlung: Wie rechts kann grün sein? Als Bäumle 2004 als Präsident der Zürcher Grünen abgewählt wurde, gründete er die Grünliberalen, eine Art Redesign von Franz Jägers Ausrichtung des Landesrings: grüner Freisinn. Bäumle wurde dabei nicht müde, zu sagen, dass er kein Linker sei. Er sagt heute: «Die Grünen hatten ja immer beide Flügel: den bürgerlichen Flügel und den Linksflügel. Die Grünen wurden zunehmend eine Linkspartei. Sozial- und Bildungspolitik wurden wichtiger, das Ökologische weniger. So begann die Entfremdung. Ich war Parteipräsident und musste oft Sachen vertreten, mit denen ich nicht einverstanden war. 2004 wurde ich abgewählt. Wir fällten darauf den Entscheid, eine Partei zu gründen, die in der politischen Landschaft fehlt, eine ökologische Partei, die zur Marktwirtschaft steht und nicht links aussen.»

«Ich bin so stolz auf die SP»

Bis am Dienstagabend erhoffte sich Bäumle viele linke Stimmen allein deshalb, weil der Gegner im Kampf um die Nachfolge der abtretenden SVP-Regierungsrätin Rita Fuhrer ein SVP-Kandidat ist. Bäumle sagte: «Ich bin nicht links. Ich habe das immer gesagt. Trotzdem gibt es zwischen mir und der SVP eine grosse Differenz. Die SVP macht verbal in der Finanzpolitik Kahlschlag, das tu ich nicht. Sie ist aber nicht konsequent, was die Landwirtschaft betrifft, Sicherheit, Polizei, Feuerwehr. Dort kann es kosten, was es will. Sie spart im Umweltbereich, bei der IV-Finanzierung verweigert sie jegliche Möglichkeit, aus der Schuldenfalle herauszukommen.» Zu früheren, aber relativ unkonkreten Ambitionen der SozialdemokratInnen, einen eigenen Kandidaten ins Rennen zu schicken, um den «grünen Etikettenschwindel aufzudecken», sagte Bäumle: «Die SP riskiert damit die Wahl eines SVP-Exponenten.» Doch wie konnte Bäumle, der im Kanton als einer der besten Politstrategen gilt, dabei den Galladé-Faktor vergessen?

Dienstagabend: Delegiertenversammlung der SP. Schauplatz derselbe wie am Abend zuvor: das Zürcher Volkshaus. Es war der Abend, der Martin Bäumles Wahlchancen halbierte. Es war Nationalrätin Chantal Galladé, die in einer emotionalen Rede («Ich bin so stolz auf meine Partei, und zwar vor allem dann, wenn sie kämpft!») klar macht, «dass wir nicht noch einmal Steigbügelhalterin für die Grünliberalen spielen werden». Was sie dann sagte, löste im Saal heftige Emotionen aus: «Ich verzichtete bei den Regierungsratswahlen 2007 darauf, im zweiten Wahlgang anzutreten. Ich verzichtete zugunsten der grünliberalen Kandidatin Verena Diener. Dies, obwohl ich das bessere Ergebnis erzielt hatte. Ich verzichtete, damit Ueli Maurer nicht Ständerat wird und Ulrich Schlüer nicht in den Nationalrat nachrückt. Ein Jahr später wurde Ueli Maurer in den Bundesrat gewählt, und Ulrich Schlüer rückte in den Nationalrat nach. Die entscheidende Stimme zugunsten von Ueli Maurer kam vom Grünliberalen Martin Bäumle. Das war der Dank dafür, dass ich ein Jahr zuvor verzichtet hatte.» Kurzform: Bäumle, der undankbare, karrieristische Verräter, Steigbügelhalter Ueli Maurers. Der Saal tobte. Es konnte einen das Gefühl beschleichen, dass Galladé diese Sätze in den nächsten Wochen bloss genug oft zu wiederholen braucht, um Martin Bäumle in linken Kreisen zu vernichten.

SP-Präsident Stefan Feldmann sagte: «Die grösste aller grünen Parteien ist die SP. Wir vertraten grüne Positionen schon zu einer Zeit, als es noch keine Grünen gab.» Eine grüne Politik ohne sozialen Ausgleich sei aber nicht denkbar. «Die Grünliberale Partei profitiert davon, dass sie von ihrem Namen her für viele Leute wählbar erscheint. Doch die Grünliberalen sind in Sozial-, Finanz- und Wirtschaftsfragen keine linke Partei. Sie betreiben knallharte bürgerliche Politik. Allfällige Überschneidungen in Umweltfragen machen den eklatanten Mangel dieser Partei für sozialen Ausgleich nicht wett. Wir wollen diese Politik nicht unterstützen.» Wenn es an wählbaren Alternativen fehle, müsse man halt einen eigenen Kandidaten ins Rennen schicken.

Nationalrätin Jacqueline Fehr, selbst als mögliche Kandidatin gehandelt, doppelte nach: «Kämpfen kann kein schlechtes Zeichen sein. Wir können verlieren, das darf uns nicht aufhalten. Lasst uns mit einem guten Kandidaten für ein gutes und soziales Zürich kämpfen.» Fehrs Auftritt war leidenschaftlich. Doch hatte sie, die Favoritin mit den besten Aussichten, einleitend klar gemacht, dass sie selbst nicht zur Verfügung stehe.

«Als Vizepräsidentin der SP Schweiz fühle ich mich auf nationaler Ebene wohl», erklärte sie. Übersetzt heisst das: Jacqueline Fehr will 2010 den Bundesratssitz von Moritz Leuenberger erben. Ihre Worte aber motivierten: Ausser dem Rechnungsprüfer («Denkt daran, was das kostet!») votierte niemand gegen eine Kandidatur. Der Entscheid, einen Kandidaten für die Regierungsratswahl zu suchen, fiel mit 85 zu 2 Stimmen. SP-Regierungsrat Markus Notter enthielt sich der Stimme. Der Kandidat soll am 6. Oktober an einer ausserordentlichen Delegiertenversammlung nominiert werden.

Scharf auf den dritten Sitz?

Neben Jacqueline Fehr verzichtete auch Nationalratskollege Mario Fehr. «Ich habe klar abgesagt», sagte Fehr, der als Favorit für die Nachfolge von Markus Notter gehandelt wird. Mehrere wichtige SP-Exponenten nannten den Namen des Mannes, der antreten soll: Nationalrat Daniel Jositsch. Ironie der Geschichte: Jositsch sass einst mit Martin Bäumle im Vorstand der Zürcher Grünen – wie Bäumle waren ihm die Grünen bald zu links. Spätestens seit er 2007 einen «Zwölf-Punkte-Plan zur Lösung von Jugendgewalt» vorlegte, in dem er unter anderem Gefängnis für Vierzehnjährige forderte, gilt er als Hardliner vom rechten SP-Rand, als «Verbots-Dani». Der Strafrechtsprofessor, ein gewandter Rhetoriker, soll wohl die Wahl gar nicht unbedingt gewinnen; er soll in Duellen in den Zürcher Medien den ZuschauerInnnen und LeserInnen in erster Linie klarmachen, dass die Grünliberalen keine linke Partei sind und deshalb 2010 bei den Gemeinderats- und 2011 bei den Nationalratswahlen linken WählerInnen keine Alternative bieten können. Man kann nicht sagen, die SP verschlafe den Wahlkampf. Man kann aber die Frage stellen, was die SP zu tun gedenkt, wenn Jositsch Bäumle im ersten Wahlgang tatsächlich schlägt. Im zweiten Wahlgang gegen die SVP antreten? Deren ausgewiesenen Sitzanspruch infrage stellen und einen dritten Sitz anpeilen? Jacqueline Fehr gab sich kämpferisch: «Die SP Schweiz unterstützt eine allfällige Kandidatur eines Zürcher SP-Vertreters. Wir können uns nicht permanent von Bedenken und Konkordanz stoppen lassen. Wir brauchen mehr Leidenschaft, weniger Kalkül.»

Jositsch folgt dem Ruf

In einer ersten Reaktion zeigten sich VertreterInnen der Grünen von so viel Kampfgeist überrumpelt. Der grüne Nationalrat Daniel Vischer sagte: «Wenn die SP mit Jositsch kommt, werden wir sie nicht unterstützen. Er steht uns nicht näher als Bäumle.» Martin Bäumle selbst mochte am späten Dienstagabend zuerst einmal gar nichts sagen. «Das ist jetzt ein bisschen viel auf einmal», sagte er und schwieg. SP-Favorit Daniel Jositsch, der pünktlich zum Traktandum Regierungsratswahl im Blauen Saal des Zürcher Volkshauses aufgetaucht war, sagte nach der Veranstaltung zur WOZ: «Wenn die Partei mich ruft, werde ich da sein. Ich werde mir eine Kandidatur sehr gut und ernsthaft überlegen.»