Klimapolitik: Das Ende der Goldenen Kröte

Nr. 41 –

Andreas Fischlin ist Klimawissenschaftler und nimmt an den internationalen Klimaverhandlungen teil. Mit der WOZ spricht er über Verständnisprobleme zwischen Forschung und Politik, über das Aussterben erster Tierarten und schnarchende Umweltminister.


WOZ: Vor zwei Jahren ist der letzte Bericht des Uno-Klimarats IPCC erschienen, an dem Sie mitgearbeitet haben. Was weiss die Klimawissenschaft seither Neues?

Andreas Fischlin: Es sind vor allem Erkenntnisse, die darauf hindeuten, dass der Klimawandel sich beschleunigt. Wir hatten zwar beim Verfassen des Berichts bereits das Gefühl, dass es in diese Richtung gehe, konnten es aber noch nicht belegen. Im Jahr 2007, nach der Publikation des Berichts, kam es für mich dann wie ein Schock, Schlag auf Schlag. Beispielsweise schmilzt das arktische Packeis signifikant schneller, als die Modellrechnungen erwarten liessen, und auch in der Antarktis nimmt das Eisvolumen ab – das war im IPCC-Bericht noch nicht klar. Zweitens schwindet die Fähigkeit der Ozeane, CO2 aufzunehmen. Drittens sind die Treibhausgasemissionen schneller gestiegen, als dies das pessimistischste Szenario des IPCC annahm.

Geht die Politik – wenn sie sich auf den IPCC-Bericht stützt – also von Erkenntnissen aus, die bereits überholt sind?

Die Politik stützt sich sogar auf den noch älteren, den dritten IPCC-Bericht von 2001. Die Verschärfungen, die der vierte IPCC-Bericht gegenüber dem dritten brachte, hat die Politik meines Erachtens noch gar nicht reflektiert. Es ist in den Klimaverhandlungen die Rede davon, dass man die Erwärmung auf maximal zwei Grad begrenzen will. Dieses Zweigradziel geht auf den Wissensstand der neunziger Jahre zurück. Aber um Ihre erste Frage noch ganz zu beantworten: Der IPCC-Bericht mit seiner Legitimation ist meines Erachtens das Einzige, worauf man sich in den Verhandlungen wirklich beziehen kann. Es gab Bestrebungen, ein schnelles Update des IPCC-Berichts zu erstellen. Das lehnte der Klimarat ab – zum Glück, denn Schnellschüsse könnten den Ruf des IPCC gefährden.

Im März fand in Kopenhagen eine hochrangige Konferenz von Klimawissenschaftlern und -wissenschaftlerinnen statt, deren Schlussbericht als so etwas wie ein inoffizieller IPCC-Zwischenbericht wahrgenommen wurde.

Natürlich war die Tagung sehr interessant. Aber eine solche Tagung hat nicht im Entferntesten die Autorität des IPCC. Ich fand, dass die Organisatoren etwas naive Wissenschaftler waren. Naturwissenschaftler sind häufig naiv in politischen Dingen – ich war das auch, bevor ich an den Verhandlungen teilzunehmen begann. Das Schlusscommuniqué schreibt, es gebe keine Rechtfertigung mehr, nicht zu handeln. Das ist schon richtig. Aber man streitet ja längst nicht mehr darüber, dass etwas geschehen muss, sondern was und wie viel geschehen soll.

Wissenschaftler drücken sich vorsichtig aus. Sie zeigen, wo Unsicherheiten bestehen, und machen Zweifel transparent. Die Politik dagegen arbeitet mit Parolen. Verstehen Politiker U, wenn Wissenschaftlerinnen X sagen?

Das ist sicher so. Im zweiten IPCC-Bericht von 1995 stand, es gebe einen «erkennbaren menschlichen Einfluss» auf das Klima. In unseren Ohren war das ein Alarmzeichen: Wir hatten die Hypothese, dass der Mensch das Klima verändert, und wussten, dass sich ein solcher Einfluss nur verzögert feststellen lässt. Und nun war dieser Einfluss erkennbar: Das ist die Bestätigung der Hypothese! Aber für die Politik tönte die Formulierung «erkennbarer menschlicher Einfluss» nicht dramatisch. Das liegt allerdings nicht nur an sprachlichem Missverstehen, sondern auch an der sehr aktiven Lobbyarbeit gegen die Klimapolitik.

Müsste das IPCC offensiver kommunizieren?

Wir führen diese Diskussionen immer wieder: Was sagen wir, wie sagen wir es? Dabei war immer klar, dass man der Wissenschaft nie untreu werden darf. Wenn es Hinweise gibt, dass die Politik einen falsch versteht, dann muss man es immer nochmals und vielleicht noch ein bisschen anders sagen. Aber man darf nie die Basis des Wissenschaftlichen verlassen. Sehen Sie, unsere Gesellschaft geht sehr irrational mit Risiken um – da wird die Schweinegrippe als riesige Gefahr gesehen, der Klimawandel jedoch heruntergespielt. Aber so ist das eben, und die Frage, welche Risiken wie ernst genommen werden, muss politisch beantwortet werden. Da kann man als Wissenschaftler nicht das Recht auf die einzig richtige Sicht beanspruchen. Das IPCC hat das bisher meines Erachtens gut gemacht, aber das heisst halt, dass man manchmal zusehen muss, wenn die Kommunikation nicht so gut funktioniert.

Der IPCC-Bericht untersuchte 2007 als rigideste Klimapolitik einen Pfad, welcher die Treibhausgaskonzentration auf 445 parts per million (ppm) stabilisiert – heute sind wir bei nicht ganz 390 ppm. Kürzlich sagte nun aber IPCC-Präsident Rajendra Pachauri, wir müssten die Konzentration sogar auf 350 ppm begrenzen, tiefer als heute, um einen gefährlichen Klimawandel abzuwenden. Das tönt, als wäre ein solcher gar nicht mehr zu verhindern?

Vielleicht. Aber was «gefährlich» heisst, kann man nicht für die ganze Welt übers Knie brechen. Man verlangte von uns Biologen, dass wir sagen: Ab so und so viel Grad wird es für die Biodiversität gefährlich. Aber das können wir nicht. Ein Beispiel: Die Goldene Kröte, die in Costa Rica lebte, ist ausgestorben. Es wird vermutet, dass die Kröte einer Pilzerkrankung zum Opfer fiel, die sich wegen der Erwärmung durchsetzen konnte. Diese Kröte gilt als erste Tierart, die dem Klimawandel zum Opfer gefallen ist; von weiteren Arten wird dasselbe vermutet. Wir haben bisher eine vom Menschen verursachte Erwärmung von insgesamt 0,74 Grad – und es sind bereits Arten ausgestorben. Das ist ein schleichender Prozess, da kann man nicht einfach eine Schwelle nennen und sagen: Dort beginnts. Es hat schon begonnen. Die Korallen, die ein Viertel der marinen Biodiversität beherbergen, sind schon am Absterben.

1999 wurden die Nachverhandlungen zum Kioto-Protokoll an der Klimakonferenz in Den Haag ohne Ergebnis abgebrochen. Auch die Fortsetzung dieser Konferenz 2000 in Bonn scheiterte fast. Als der Durchbruch dann doch noch gelang, waren Sie dabei. Wie ging das vor sich?

Man hatte drei Tage und Nächte ohne Pause verhandelt. Am Schluss waren zwanzig Umweltminister im Saal, die meisten schnarchten. Ich war nicht als Vertreter der Schweiz im Saal – unser Delegationsleiter war auch da und schnarchte auch –, wurde aber geduldet. Es ging darum, einen Kompromiss zwischen zwei Blöcken von Verhandlungsteilnehmern zu finden, der G77 der Entwicklungs- und Schwellenländer und der Umbrellagruppe, einer Gruppe von Industriestaaten. Nur ein Punkt war noch offen, aber daran schien alles zu scheitern. Nun schlug Verhandlungsleiter Jan Pronk einen weiteren Kompromiss vor. Die G77 war bereit, diesen zähneknirschend zu akzeptieren. Die Minister der Umbrellagruppe aber lehnten einer nach dem anderen ab, der Japaner lehnte ab, der Kanadier lehnte ab, der Australier lehnte ab, und der Russe behauptete, er verstehe nichts. Schliesslich sagte der neuseeländische Minister als Sprecher der Umbrellagruppe, die Gruppe lehne als Ganzes ab. Da fragte ihn Pronk, was er denn als Minister von Neuseeland denke. Und da sagte dieser zur Überraschung aller, er finde den Kompromiss eigentlich fair. Dann fielen die Minister der Umbrellagruppe wie Dominosteine um – nur der Russe behauptete noch immer, nichts zu verstehen. Schliesslich erwachte der deutsche Minister Trittin, der am lautesten geschnarcht hatte, ging zur Pressekonferenz und verkündete, es gebe einen Durchbruch.

Sie haben geschildert, wie umsichtig Sie als Wissenschaftler argumentieren müssen, um die Reputation der Wissenschaften nicht zu gefährden. Aber dann entscheiden am Verhandlungstisch nicht die differenzierten Argumente, sondern das Geschick des Verhandlungsleiters und die Frage, wer in welchem Zeitpunkt erwacht ...

Nun, ganz so zufällig – hoffe ich – kommen die Verhandlungsergebnisse schon nicht zustande. Aber bei Verhandlungen ist es so, dass es am Ende ein Abkommen gibt oder nicht. Da gibt es keine Grautöne. In der Wissenschaft ist das anders. Das sind zwei Realitäten, die beide existieren. Man muss akzeptieren, dass Politik keine Wissenschaft ist – und das ist vermutlich auch gut so.

Was erhoffen Sie von der Klimakonferenz in Kopenhagen?

Vor einiger Zeit noch erwartete ich ein neues Abkommen, das in den wichtigen Fragen Klarheit schafft. Wir müssen der ganzen Welt signalisieren – nicht nur der Politik, nicht nur der Industrie, sondern allen: Wir sind in eine neue Ära eingetreten. Die Geologen sprechen von einem neuen Erdzeitalter, dem Anthropozän, weil der Mensch die Erde so sehr verändert hat. Wir müssen dafür sorgen, dass das Anthropozän dem Holozän – dem Zeitalter, in dem sich die bisherige menschliche Geschichte abgespielt hat – möglichst ähnlich sein wird. Wir müssen einen Wandel einleiten – einen technischen, aber auch einen sozialen und kulturellen Wandel, denn allein technisch lässt sich das Problem nicht lösen. Man müsste sich in Kopenhagen einigen, dass es eine völlige Trendwende braucht, vom individuellen Verhalten bis zur Industrie. Wenn das gelänge, so denke ich, würde sich sehr viel von alleine ergeben. Gleichzeitig muss eine Lösung für die Finanzierung der Anpassung an den Klimawandel gefunden werden. Aber im Moment sehe ich weder bei den Reduktionsverpflichtungen noch bei der Frage der Finanzierung eine Lösung. Das grösste Hindernis liegt in den USA. Wenn die Klimavorlage im Senat die nötige Zweidrittelmehrheit nicht schafft, dann werden die USA trotz Barack Obama keine grundsätzlich andere Rolle spielen als unter Bush.

Sie sind Mitglied der offiziellen Schweizer Delegation an der Kopenhagener Klimakonferenz. Die Schweiz verfolgt innenpolitisch ein sehr wenig ambitioniertes Ziel. Schwächt das die Position der Schweiz als Verhandlungspartnerin?

Ja. Die Schweiz als kleines Land kann ja nicht mit der Macht rechnen. Die Schweiz lebt davon, dass man sie anerkennt. In Kioto verhandelten wir eher auf der progressiven Seite, dafür wurden wir geachtet. Wenn wir uns aber einfach hinter der EU verstecken, dann sind wir nicht einmal ein grauer Schatten, bestenfalls ein Schättelein. Dabei hätten wir bei einer etwas mutigeren Politik nichts zu verlieren.



Andreas Fischlin

Der Professor für terrestrische Systemökologie an der ETH Zürich wirkt beim Uno-Klimarat IPCC seit dessen zweitem Sachstandsbericht (1995) mit; zuletzt als Hauptautor (Lead Author). Seit 1999 ist Andreas Fischlin (59) als Vertreter der Wissenschaft Mitglied der schweizerischen Delegation an den internationalen Klimaverhandlungen. Fischlin spielt ausserdem Bass und E-Cello in einer Rockband.

Das Entscheidungsjahr

Im Dezember soll in Kopenhagen ein Klimaschutzabkommen für die Jahre nach 2013 verabschiedet werden. Die Schweiz arbeitet derweil an einem CO2-Gesetz für den Zeitraum 2013 bis 2020. Die WOZ interviewt in diesem Entscheidungsjahr wichtige Figuren der schweizerischen Klimapolitik. Bisher erschienen sind Interviews mit VertreterInnen des Bundesamtes für Umwelt, des Staatssekretariats für Wirtschaft, des Parlaments, der Economiesuisse und des WWF; im November folgt ein Interview mit Bundesrat Moritz Leuenberger.