Klimagipfel: Zivil gegen die Untätigkeit

Nr. 49 –

In Kopenhagen wird sich während der Uno-Klimakonferenz eine weltumspannende Bewegung von Basisorganisationen und nichtstaatlichen Organisationen manifestieren. Sie fordern nicht nur die rasche Reduktion der Treibhausgasemissionen, sondern auch soziale Gerechtigkeit.


Sie wollen «die Macht zurückgewinnen», über ihre «eigene Zukunft» selber bestimmen: Climate Justice Action (CJA), ein Zusammenschluss aus UmweltaktivistInnen und sozialen Bewegungen, wird am 16. Dezember versuchen, gewaltfrei ins Konferenzgebäude des Uno-Klimagipfels in Kopenhagen einzudringen. Die AktivistInnen wollen die offiziellen Gespräche für einen Tag blockieren und eine öffentliche Volksversammlung abhalten. Das tönt reichlich unrealistisch. Doch die Aktion unter dem Titel Reclaim Power wird seit Monaten im Internet diskutiert und soll in den kommenden Tagen in Kopenhagen zu Ende geplant werden. Die InitiantInnen hoffen, mit der schieren Masse von Aktiven die Polizeiketten überlaufen zu können.

Das CJA-Vorhaben ist nur eine von vielen Aktionen, die in Kopenhagen von Basisorganisationen und nichtstaatlichen Organisationen (NGO) geplant sind. Spätestens seit dem Bericht des Uno-Klimarats IPCC von 2007 weiss die Welt, dass eine starke Erwärmung der Erde droht. Die Treibhausgasemissionen müssen in den kommenden Jahren massiv gesenkt werden. Die Zusagen der einzelnen Staaten, das zu tun, sind jedoch bislang völlig ungenügend.

Die CJA-AktivistInnen sind der Meinung, dass Demonstrationen und Forderungen an PolitikerInnen allein nichts bringen. Sie wollen zeigen, dass jedeR selber etwas tun kann. So wie am Montag in den USA, wo ein Aktionstag zum Aufwärmen für Kopenhagen stattfand. Neben verschiedenen Demonstrationen und Sit-ins ketteten sich AktivistInnen im US-Bundesstaat South Carolina an einen fabrikneuen Stromgenerator, der derzeit per Lastwagenkonvoi an ein im Bau befindliches Kohlekraftwerk in Cliffside geliefert wird. «Das Kraftwerk wird jedes Jahr sechs Millionen Tonnen CO2 ausstossen, dazu giftige Schwermetalle wie Quecksilber», schreiben die UmweltschützerInnen. Jegliches Abkommen sei bedeutungslos, solange in den USA weiterhin Kohlekraftwerke erstellt würden. Derzeit sind 37 solcher Kraftwerke im Bau oder bereits bewilligt. Weitere 46 sind in Planung.

Ein neues Seattle?

Neben Climate Justice Action werden viele andere Gruppierungen auf Kopenhagens Strassen präsent sein. Auch viele grosse Umweltorganisationen, Hilfswerke und Menschenrechtsgruppen rufen auf, nach Kopenhagen zu fahren. Die kanadische Publizistin Naomi Klein spricht von einem neuen Seattle, dass sich da zusammenbraue. Vor zehn Jahren demonstrierten in der nordwestamerikanischen Stadt Zehntausende gegen ein Ministertreffen der Welthandelsorganisation WTO. Die Allianz reichte von Kleinbauern aus dem Süden, westlichen Gewerkschafterinnen bis zu Anarchisten und Hilfswerkvertreterinnen. Es war die Geburtsstunde der sogenannten Antiglobalisierungsbewegung.

Im Vergleich zu Seattle bestehen allerdings auch grosse Unterschiede. Damals ging es darum, ein Freihandelsabkommen zu verhindern. Diesmal will die grosse Mehrheit der AktivistInnen, dass ein möglichst verbindlicher Vertrag zustande kommt. Mit hochtrabenden Worten und unverbindlichen Erklärungen wird man sich kaum abspeisen lassen. Bei Greenpeace bestehen Pläne für den Fall eines Scheiterns des Gipfels, sagt Kampagnenleiter Alex Hauri; Genaueres will er jedoch nicht verraten

Der Aktivist Bill McKibben hat mit der von ihm lancierten Bewegung 350.org eine klare Zahl in die Diskussion gebracht (siehe WOZ Nr. 27/09): Die CO2-Konzentration in der Atmosphäre muss auf 350 ppm (parts per million) reduziert werden. Je länger der Wert darüber liegt, umso eher besteht die Gefahr, dass die Erwärmung die Grenzmarke von zwei Grad Celsius übersteigt. Damit würde jedoch ein Kreislauf in Gang gesetzt, der die Temperaturen nochmals massiv ansteigen liesse. Derzeit beträgt die Konzentration 387 ppm.

Mit einem Aktionstag am 24. Oktober hatte McKibben einen Beweis für die Grösse der Umweltbewegung geliefert. Gemäss eigenen Angaben haben sich an 5200 Orten in 181 Ländern Menschen versammelt, um für Emissionssenkungen zu protestieren. Bilder dazu aus aller Welt finden sich auf der Website von 350.org.

Es gibt allerdings auch Gruppierungen, die sich nichts vom Gipfel erhoffen. Das Bündnis «Never trust a cop» will den Gipfel «angreifen», weil es dort sowieso nur um die «Modernisierung des Kapitalismus» gehe. Die Klimadiskussion sei ein Ablenkungsmanöver vom «sozialen Krieg». Aktivitäten aus dieser Ecke könnten dazu führen, dass in der Medienberichterstattung die Bilder von Strassenschlachten dominieren.

Soziale Gerechtigkeit

Immerhin ist absehbar, dass man nach Kopenhagen nicht mehr von einem Klimaprotest, sondern von einer viel umfassenderen Bewegung spricht, die soziale Gerechtigkeit fordert. So reisen auch VertreterInnen der internationalen KleinbäuerInnengewerkschaft Via Campesina nach Dänemark. Die Organisation hat bereits angekündigt, dass sich auch ihre Leute an Aktionen des zivilen Ungehorsams beteiligen könnten. Man lehne jedoch «jegliche Form von Gewalt» ab. Darunter versteht Via Campesina allerdings auch, wenn hinter verschlossenen Türen Regeln ausgehandelt werden, die kein bäuerliches Leben mehr erlauben: «Eine Politik, die Konzernen CO2-Zertifikate für Monokulturplantagen zuspricht, ist gewalttätig. In entlegenen Dörfern führt sie zu Vertreibungen, bäuerlichem Widerstand, Repression und Verwüstung der Umwelt.»

Viele Organisationen fordern, dass die westlichen Industriestaaten jetzt Verantwortung übernehmen. Diese Staaten haben die hohe Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre verursacht. Die USA und die Staaten der EU sind seit Beginn der Industrialisierung für über 55 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich. «Die Industrienationen tragen die Hauptverantwortung für die Klimaveränderung, und die Entwicklungsländer, welche am wenigsten dazu beigetragen haben, leiden am meisten.» So bringt es etwa die Schweizer Allianz für eine verantwortungsvolle Klimapolitik auf den Punkt. In dieser Allianz sind linke und grüne Parteien, Gewerkschaften, Hilfswerke und Umweltorganisationen zusammengeschlossen.

In Kopenhagen werden die etablierteren NGOs drinnen wie draussen präsent sein. Zur offiziellen Schweizer Delegation gehört zum Beispiel auch Rosmarie Bär von der Alliance Sud sowie Patrick Hofstetter vom WWF. Organisationen wie Greenpeace haben zudem einen Beobachterstatus und werden im Konferenzgebäude mit ihren Leuten lobbyieren. Am 12. Dezember ist andererseits von vielen grossen NGOs auf den Strassen Kopenhagens eine grosse Demonstration für Klimaschutz und Gerechtigkeit geplant. Am selben Tag soll es weltweit zu solchen Kundgebungen kommen. Einen Tag später wollen die dänischen Kirchgemeinden – aber auch viele weitere rund um den Globus – ihre Glocken 350-mal läuten lassen.

Neben der Auseinandersetzung darüber, um wie viel die Industriestaaten ihre Emissionen von Treibhausgasen reduzieren müssen, werden sich die Gespräche in Kopenhagen vor allem um die finanzielle Entschädigung der Entwicklungsländer drehen. Die NGOs fordern, dass die Industriestaaten jährlich zusammen rund 170 Milliarden Franken dafür aufwenden. Im Falle der Schweiz wären das 1,7 Milliarden Franken. Auch Regierungen bestreiten nicht mehr, dass es solche Zahlungen braucht. Die Frage ist nur, wie viel und aus welchen Kassen das Geld genommen werden soll. Die Gefahr besteht, dass einzelne Länder einfach ihre normale Entwicklungshilfe entsprechend zusammenstreichen.

Gemäss Greenpeace-Kampagnenleiter Alex Hauri soll das Geld der Industriestaaten zu etwa einem Drittel Anpassungsmassnahmen finanzieren: «Es müssen Dämme gegen den steigenden Meeresspiegel errichtet, Brunnen gegraben und Wälder aufgeforstet werden.» Ein weiteres Drittel des Geldes soll dazu dienen, die weitere Abholzung der Wälder zu verhindern. Mit dem Rest des Geldes würden Anstrengungen der Entwicklungsländer abgegolten, die ihre Treibhausgasemissionen reduzieren. Ausserdem sollen sie mit grüner Technologie ausgestattet werden.

Die Forderungen der NGOs stossen bei den Entwicklungsländern auf Resonanz. Viele StaatschefInnen aus dem Süden haben klargemacht, dass sie eher ein Abkommen verhindern, als einem faulen Kompromiss zustimmen wollen. Der bolivianische Präsident Evo Morales spricht von «Klimaschulden», die die Industriestaaten bezahlen müssen. Zudem will er in Kopenhagen die Schaffung eines internationalen Gerichtshofes fordern, der die Schuld – von Regierungen wie Konzernen – an der Klimaerwärmung untersuchen soll. Die Afrikanische Union will aus verhandlungstaktischen Gründen noch nicht bekannt gegeben, wie viel Geld sie von den Industriestaaten fordert. Doch sie hat bereits Anfang November in Barcelona klargemacht, dass es ihr ernst ist. Am letzten Vorbereitungstreffen vor Kopenhagen verliess die afrikanische Delegation aus Protest gegen das fehlende Entgegenkommen der reichen Staaten den Saal und boykottierte die Veranstaltung während eines Tages.

Gut möglich, dass verschiedene Delegierte sich auch in Kopenhagen zu solchen Protestaktionen genötigt sehen. Vielleicht werden sie dann an der Volksversammlung der CJA-AktivistInnen teilnehmen. Kopenhagen könnte für einige Überraschungen sorgen.

 

Tricks und leere Versprechungen

Die EU strebt in Kopenhagen eine Gratislösung an. Wie die britische Zeitung «Observer» am Sonntag berichtete, will das europäische Staatenbündnis seine Klimaschutzzahlungen an die Länder des Südens vom ordentlichen Entwicklungshilfebudget abziehen.

Der «Guardian» zitiert in seinem Bericht aus einem internen Papier der EU-Verhandlungsdelegation. Darin heisst es, dass eine Vereinbarung, die Zahlungen «in Ergänzung zu» und «getrennt von» der Entwicklungshilfe vorsieht, «nicht akzeptiert werden kann». Mit dieser Vorgabe sei ein Scheitern von Kopenhagen programmiert, kommentierte ein Sprecher des Hilfswerks Oxfam die Nachricht. Die Entwicklungsländer würden das nie akzeptieren. Sie sind vorgewarnt: An der Klimakonferenz in Bonn von 2001 hatte die EU zusammen mit Kanada, Norwegen, Island, Neuseeland und der Schweiz bis zum Jahr 2008 mindestens 1,6 Milliarden US-Dollar versprochen – laut einer Berechnung der BBC sind aber bis heute nur 260 Millionen Dollar geflossen.