Cinemafrica: Der Zurückgekehrte

Nr. 47 –

Am kommenden Wochenende finden im Zürcher Filmpodium zum elften Mal die Afrikafilmtage statt. Ein Höhepunkt ist der preisgekrönte äthiopische Film «Teza» von Haile Gerima.


Das afrikanische Filmschaffen ist in der Schweizer Kino- und Festivallandschaft nur sehr marginal vertreten. Das Internationale Filmfestival Fribourg hat sich in diesem Jahr auf «Nollywood»-Produktionen aus Nigeria beschränkt, und in Locarno und Nyon standen in den letzten Jahren nur vereinzelt Filme aus West- und Ostafrika auf dem Programm. So bieten die afrikanischen Filmtage Cinemafrica seit 1987 eine zumindest für die Deutschschweiz einzigartige Gelegenheit, AutorInnenfilme aus allen Teilen Afrikas zu sehen und sich anhand von Retrospektiven vertieft mit dem Werk eines Filmemachers oder einer Filmemacherin auseinanderzusetzen.

Dieses Jahr muss Cinemafrica allerdings ohne Unterstützung der Deza, der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit, auskommen, einem wichtigen Geldgeber dieser Veranstaltung – aus Budgetkürzungs- und Umstrukturierungsgründen, wie aus Bern zu erfahren war. So können die afrikanischen Filmtage nur gerade übers Wochenende stattfinden und nicht wie üblich eine ganze Woche lang. Auch eine vorgesehene Retrospektive über das Werk des unabhängigen äthiopischen Autorenfilmers Haile Gerima ist aus finanziellen Gründen nicht realisierbar.

Zurück in die Heimat

Das schwarzafrikanische Kino zählt zu den grossen Verlierern der New Economy, die sich ausgehend von der Thatcher-Doktrin «mehr Wirtschaft, weniger Staat» seit Beginn der neunziger Jahre durchgesetzt hat und insbesondere dem kulturellen Nord-Süd-Dialog arg zusetzt. Die für den Dialog notwendigen staatlichen Fördermittel sind radikal gekürzt worden, und private InvestorInnen für Filme aus dem Süden lassen sich kaum finden. Unter diesen Voraussetzungen grenzt es heute fast an ein Wunder, wenn die Finanzierung für eine grössere afrikanische Filmproduktion überhaupt noch zustande kommt.

Dies gilt auch für so erfahrene und erfolgreiche Regisseure wie Haile Gerima, der in Locarno bereits 1976 für seinen Spielfilm «Harvest: 3000 Years» mit dem silbernen Leoparden ausgezeichnet worden war. Gerima ist 1946 in Äthiopien geboren und lebt seit 1968 in den USA, wo er als Filmschaffender, Produzent und Professor für Film arbeitet. «Teza» (2008) ist nach «Harvest: 3000 Years» sein zweiter in Äthiopien gedrehter Spielfilm.

Anberber (Aaron Arefe), der Protagonist von «Teza», kehrt Anfang der neunziger Jahre nach einer langen Zeit in der Emigration in sein Dorf zurück. Er hatte Äthiopien bereits zu Beginn der siebziger Jahre verlassen, um in der BRD Medizin zu studieren. Nun kommt er seine Mutter besuchen, die sich nichts sehnlicher wünscht, als ihren erfolgreichen Sohn wiederzusehen. Trotz der grossen Freude ist es für Anberber alles andere als eine glückliche Rückkehr: Zu gross sind die Erwartungen an den erfolgreichen Sohn, zu gross auch die Distanz zu seinen Kindheitserlebnissen, zu präsent seine zum Teil sehr traumatischen Erfahrungen in der Fremde, wo er weit mehr als die Hälfte seines Lebens verbracht hat. All diese Erinnerungs- und Erfahrungsschichten fächert Haile Gerima in sehr dichten, teils beängstigend realen, teils erhebend schönen lichtdurchfluteten Bildern auf, die er zusammen mit seinem italienischen Kameramann, Mario Masini («Padre Padrone», 1977), gestaltet hat.

Vierzehn Jahre Arbeit am Film

Teza heisst auf Amharisch Tau und meint auch die Zeit zwischen Nacht und Tag, wo sich die Sonne langsam durch die feinen Nebel zwängt und die mit Feuchtigkeit versorgte Vegetation in ihrer ganzen Schönheit erwacht. Die intensiven Lichtverhältnisse und das Licht auf den schönen, oft gross gezeigten Antlitzen der Frauen und auf den zerfurchten Gesichtern der alten Äthiopier führen den Protagonisten zurück in seine Kindheit. Aber so sehr die Natur verbindet – Anberber fühlt sich fremd und ausgeschlossen von der Dorfgemeinschaft, die den Zurückgekehrten, der von nächtlichen Albträumen heimgesucht wird, mit einer Vielfalt von Ritualen zu einem der ihren machen will. Doch der Zurückgekehrte akzeptiert die Regeln ihrer Gemeinschaft nur bedingt und weist das zur Heirat angebotene Mädchen ab, verliebt sich in eine vom Kollektiv verstossene Frau.

«Teza» ist ein «armer Film»: mit LaiendarstellerInnen, einer kleinen Equipe und auf Super-16-mm-Format gedreht. Er besticht durch seine ästhetische Grosszügigkeit und die Präzision, mit der Gerima das Dorf bis ins kleinste Detail gestaltet hat. Eine dichte und hoch differenzierte Tonspur verweist auf die reiche orale Tradition Afrikas: Sprechchöre von Kindern, raue und poetisch klingende Stimmen von Frauen sowie ritueller Männergesang vermischen sich mit den intensiven Geräuschen der afrikanischen Landschaft und wechseln sich mit dem Klang von modernen und traditionellen Einzelinstrumenten ab. Es sind in erster Linie diese vielschichtigen Klänge, die Anberber in seine Vergangenheit schwenken lassen. So wird seine Rückkehr ins Dorf immer wieder unterbrochen: «Teza» ist in Rückblenden erzählt, die auf verschiedene zeitliche Epochen verweisen. Auf Anberbers Jugend als militanter Emigrant in der BRD; auf einen gescheiterten Versuch, in den achtziger Jahren – der Zeit des autoritären sozialistischen Regimes unter Mengistu Haile Marima – als Arzt in Äthiopien Fuss zu fassen; auf die Rückkehr nach Deutschland, diesmal in die DDR, wo er den Fall der Mauer erlebt und bei einem rassistisch motivierten Überfall im wiedervereinigten Land schwer verletzt wird.

Vierzehn Jahre hat Haile Gerima an seinem elften Film Teza gearbeitet, was der Regisseur auch auf die prekäre Vertriebssituation zurückführt. An dieser Situation änderten auch die vielen Auszeichnungen, die er für «Teza» erhalten habe nichts, stellt der Regisseur in einem kürzlich geführten Interview ernüchtert fest.

Umso bedauerlicher, dass die am Cinemafrica geplante Retrospektive von Haile Gerimas Gesamtwerk aus finanziellen Gründen nicht stattfinden kann.


«Teza». Regie: Haile Gerima. Äthiopien 2009.

www.filmpodium.ch / www.orientkino.ch

Afrikanische Filme in Zürich

Cinemafrica zeigt fünf Dokumentarfilme von Angehörigen der zweiten Generation afrikanischer FilmemacherInnen, die alle mit digitaler Filmtechnik arbeiten. Katy Lena Ndiaye ist 1968 in Senegal geboren. In «En attendant les hommes» (2007) porträtiert sie drei Frauen aus dem Dorf Oualata am Rande der mauretanischen Wüste. Sie sprechen über ihre Erfahrungen als Bräute, Ehefrauen und Geschiedene in einer sehr traditionellen und streng patriarchalischen Gesellschaft. «La robe du temps» (2008) von Malam Saguirou aus Niger ist eine Langzeitstudie über die Schwierigkeiten der Modernisierung im Metzgereigewerbe seiner Heimatstadt Zinder. Die Marokkanerin Leïla Kilani hat in «Nos lieux interdits» (2008) vier Familien von Opfern der staatlichen Repression begleitet, die als militante Oppositionelle oder rebellische Jugendliche in den achtziger Jahren verschleppt wurden und bis heute verschwunden sind. Staatsterror und Denunziation in Kamerun sowie die politische Gleichgültigkeit eines Grossteils der Bevölkerung thematisiert «Une Affaire de Nègres» (2008) von Osvalde Lewat.

Nebst den Dokumentarfilmen gibt es auch Komödien aus Algerien zu sehen: Heiter und sinnlich geht es in «Délice Paloma» (2007) von Nadir Moknèche zu, dessen Vorbild die italienische Komödie ist.