Weltklimagipfel: Nicht cool bleiben!

Nr. 49 –

Zur wichtigsten Uno-Konferenz des Jahrzehnts reist die Schweiz mit fast leeren Händen an: Vor allem die anderen sollen die Treibhausgasemissionen senken.


Nächsten Montag beginnt in Kopenhagen die Weltklimakonferenz, an der die internationale Klimapolitik für die Zeit ab 2013 vereinbart werden soll. In den kommenden Wochen wird sich zeigen, ob die Welt es schafft, solidarische Antworten zu finden auf die grösste Bedrohung unserer Zeit. Es sieht nicht danach aus, dass das Bewusstsein dafür besonders gross ist.

Ende Oktober richtete die entwicklungspolitische Arbeitsgemeinschaft Alliance Sud eine Tagung zur Klimapolitik aus. Rosemary Olive Mbone Enie, Vertreterin der Organisation Women for Climate Justice in Liberia, sprach über afrikanische Frauen, die täglich kilometerweit gehen müssen, um Trinkwasser herzuschaffen. Nach ihr trat José Romero auf, Sektionschef beim Bundesamt für Umwelt und dort verantwortlich für die Klimaabkommen. Seine prägnanteste Botschaft lautete: «Keep cool. Man soll sich nicht von Emotionen leiten lassen.»

Bitte keine echten Lösungen

Cool bleiben, wenn wegen des Klimawandels auch die letzte noch erreichbare Wasserquelle versiegt? Dass dereinst sogar auf die Schweiz wieder existenzielle Bedrohungen zukommen könnten – etwa wenn in künftigen Hitzesommern keine Gletscher mehr dafür sorgen, dass in unseren Flüssen Wasser fliesst –, liegt völlig ausserhalb solcher Wahrnehmung.

Aber vielleicht braucht es Coolness, wenn man eine Position vertritt, von der man weiss, dass sie nicht genügt. Die Schweiz bietet in Kopenhagen an, ihre Treibhausgasemissionen bis 2020 um 20 Prozent zu senken, allenfalls um 30. Nur 10 Prozent freilich sollen echte Reduktionen sein, der Rest soll als sogenannte Kompensationen auf dem internationalen CO2-Markt eingekauft werden. Dabei sagt Umweltminister Moritz Leuenberger selbst, dass die Industriestaaten ihre Emissionen bis 2020 um 25 bis 40 Prozent senken müssten.

Nur eben: Die politische Stimmung steht nicht auf echte Lösungen für echte Probleme. Statt der künftig vielleicht wichtigsten Ursache von Massenmigration zu begegnen (die Zahl der Klimaflüchtlinge im Jahr 2050 wird auf hundert Millionen bis eine Milliarde Menschen geschätzt), verbieten wir den MigrantInnen, sichtbar zu sein. Nicht nur die Schweiz leidet unter einer solchen Verdrehung der Prioritäten. In unserem südlichen Nachbarland benutzt ein Caudillo schamlos den Staat für seine privaten Zwecke, aber in Bedrängnis bringen ihn seine Frauengeschichten. Im nördlichen Nachbarstaat gewann jene Partei die Wahlen, die am dreistesten versprach, was nicht einzuhalten ist.

Zu wenig Demokratie?

Aber, um bei Deutschland zu bleiben: Immerhin scheint es da mutigere PolitikerInnen zu geben als bei uns. So sagte der neue Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) kürzlich: «Es wird (bis 2020) eine ziemlich grundlegende Umstellung in der Wirtschaftsweise geben.» Beim Bundesrat, dem keine Autoindustrie und eine schwächere Energielobby als die deutsche im Nacken sitzt, tönt das so: Wegen der Klimapolitik «sind keine gravierenden strukturellen Effekte zu erwarten».

Sind Demokratien überhaupt fähig, grosse Umweltprobleme zu lösen? Einige verneinen es. Doch wir scheitern nicht an zu viel, sondern an zu wenig Demokratie. Eine Gesellschaft ist nur dann wirklich demokratisch, wenn sie auch rechtsstaatlich ist. Ein Mehrheitsentscheid, der einer Minderheit ein Grundrecht wie die Religionsfreiheit beschneidet, ist so wenig demokratisch wie das italienische Parlament, wenn es für die privaten Interessen des Regierungschefs die Gewaltentrennung untergräbt. Wenn wir in den Industriestaaten weiter Treibhausgase ausstossen wie bisher, beschneiden wir Grundrechte wie das Recht auf Nahrung von Hunderten von Millionen Menschen.

Ein Demokratiedefizit besteht auch, wenn Interessengruppen den öffentlichen Diskurs dominieren – nicht kraft guter Argumente, sondern kraft ihrer schieren Wirtschaftsmacht. Acht der zehn weltgrössten Konzerne sind im Erdöl- oder Automobilgeschäft tätig. In Washington kommen auf jedes Kongressmitglied vier LobbyistInnen der klimapolitischen BremserInnen. Die Zahl derer, die den ganzen Klimawandel für eine Inszenierung halten, ist in den USA laut Meinungsumfragen wieder deutlich angestiegen. In der Schweiz ist das Lobbying weniger krass, dafür haben wir die vorauseilend gehorsameren Behörden.

Man dürfe von Kopenhagen eben keine Wunder erwarten, sagt Leuenberger. Wenn man selber nichts dazu beiträgt, dass das «Wunder» möglich wird, darf man das tatsächlich nicht. Was wir von Kopenhagen aber dringend brauchen, ist exakt das, was unser Umweltminister ein Wunder nennt.