100 Wörter: Regierungswasser

Nr. 9 –

Brunnenwart Kundert freute sich auf den Saisonbeginn. Endlich wurden die Rohre entrostet, die Tröge entschlammt und das Wasser wieder freigegeben. Aus allen tausend Rohren der Stadt plätscherte nun wieder frisches Quellwasser und nicht diese mit Frostschutz versehene Chemietunke aus China, die man zur Täuschung der Touristen und Anwohner durch die Rohre jagte, weil die Leute im Winter kein Wasser tranken. Sie hatten Angst, dass ihre gebleichten Zähne vom Kälteschock abbröckeln oder die aufgespritzten Lippen am Rohr festfrieren und platzen würden. Das gesparte Wasser wurde in den Whirlpool der Regierung umgeleitet, wo es Dinge erlebte, über die es lieber nicht sprach.

Stephan Pörtner ist Krimiautor («Köbi der Held») und lebt in Zürich. Für die WOZ schreibt er Geschichten, die aus exakt 100 Wörtern bestehen.