Erika Burkart (1922–2010): Besuch bei einer Fee

Nr. 17 –

Die Lyrikerin starb am 14. April im Alter von 88 Jahren – kurz vor Erscheinen ihres neuen Buchs. Anya Schutzbach vom Weissbooks-Verlag erinnert sich an eine letzte Begegnung.


Ein Anruf aus der Schweiz, an einem hellen Wintertag. Es war C., ein dem Verlag wohlgesinnter Kritiker, der uns, seitdem wir begonnen hatten, freundlich aus der Ferne beobachtete, begleitete, mit spürbarer Sympathie.

Er fragte, ob ich Erika Burkart kennte. EB, die Lyrikerin, die Erzählerin. Ammann könne ihren neusten Band nicht mehr veröffentlichen, sie aber liege krank und sorge sich um ihr Buch. Sie wünsche sich nichts mehr, als eine Heimat für ihr Buch zu wissen. Für ihr letztes Buch – vielleicht. C. schwärmte, er dozierte, er pries, er kämpfte – auf seine dezente Art. Nach dem Gespräch war ihm gelungen, dass ich verstand. Mir war klar, um was es ging. Und um wen.

Mein Kollege Rainer Weiss und ich entschieden uns leicht und rasch; was zu lesen war, nahm uns ein, spann uns ein. Wir liessen uns gern einspinnen und einspannen: Die Poesie, die das Manuskript atmete, war schwerelos und stark zugleich, es liess keinen Zweifel zu. Da sprach eine weise Dichterin. Die duldete keinen Zweifel. Eine Frau, die alle Angst hinter sich gelassen hatte.

Hin zu einem Geheimnis

Wenige Wochen später sitze ich neben C. im Auto. Ein farbloser Wintersamstagmorgen, im Kofferraum Blumen, auf den Knien so etwas wie eine Wegbeschreibung: Mellingen, Nesselnbach, Niederrohrdorf, Niederwil, Bremgarten, Vogelrüti, Busslingen, Stetten – dann zur Reuss hinunter, über die kleine Brücke: hier das Kloster Gnadenthal. Dahinter das Pflegeheim. Ein kleiner Streicheltierzoo auf dem Weg zu den Pflegegebäuden, gelb und rosa und dreistöckig, glaube ich. In meiner Erinnerung nimmt C. mich bei der Hand und führt mich in ein Feenreich an jenem Wintermorgen. Auch wenn ein Pflegeheim alles andere ist als ein Feenreich. Aber Erika Burkarts Zimmer war ein solches, denn hier lag, schön und zart und sehr zerbrechlich, eine alte Fee.

Es war auch, als führte mich einer hin zu einem Geheimnis. Einem Geheimnis, das nur er zu kennen schien. Die Welt war hier nicht. Die Welt hat keine Ahnung. Die Welt interessiert sich für anderes. Dabei lag hier ein Schatz: ein Schatz, der, mit einem Bleistift in der gichtigen Hand, beide Arme in die Luft schleuderte und die Worte, die Buchstaben einfangen wollte, ein Schatz, der grosse blaue Augen hatte und eine vogelfeine Stimme, ein Schatz, der eitel genug war, das lange Haar wie ein Mädchen immer wieder über die Schultern nach vorn zu streichen.

Der Blick aus dem Fenster in die Natur: ein Geschenk. Das Gespräch auf der Bettkante, das Lachen auch über dieses und jenes: ein Geschenk. Die Stille in den Minuten des Wegnickens. Ein Geschenk.

Spinnfäden ums Gemüt

Später die Fahrt übers Winterland, hie und da noch Schnee. C. und ich spazieren in Althäusern zum Haus Kapf hinauf – das Haus, in dem Erika Burkart aufgewachsen war und später mit ihrem Ehemann, dem Schriftsteller Ernst Halter, lebte – ein wenig drumherum, wir blicken von oben ins Land. Die Landschaft wie ein Bogen Papier, gross und weit und mit ausfransenden Kanten, handgeschöpft, uneben. Darauf Linien und Zeichen wie eine eigene Schrift, kahle Bäume.

Vor mir liegt jetzt ein Buch. Es heisst «Das späte Erkennen der Zeichen». Den Umschlag hat Erika Burkart noch gesehen. Die behutsamen Korrekturvorschläge von Rainer Weiss hat sie noch mit Ernst Halter besprochen. Über die Vorabdrucke, die es im Umfeld ihres letzten Geburtstags gegeben hat, hat sie sich gefreut.

Das Buch fühlt sich an wie ein Winteracker, schneebestäubt. Es wiegt nicht viel. Es ist unaufdringlich schön. Wenn man es liest, weben sich Spinnfäden ums Gemüt, es spinnt einen ein.

Es ist ein Geschenk von Erika Burkart. Und ein Geschenk von C. – an sie, an uns.

Erika Burkart: Das späte Erkennen der Zeichen. Weissbooks. Frankfurt am Main 2010. 88 Seiten. Fr. 29.90