100 Wörter: Stehlen und singen

Nr. 21 –

Der Vater von Gabathuler hat die Italiener nie besonders gemocht. Ganz besonders hasste er das Lied «Volare, Cantare», denn er war überzeugt, dass «volare» stehlen hiess, analog dem Französischen «voler», und Französisch hatte er gelernt, der alte Gabathuler, in der Sekundarschule und nicht ohne Widerwillen. Er hielt das Lied für eine Verhöhnung des arbeitenden Menschen. «Stehlen und singen», pflegte er zu brummen: «So sind sie!» Als ihm dann jemand mithilfe eines offiziellen Wörterbuches nachwies, dass «volare» Fliegen heisst, liess er sich nicht beeindrucken. «Seit wann können denn die Italiener fliegen?», schimpfte er. «Das ist doch erst recht ein fertiger Chabis!»

Stephan Pörtner ist Krimiautor («Köbi der Held») und lebt in Zürich. Für die WOZ schreibt er Geschichten, die aus exakt 100 Wörtern bestehen.