Medienfinanzierung: Schmeicheln statt zahlen

Nr. 27 –

Werbung in den Medien stört, Abonnemente und Empfangsgebühren sind zu hoch, und im Internet will sowieso niemand zahlen. Steigt die Zahlungsfreude, wenn man honorieren kann, was einem gefällt? Über die Risiken und Nebenwirkungen des Bezahlmodells «Flattr».


Gratis und werbefrei, so sieht das Nachrichtenschlaraffenland aus. Für Medien Geld auszugeben, empfinden heute viele als notwendiges Übel, zumal es im Internet ein schier grenzenloses Angebot mit kostenlosen Inhalten gibt. Und nirgends lässt sich dank technischer Blockademöglichkeiten Werbung so effizient ausblenden wie im Internet. Doch die Rechnung geht nicht auf. Irgendwo fallen immer Kosten an. Journalismus gibt es nicht gratis. Trotz der erdrückenden Kostenloskonkurrenz aus dem Netz unternehmen die Medien erstaunlich wenig, um die Lust auf den Griff zum Portemonnaie zu fördern (vgl. «Das Kreuz mit dem Geld im Netz» weiter unten). Daher überrascht es wenig, wenn Experimente, die eine neue Beziehung zwischen zahlenden KundInnen und ihren Medien zu etablieren versuchen, nicht aus dem traditionellen Medienbetrieb kommen, sondern aus der entgegengesetzten Ecke.

Flattr – in der Testphase

Peter Sunde ist das Gegenteil eines Medienmanagers; er ist Pirat, ein Netzpirat. Erstinstanzlich verurteilt wegen Beihilfe zur Verletzung des Urheberrechts, weil er die Plattform «The Pirate Bay» mitbetrieben hatte. Dieser Verzeichnisdienst hilft dabei, grosse Dateien über das Internet zu verschieben, was auch mit urheberrechtlich geschütztem Material wie Musik und Video geschah und Sunde deshalb die Klage einbrachte. Das hindert ihn freilich nicht daran, das Internet auch weiterhin so mitzugestalten, wie er es für sinnvoll hält. Sein jüngstes Kind heisst Flattr und ist ein einfaches System zur Honorierung kreativer Arbeit im Internet. Flattr leitet sich vom englischen Verb «to flatter» ab, «schmeicheln» also; und Geldbeträge empfängt man immer gerne als Schmeicheleinheiten.

Das Bemühen um redliches Entgelt für redliche Arbeit stehe in keinerlei Widerspruch zu seinem früheren Piratendasein, findet Sunde. Im Gegenteil: «Wir wollen die Leute dazu ermuntern, genau so miteinander Geld zu teilen, wie sie das mit Inhalten im Internet tun», liess sich der Flattr-Gründer von der britischen BBC zitieren. Zurzeit befindet sich Flattr noch in der Testphase. Doch schon jetzt lässt sich ablesen, wo seine Grenzen und Möglichkeiten liegen.

Mit Flattr lassen sich kaum jene Summen einspielen, die bisher mit dem Verkauf von Abonnementen und mit Werbung in die Kassen der Medien flossen. Daher eignet sich das Bezahlsystem schlecht zum Rettungsanker, sondern ist vielmehr ein Gedankenanstoss, ein Modell, das weitergedacht und -entwickelt werden muss. Dessen war sich auch die Berliner Tageszeitung «taz» bewusst, als sie sich im Mai entschied, auf den neuen Zug aufzuspringen. Zwar sehen sich von Flattr in erster Linie Einzelpersonen angesprochen, die im Internet ihr Schaffen bisher kostenlos veröffentlicht haben und nun eine einfache Möglichkeit erhalten haben, sich dafür honorieren zu lassen. Das hinderte die «taz» aber nicht daran, unter jeden Artikel auf ihrer Website einen Bezahlknopf zu setzen. ZeitungsleserInnen, die bei Flattr ein Konto anlegen und monatlich mit einem Geldbetrag äufnen, können nun Texte, die ihnen gefallen, mit einem Mausklick honorieren. Dabei bestimmen sie selbst, wie viel ihnen ein einzelner Klick wert ist.

Hoffen auf «spürbaren Beitrag»

In den ersten eineinhalb Monaten, nachdem «taz.de» die neue Bezahlmöglichkeit eingerichtet hatte, kamen auf diesem Weg 1130 Euro zusammen. Aus der vergleichsweise kleinen Summe herauslesen zu wollen, dass sich mit Journalismus im Internet kein Geld verdienen lässt, wäre aber falsch. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall. Für gute Inhalte sind manche Leute offenbar bereit zu zahlen, wenn auch nicht Riesensummen, sondern ein paar Rappen oder Cent. Und zwar freiwillig. Die Bedeutung der umgerechnet 1500 Franken, die «taz.de» in der ersten Phase mit Flattr eingenommen hat, muss man insofern relativieren, als dass während der Testphase nur eine beschränkte Anzahl Leute das System nutzen kann. Deshalb lasse sich heute nicht realistisch abschätzen, wie gross das Umsatzpotenzial sei, sagt Matthias Urbach, der Leiter von «taz.de». «Ich hoffe aber sehr, dass Flattr einen spürbaren Beitrag zur Finanzierung von ‹taz.de› leisten kann.»

Auch andernorts in Berlin hegt eine Redaktion Hoffnung. Die Wochenzeitung «Der Freitag» setzt auf ihrer Website ebenfalls seit kurzem Flattr ein. Natürlich des Geldes wegen. Aber nicht nur, wie der stellvertretende «Freitag»-Chefredaktor Jörn Kabisch schreibt. Was ihm besonders gefällt: «Es wird nicht vor der Lektüre gezahlt, sondern danach, und nur dann, wenn dem einzelnen Leser der Text was wert ist.» Er selbst, schreibt Kabisch weiter, lese Texte im Netz aufmerksamer, seit er selbst die Möglichkeit habe, ein bisschen Geld zu verteilen. Klingt alles plausibel. Flattr macht vieles richtig und weist einen möglichen Weg, wie Onlinemedien zu Geld kommen, ohne dabei ihre Inhalte hinter Bezahlschranken aus dem offenen und frei verlinkbaren Internet wegzuschliessen. Doch wie bei jedem Heilmittel geht es auch hier nicht ohne Risiken und Nebenwirkungen.

Nur noch schreiben, was rentiert?

Flattr legt schonungslos offen, wie beliebt einzelne Artikel sind. Ebenso sichtbar wird natürlich auch, welche Beiträge niemanden zum Griff ins Portemonnaie motivieren. Nun besteht eine gewisse Verlockung, diese Abstimmung mit dem Geldbeutel zum Nennwert zu nehmen. Nach dem Motto: Wir machen nur noch, was rentiert – oder wovon wir uns zumindest erhoffen, dass es Geld bringt. Zwar existiert mit den Zugriffsstatistiken schon heute ein vergleichbares Instrument, womit sich die Popularität einzelner Inhalte im Internet messen lässt. Aber eine Geldtransaktion, wie sie Flattr ermöglicht, ist eine ungleich stärkere Aussage als ein flüchtiges Anklicken einer Seite. Matthias Urbach sieht dennoch kein Risiko, dass bei «taz.de» nun ein «Flattr-Populismus» Einzug hält. Doch ganz bedeutungslos sind die Ergebnisse natürlich nicht. Sie dienten der Redaktion als «Kompass für die allgemeine Themenausrichtung», sagt Urbach. «Wenn wir sehen, dass bestimmte Themen besonders gut geklickt oder geflattert werden, dann recherchieren wir auch mehr in diese Richtung.» Genauso wichtig sei aber die motivierende Wirkung. «Für einen Redaktor ist es immer ein gutes Gefühl, zu erfahren, dass sein Text besonders gut ‹geflattert› wurde.»

Die anderen, deren Texte keine Flattr-Spenden einbringen, seien in guter Gesellschaft. Eine Mehrheit der Artikel hat bis heute nämlich noch gar keine Spenden generiert. Selbst wenn dereinst munter gespendet werden sollte, bleibt Flattr letztlich ein Nischenprodukt. Grosse Medienhäuser, die sich mit wenigen Ausnahmen schwertun mit tragfähigen Erlösmodellen im Internet, werden wahrscheinlich nie auf ein Spendensystem setzen. Das würde beim Publikum auch einen seltsamen Eindruck erwecken, wenn eine NZZ oder ein «Tages-Anzeiger» plötzlich die hohle Hand hinhalten würde.



Das Kreuz mit dem Geld im Netz

Wer im Internet für journalistische Inhalte die LeserInnen zur Kasse bitten will, beisst meist auf Granit. «Das ist eine Frage der Sozialisierung», weiss Patrick Rademacher, Spezialist für Onlinemedien an der Universität Zürich. «Die Leute haben nie etwas anderes gekannt.» Entsprechend schwierig sei es, diese Gewohnheiten zu ändern, die Gratismentalität zu brechen. «Man muss den Leuten klarmachen», sagt der Medienwissenschaftler, «dass das, was sie heute gratis vorfinden im Netz, einen Preis hat.» Ein anspruchsvolles Unterfangen, das nur dann gelingen kann, wenn die ganze Branche am gleichen Strick zieht. Denn solange etwas kostet, was es um die Ecke weiterhin umsonst gibt, bringt jede Kommunikationsanstrengung nicht viel. Bis jetzt handelten die grossen Medienunternehmen einigermassen glücklos, verlangten mal Geld, gaben die Inhalte dann wieder frei. Ein kurzatmiges Hüst und Hott. Doch ans Aufgeben denken sie deshalb nicht. So will es Rupert Murdoch noch einmal wissen. Seine «Times» gibt es seit dem 2. Juli im Netz nur noch gegen ein Entgelt zu lesen, in der Startphase zu sehr moderaten Tarifen. Doch selbst das bescheidene eine Pfund, mit dem die «Times»-Lektüre während des ersten Monats zu Buche schlägt, sind viele ehemaligen LeserInnen nicht bereit zu zahlen. Wie verschiedene Zugriffsstatistiken zeigen, steuern seit Einführung der Bezahlschranke deutlich weniger Leute die Website thetimes.co.uk an. Murdoch baut insofern nicht auf Sand, als dass er beim 2007 erworbenen «Wall Street Journal» das Publikum auf der Website erfolgreich zur Kasse bittet. Auch für die «Financial Times» und den «Economist», die für einen Grossteil ihrer Onlineangebote Geld verlangen, sind die LeserInnen bereit, zu zahlen. Der Erfolg dieser drei Titel sagt aber noch gar nichts über die Perspektiven der «Times» und ihres neu eingeführten Onlinebezahlmodells aus. Denn für Fachinformationen, wie sie die drei Finanzpublikationen anbieten, ist die Bereitschaft, zu zahlen, erwiesenermassen grösser als für allgemeine Nachrichten, wie es sie weiterhin auch kostenlos im Netz geben wird.

Grosse Hoffnung setzen die Verlage auch auf das mobile Internet. Mit Smartphones sind es viele NutzerInnen bereits gewöhnt, per Daumendruck allerlei nützliche und unnütze Zusatzanwendungen für ihren Taschencomputer zu erwerben. Ob sie das auch für Medienangebote tun mögen, lässt sich noch nicht verlässlich sagen, da erst wenige Verlage diesen Weg beschreiten.

Damit bleibt vorerst der Verkauf von Werbung als wichtigste Refinanzierungsmöglichkeit für journalistische Inhalte im Internet. Nur fliessen hier die Gelder vorerst noch spärlich. Besonders in der Schweiz, wo sich die Zeitungsverleger mit ihrem zögerlichen Verhalten und der anfänglichen Ignoranz dem neuen Medium gegenüber im Vergleich mit anderen Ländern einen Rückstand eingehandelt haben. So fliessen hierzulande erst rund fünf Prozent sämtlicher Werbegelder in Onlinewerbung. Und dieser Betrag wiederum kommt nur zu Teilen den Medien zugute, da das Geld dorthin geht, wo die NutzerInnen sind. Als «am stärksten werberelevante» Websites gelten Suchmaschinen, Verzeichnisdienste und Internetdienstleister. Erst danach folgen Medienangebote.