Fichenskandal (2): Überflüssiger Fleiss

Nr. 33 –

Nachforschungen im Kanton St. Gallen zeigen, dass nicht nur die kantonalen Datenschützer, sondern in der Regel auch die Kantonsregierungen überhaupt keine Kontrolle über kantonale Staatsschutztätigkeiten haben.


«Ein Skandal ungeheuren Ausmasses», benennt der St. Galler SP-Kantonsparlamentarier und Anwalt Fredy Fässler in einer einfachen Anfrage an die St. Galler Regierung die erneuten staatsschützerischen Schnüffeleien. Er will vom Regierungsrat wissen, wie der neue Fichenskandal von der Exekutive beurteilt wird, ob und wie die BürgerInnen künftig vor derartigen Übergriffen des Staates geschützt werden und ob die Regierung auch gewillt ist, sich für die Betroffenen einzusetzen, wenn diese Einsicht in die Fichen verlangen.

Grosse Offenheit erwartet Fässler nicht. «Ich denke, die Antwort wird sehr verwedelt sein», sagt er und macht keinen Hehl daraus, dass er staatsschützerische Datensammlungen ohnehin völlig absurd findet. «Der Staat kann sich ausreichend mit dem Strafrecht schützen», meint er. «Es enthält einen ganzen Katalog von Delikten, die theoretisch im Zusammenhang mit Staatsschutzaktivitäten in Frage kommen.» An Stelle geheimer Schnüffeleien verlangt Fässler absolute Rechtsstaatlichkeit. Nur so könnten die Betroffenen die ihnen zustehenden Verfahrensrechte nutzen; die Verfahren fänden auch irgendwann einen Abschluss und würden durch gerichtliche Urteile entschieden. «Mir ist nicht klar, warum die Staatsschützer nicht diesen Weg beschreiten. Wenn sie es nicht tun, heisst das doch, sie wissen überhaupt nicht, was sie denn wirklich schützen wollen und warum», meint Fässler und konstatiert damit beim Staatsschutz vor allem eine fehlende Definition seiner Tätigkeit.

«Konzeptlose Zusammenstellung»

Der Präsident der St. Galler Anklagekammer, Niklaus Oberholzer (SP), kann dem Staatsschutz und seiner Umtriebigkeit ebenfalls nichts abgewinnen. Wer nicht im Verdacht stehe, eine Straftat begangen zu haben, der sollte in keiner staatsschützerischen Datensammlung auftauchen, sagt Oberholzer. 1989 habe in dieser Frage ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Jetzt scheine sich das aber wieder umgekehrt zu haben. Es würden Datensammlungen auf Vorrat angelegt, zum Beispiel mit Videoüberwachungen und dergleichen. Wenn etwas passiere, würden die Vorratsdaten abgeglichen.

«Bei dieser Methode stellt sich automatisch Misstrauen bei den BürgerInnen gegenüber dem Staat und seinen Institutionen ein», fährt der Präsident der St. Galler Anklagekammer fort. Er war 1989 Experte bei der Fichen-PUK. «Dieses Misstrauen verändert das Sozialverhalten. Das sind die politischen und soziologischen Auswirkungen eines Staatsschutzes auf Vorrat.» Zur Qualität der aufgeblähten und konzeptlos zusammengestellten Datenbanken meint Oberholzer, dass sie ohne regelmässige Pflege und Kontrolle nutzlos seien.

KKS ohne Einsicht

Mit Staatsschutzaufgaben respektive dem Sammeln diesbezüglicher Daten sind im Kanton St. Gallen drei Beamte der Kantonspolizei mit 300 Stellenprozent beschäftigt. Die Beamten würden ausschliesslich im Auftrag des Bundes arbeiten und erhielten keinerlei Aufträge des Kantons, sagt Hans-Rudolf Arta, Generalsekretär des kantonalen Sicherheits- und Justizdepartementes. «Sie sind im Rahmen des Bundesgesetzes zur Wahrung der Inneren Sicherheit (BWIS) tätig. Die Verantwortung für den Staatsschutz liegt beim Verteidigungsdepartement (VBS). Der Kanton St. Gallen führt keine eigene Staatsschutz-Datenbank. Die drei Polizisten sammeln die Daten allein nach den Vorgaben des Bundes», führt Arta weiter aus.

Laut dem Generalsekretär erhalten kantonale Behörden, auch die Vorgesetzten der drei Beamten und selbst die Departementschefin, Regierungsrätin Karin Keller-Sutter, keine Einsicht in die Datenbanken. Die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren verlangt jetzt in einem Vorstoss, dass der Bund die Kantone über die Datenbanken des Staatsschutzes informiert. Bisher ist der jährliche Staatsschutzbericht die einzige Informationsquelle.