Fichenskandal (1): Die Dossiers der Kantone
Kantonale Polizeibehörden übernehmen Staatsschutzaufgaben im Auftrag des Bundes und bewahren die Daten danach auf. Nun regt sich dagegen der Widerstand der kantonalen Datenschutzbeauftragten.
Der nördlichste Kanton der Schweiz ist nicht unbedingt bekannt dafür, Vorreiterrollen zu übernehmen. In Sachen Staatsschutzkontrolle steht Schaffhausen aber an der Spitze einer Entwicklung, die spätestens seit dem Bekanntwerden des neuen Fichenskandals vor rund zwei Monaten eingesetzt hat. Der Schaffhauser Datenschützer Christoph Storrer hat diesen Februar eine «umfassende Kontrolle der kantonalen Staatsschutzdaten durchgeführt» – in direkter Absprache mit dem zuständigen Polizeikommandanten Kurt Blöchlinger. Ein bisher einmaliger Vorgang.
Rechtlich gesehen war die Kontrolle kein Problem, denn die Fichen existieren im Doppel: Die Kantonspolizei Schaffhausen, das kantonale Organ des Staatsschutzes, erhebt auf Grundlage des Bundesgesetzes zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS) Daten und schickt diese anschliessend nach Bern in die nationale Staatsschutzdatenbank Isis.
Diese Daten sind rechtlich eindeutig Bundesdaten, wobei «es keine Rolle spielt, ob die Datenerhebung oder -aufbewahrung durch Bundes- oder Kantonsorgane oder gar durch Private geschehen ist», wie Felix Endrich, Mediensprecher des Nachrichtendienstes des Bundes (NDB) festhält. «Ein kantonales Kontrollorgan kann in Daten des Bundes nur Einsicht nehmen, wenn eine Zustimmung des NDB dafür vorliegt.» Die Kantonspolizei Schaffhausen fasst aber auch Teile von BWIS-Daten in Word-Dokumenten zusammen und legt diese als Ausdruck in einem Ordner ab. «Diese Sammlung ist als kantonale Datenbank vom zuständigen Verteidigungsdepartement (VBS) bewilligt worden», sagt Endrich, «eine Bewilligung des NDB für diese Einsichtnahme war somit nicht notwendig.»
Ruf nach «unabhängiger Kontrolle»
Der Fall in Schaffhausen könnte wegweisend sein für die anderen kantonalen Datenschutzbeauftragten. Bestehen in ihren Kantonen auch vom VBS bewilligte Datenbanken, so genügt für eine Kontrolle die Zusage des zuständigen Polizeikommandanten – oder je nach kantonaler Rechtslage des obersten Staatsanwaltes. In Sachen kantonale Datenbanken liegt es nun an den kantonalen DatenschützerInnen zu handeln.
In den Kantonen regt sich aber auch ein grundsätzlicher Widerstand gegen die aktuelle gesetzliche Praxis: Der Bund erteilt zwar den Auftrag zur Überwachung verdächtiger Personen und bezahlt auch dafür (die Kantone erhielten im Jahr 2009 für Staatsschutztätigkeiten 8,4 Millionen Franken, verteilt auf gesamthaft 84 Stellen), die Ausführung übernimmt aber ein kantonales Organ.
Während beim Bund – wenn auch auf höchst ungenügende Art und Weise – eine dienstliche, eine parlamentarische (Geschäftsprüfungsdelegation) und eine unabhängige (eidgenössischer Datenschutzbeauftragte) Instanz zur Kontrolle verpflichtet sind, fehlt diese auf kantonaler Ebene – es sei denn, sie werde den DatenschützerInnen freiwillig zugestanden wie in Schaffhausen.
«In einem funktionierenden Rechtsstaat braucht es eine unabhängige Kontrolle beim Staatsschutz. Diese war bisher auf kantonaler Ebene nicht möglich. Das muss sich ändern», sagt der Basler Datenschützer Beat Rudin und erhält Schützenhilfe von seinen BerufskollegInnen: «Als kantonale Datenschutzbeauftragte will ich wissen, was unsere Staatsschutzleute bei der Kantonspolizei mit den gesammelten Daten im Kanton machen», meint Ursula Stucki aus Baselland, und der Zürcher Datenschutzbeauftragte Bruno Baeriswyl kritisiert die Tatsache, dass «wir das Einverständnis für eine Kontrolle genau von jener Instanz brauchen, die wir kontrollieren sollen». In Zukunft fordert er «klare Regelungen, was unsere Kompetenzen betrifft. Ansonsten gibt es Graubereiche und Unsicherheiten.»
Klare Regelungen gibt es auch im Kanton Schaffhausen nicht. Aber es gibt einen Polizeikommandanten, der in einem Interview mit den «Schaffhauser Nachrichten» sagte: «Ich finde es äusserst wichtig, dass wir in diesem Bereich offen und transparent sind.» So konnte der Datenschutzbeauftragte Christoph Storrer ohne Einschränkungen Einsicht in die «kantonalen Staatsschutzdaten» nehmen. Das Ergebnis seiner eintägigen Kontrolle hat er für die WOZ wie folgt zusammengefasst:
⇒ Die kantonale Datenbank umfasst knapp fünfzig Dossiers, die jeweils einer fichierten Person zugeordnet werden können.
⇒ Kein Dossier war älter als drei Jahre.
⇒ Die fichierten Personen werden weitgehend dem rechts- oder linksextremen Bereich zugeordnet.
⇒ Alle Dossiers fussen auf konkreten Aufträgen des NDB, die Kantonspolizei Schaffhausen führt keinerlei selbstständige Staatsschutztätigkeit aus.
⇒ Die Dossiers bestehen aus digitalen wie auch aus physischen (Fotos, Flyer, etc.) Elementen, in der Regel umfassen die Berichte mehrere A4-Seiten.
⇒ Der Zugriff auf die Dossiers ist nach Polizeiangaben streng beschränkt.
⇒ Im Bereich Datenschutz sind keine Unrechtmässigkeiten zutage getreten. Vom «Sammelwahn» auf Bundesebene kann aus Sicht von Storrer im Kanton Schaffhausen keine Rede sein.
⇒ Die Kantonspolizei bewahrt Kopien der Staatsschutzdossiers auf, weil der Zugriff auf die nationale Datenbank Isis offenbar schwerfällig ist.
Letztere Feststellung deckt sich mit jener, die im GPDel-Bericht über die Datenbearbeitung im Isis aus den Kantonen Bern, Basel-Stadt und Genf gemacht wurde.
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Beim NDB nimmt man die Kritik an Isis zur Kenntnis: «Auch wenn die Benutzerfreundlichkeit zu wünschen übrig lässt, steht Isis den kantonalen Stellen als effektives Hilfsmittel zur Verfügung und wird von diesen auch nachgewiesenermassen rege benutzt. Die Gesamtübersicht besteht nur beim Bund, weshalb die kantonalen Systeme Isis nicht ersetzen können», sagt NDB-Sprecher Felix Endrich. Er sagt auch: «Die Kontrollen durch die kantonalen Datenschutzbeauftragten werden im Übrigen vom NDB voll und ganz unterstützt» und verweist auf den Kanton Zürich, wo «Anfang Juli eine Kontrolle bei der Kantonspolizei in Zusammenarbeit und im Beisein von Vertretern der Nachrichtendienstlichen Aufsicht des VBS und des NDB stattgefunden hat». Die Ergebnisse will der Zürcher Datenschützer Bruno Baeriswyl im September bekannt geben.
Gleichzeitig versucht derzeit eine Arbeitsgruppe innerhalb des Berufsverbandes der schweizerischen Datenschutzbeauftragten Privatim, ein einheitliches Vorgehen zu entwickeln, um die Kontrollen bei den kantonalen Organen zu verbessern. Es ist höchste Zeit dafür, denn mit Ausnahme von Schaffhausen unterstehen die kantonalen Staatsschutzorgane keinerlei unabhängigen Kontrollen. Das kann weder im Sinne der Datenschutzbeauftragten noch der Zivilbevölkerung sein.