Too big to fail: Den Banken ist beim Risiko nicht zu trauen

Nr. 40 –

Die Schweizer Behörden wollen strengere Auflagen für die Banken. Aber die neuen Regeln zielen am Kern der Sache vorbei. Eine Systemreform wird nicht angepackt.


Es ist Dienstagnachmittag, und der Wirtschaftsprofessor am anderen Ende der Leitung tönt, als hätte er seit Wochen nicht geschlafen: «Ich habe seit eineinhalb Tagen ununterbrochen Interviews gegeben», stöhnt er. «Und dazwischen Vorlesungen an der Uni. Es tut mir leid, aber ich bin wirklich nicht mehr in der Lage, Ihre Fragen zu beantworten.»

Fragen. Die gibt es zur Genüge. Dabei hätte der Montag Antworten bringen sollen. Anfang Woche stellte die Expertenkommission um Peter Siegenthaler, ehemaliger Chef der Finanzverwaltung, SP-Mitglied und seit diesem Sommer Bundesbeamter im Ruhestand, ihren Bericht «zur Limitierung von volkswirtschaftlichen Risiken durch Grossunternehmen» vor. Der Bericht und die darin enthaltenen Empfehlungen bilden die Grundlage für neue Regulierungsvorschriften, die bis 2018 umgesetzt werden sollen.

Im November vor einem Jahr hatte die Kommission den Auftrag erhalten, einen Bericht zur Too-big-to-fail-Problematik zu verfassen: Welche Grossunternehmen in der Schweiz sind so gross, dass der Staat sie nicht Konkurs gehen lassen kann? Welche Folgen hätte der Kollaps eines solchen Unternehmens für die Volkswirtschaft? Wie können die Risiken verkleinert werden? Wo braucht es neue Ansätze?

Wirksamkeit der Massnahmen wird bezweifelt

Der Bericht hätte Siegenthalers Karriere krönen können – selbst politische Gegner halten ihn für einen der fähigsten Bundesbeamten in Bern. Aber die im Bericht vorgeschlagenen Empfehlungen der Expertenkommission lassen Fragen offen, stecken in überholten Denkmustern fest – und am gravierendsten: Sie umschiffen die entscheidende Frage, wie das Problem zu grosser Banken zu lösen ist.

Gemäss den neuen Regeln der Expertenkommission müssen Banken unter anderem zehn Prozent der risikogewichteten Aktiven mit «hartem Eigenkapital» unterlegen. Weitere neun Prozent geben sie als sogenannte Coco-Wandelanleihen aus, Schuldscheine also, die im Krisenfall zwingend in Aktien umgewandelt und so zu Eigenkapital werden. Damit geht die Schweiz, die wegen der Grösse des Finanzplatzes bei Finanzkrisen besonders gefährdet ist, über die kürzlich beschlossenen internationalen Empfehlungen von Basel III hinaus. Daniel Lampart, Chefökonom des Gewerkschaftsbundes, begrüsst, dass die Eigenmittel erhöht werden, er bezweifelt aber die Wirksamkeit der vorgeschlagenen Massnahmen: «Der Fall UBS, wie wir ihn im Herbst 2008 erlebten, hätte wohl auch mit den neuen Regeln nicht verhindert werden können.» Er rechnet vor, dass die UBS nach diesen Regeln zwischen dreissig und vierzig Milliarden Franken an hartem Eigenkapital hätte und fast ebenso viel an Pflichtwandelanleihen. «Allein zwischen 2007 und 2009 verlor die UBS 46 Milliarden Franken.» Weitere vierzig Milliarden habe die Grossbank dank des Rettungspakets an die Nationalbank weitergeben können. «Im schlimmsten Fall hätten also auch die neuen Regeln nur sehr knapp oder gar nicht gereicht», sagt Lampart. Die neuen Regeln verminderten das Risiko, verhinderten es aber nicht: «Da wird den Leuten Sand in die Augen gestreut.»

Der Wirtschaftsprofessor Urs Birchler nennt ein weiteres Beispiel: In der Regionalbankenkrise der neunziger Jahre verloren Schweizer Banken 12,5 Prozent des Kreditvolumens. «Dies wären heute rund 75 Milliarden Franken», schreibt er auf seinem Blog.

Eine Grösse, die sich leicht manipulieren lässt

Eine der Schwächen der neuen Regelungen – und darin sind sich verschiedene ExpertInnen einig – ist die von Basel III vorgegebene Messgrösse der «risikogewichteten Aktiven». Die Untergrenzen für das Eigenkapital beziehen sich damit auf eine Grösse, die nicht verlässlich und zudem leicht manipulierbar ist. Denn die Banken haben ein Interesse daran, möglichst viele Aktivposten in ihrer Bilanz als nicht riskant einzustufen, da sie so weniger Eigenmittel benötigen und entsprechend höhere Eigenkapitalrenditen einfahren können. Genau diese Schlupflöcher nutzten die Banken auch in der Hypotheken- und dann in der Bankenkrise. Die Subprimepapiere, die die Krise auslösten, waren von Ratingagenturen als bedenkenlos und von den Risikoabteilungen der Banken als ungefährlich eingestuft worden. Urs Birchler: «Wenn die Finanzkrise eines gezeigt hat, dann dass die Risikomessung im entscheidenden Moment versagt. Krisen kommen oft oder meist aus dem toten Winkel.»

Dass sich die Expertenkommission nun ausgerechnet auf diese Risikomodelle der Banken abstützt, zeigt, in welchem Geist ihr Bericht entstanden ist. Er gründet in der marktfundamentalistischen Annahme, dass sich die Realität in Risikomodellen abbilden lasse. Die neuen Regeln ziehen die Bremsen zwar ein wenig an, aber das Höllengefährt rast weiter.

Banken: Notfallpläne selber gestalten

Vielleicht begann die unheilvolle Entwicklung bereits bei der Zusammensetzung der Kommission: Fünf Behördenmitgliedern aus Finanzmarktaufsicht Finma, Nationalbank und Bundesverwaltung standen sieben Exponenten aus Real- und Finanzwirtschaft (darunter auch Vertreter der beiden Grossbanken UBS und Credit Suisse sowie der wirtschaftlichen Lobbyorganisationen Economiesuisse und Avenir Suisse) und zwei Wissenschaftler gegenüber, wobei einer dieser Wissenschaftler ein ehemaliges Verwaltungsratsmitglied einer Privatbank ist. Dem Vernehmen nach sollen sich die Vertreter der Realwirtschaft zwar eher für stärkere Regulierungen ausgesprochen haben, der Einfluss der Banken auf die neuen Regulierungen ist allerdings nicht zu übersehen (vgl. Interview mit Economiesuisse-Direktor Pascal Gentinetta). Vielleicht kam den Banken zupass, dass eine parlamentarische Untersuchung des Falls UBS verhindert wurde und Druck und Empörung weitgehend abgeflacht sind. Umso bemerkenswerter ist es, dass sich die Expertenkommission bei den Eigenmitteln auf strengere Vorschriften einigen konnte, hatten die Grossbanken in den vergangenen Wochen und Monaten doch immer wieder verlauten lassen, wie teuer und wirtschaftsschädigend höhere Eigenkapitalvorschriften seien.

Trotzdem: Die beste Medizin nützt nichts, wenn die Diagnose falsch ist. Die Expertenkommission hat es nicht geschafft, die ideologischen Scheuklappen abzulegen und aus den gängigen Denkmustern auszubrechen. Von Systemreform kann keine Rede sein. In den Debatten zur Bankenregulierung sind Begriffe wie Transaktionssteuer und Klumpenrisiko oder die Idee, das Bankengeschäft als eine Art Service public zu verstehen, fast vollständig verschwunden. Radikale Lösungen, etwa ein Trennbankensystem, wo systemrelevante Geschäfte wie der Zahlungsverkehr vom Eigenhandel an den Finanzmärkten abgekoppelt wären, wischt die Kommission mit der Bemerkung weg, dass es sich dabei um «erhebliche Eingriffe in die Wirtschaftsfreiheit» handle.

Vor allem aber legt die Expertenkommission keine verbindlichen Richtlinien vor, wie das Too-big-to-fail-Problem gelöst werden soll, wie man künftig also verhindern will, dass der Staat eine Bank retten muss, statt sie kontrolliert Konkurs gehen zu lassen. Die Notfallpläne dafür, so der Wunsch der Kommission, sollen die Banken selber gestalten dürfen.


Basel III

Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel regelt unter anderem die Vorschriften für Banken. Bereits 2007 wurden mit dem sogenannten Regelwerk Basel II insbesondere die Eigenkapitalvorschriften festgelegt, die sich allerdings in der folgenden Finanzkrise als vollkommen ungenügend erwiesen. Deshalb sollen nun mit Basel III die Vorschriften verschärft werden. Vorgesehen ist eine Erhöhung der Quoten für das sogenannte harte Kernkapital, und zwar von 2 auf 4,5 Prozent. Zusätzlich wird ein Puffer von 2,5 Prozent eingeführt. Damit bleibt Basel III unter den von der Schweiz erlassenen Auflagen, die für Kernkapital und Puffer zusammen 10 Prozent vorsehen.