Kommentar: Von Irland lernen heisst Pleite gehen
Vor kurzem noch galt das radikale Sparprogramm, mit dem die irische Regierung die Krise überwinden wollte, als beispielhaft. Doch eine Lösung hat es nicht gebracht. Im Gegenteil.
«Wenn sich die Öffentlichkeit für Ökonomie interessiert», sagte einmal der frühere argentinische Wirtschaftsminister Martin Lousteau, «dann muss man sich Sorgen machen.» Nimmt man die aktuelle Aufregung um einen möglichen Staatsbankrott Irlands als Beispiel, dann müssen die Sorgen in Dublin, bei der Europäischen Zentralbank EZB in Frankfurt und bei der EU-Kommission in Brüssel geradezu gigantisch sein. Irland solle unverzüglich den Rettungsfonds in Anspruch nehmen, den die Europäische Union (EU) und der Internationale Währungsfonds IWF für die Staaten der Eurozone eingerichtet hatten, forderte die EZB. Nur so könnten die Spekulationen um Irlands Schuldenlast gestoppt werden. Und EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy sieht sogar die Union gefährdet, sollte die neue Eurokrise nicht rasch beendet werden.
Doch eine schnelle Lösung ist nicht in Sicht. Auch an der Konferenz der EU-FinanzministerInnen am Dienstagabend weigerte sich Irlands konservativ-grüne Koalitionsregierung beharrlich, die Hilfe – es war von achtzig Milliarden Euro die Rede – zu akzeptieren. Aber bleibt es dabei? Man habe bis Juni 2011 ausreichend Geld zur Verfügung, argumentierte Irlands Finanzminister Brian Lenihan. Die Märkte wird das kaum beruhigen. Denn in den letzen Wochen stieg der Zins für zehnjährige irische Staatsanleihen schnell auf beachtliche neun Prozent – was zuletzt selbst den sonst so renditeversessenen AnlegerInnen nicht mehr geheuer war. Und sie nach der EU rufen liess.
Irlands Schulden sind enorm – und zum Teil von der Dubliner Regierung verursacht. Im September 2008, als die Immobilienblase den zuvor wild spekulierenden irischen Geldhäusern um die Ohren knallte, hatte sie eine Generalgarantie abgegeben. Der Staat werde sämtliche Verbindlichkeiten der Banken übernehmen, verkündete damals recht voreilig Premierminister Brian Cowen von der erzkonservativen Fianna-Fáil-Partei. Den Kollaps konnte der Beschwichtigungsversuch allerdings nicht verhindern: In der Folge musste der Staat praktisch das gesamte irische Bankensystem verstaatlichen. Seither hat er den Finanzinstitutionen für 50 Milliarden Euro Giftpapiere abgekauft, 25 Milliarden in die Spekulantenbank Anglo Irish gebuttert und weitere 10 Milliarden in andere Banken gesteckt. Gleichzeitig kürzte die Regierung unter dem Beifall von IWF und EU die Staatsausgaben, senkte die Löhne der Staatsangestellten und das Arbeitslosengeld und privatisierte noch mehr öffentliche Aufgaben.
Doch die Rechnung der irischen Elite – seit Jahrzehnten eine Musterschülerin der neoliberalen Lehre – ging wieder nicht auf. Obwohl sie weiterhin mit den EU-weit niedrigsten Unternehmenssteuersätzen (12,5 Prozent) winkte, blieben die Auslandsinvestitionen aus. Das beinah härteste fiskalpolitische Sparprogramm in Westeuropa (nur die britische Regierung hat vor ein paar Wochen ein noch schärferes Konzept vorgelegt) lähmte das ganze Land; der erhoffte Aufschwung blieb aus. Und so könnte das Haushaltsdefizit in diesem Jahr auf 32 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ansteigen – es ist, bezogen auf die Wirtschaftskraft, doppelt so hoch wie das griechische Defizit. Und liegt zehnmal über dem von den Eurostabilitätsrichtlinien erlaubten Satz.
Und das ist nur der Anfang. In den nächsten Wochen wird die seit jeher mit Immobilienhaien und Bankern verbandelte irische Regierung den Haushalt für 2011 und ein Vierjahresprogramm vorlegen. Geplant sind weitere einschneidende Kürzungen vor allem im Sozialbereich – mit der absehbaren Folge, dass noch mehr Menschen vor den Suppenküchen der Hilfswerke Schlange stehen. Und noch mehr obdachlos werden. Denn demnächst läuft das Moratorium aus, das die Regierung mit Bausparkassen, Bauherren und den Banken zu Beginn der Krise vereinbart hatte: Zwei Jahre lang verzichteten diese auf die Vertreibung jener SchuldnerInnen, die ihre Hypotheken nicht bedienen können, weil sie mittellos geworden sind. Derzeit sind 100 000 WohnungseigentümerInnen, denen während des Immobilienbooms ein Eigenheim aufgeschwatzt wurde, mit den Zahlungen im Verzug.
Verkaufen können sie ihre Liegenschaft derzeit nicht; die Hauspreise befinden sich immer noch im freien Fall. Sonst würden wahrscheinlich noch mehr IrInnen auswandern. Laut jüngsten Umfragen werden in den nächsten fünf Jahren 150 000 zumeist gut ausgebildete Jugendliche das Land verlassen. Das kommt der Regierung momentan zwar zupass, weil sich dadurch das Protestpotenzial minimiert. Für die Zukunft des Landes ist der Exodus der Hochqualifizierten – die lieber in Spanien oder Australien Bier zapfen gehen als daheim in ein schwarzes Loch zu blicken – eine Katastrophe.
Die Märkte und ihre Institutionen verlangen jedoch eine noch höhere Dosis der fehlgeschlagenen Medikation. Irland müsse in den nächsten Jahren weitaus mehr sparen, forderte EZB-Präsident Jean-Claude Trichet. Und so wurde Dienstagnacht kurzfristig ein Deal vereinbart: Die irische Regierung darf weiter an den niedrigen Unternehmenssteuern festhalten. Sie vor allem waren der Grund, weshalb sich Cowan und Lenihan so vehement gegen ein Rettungspaket sträubten. Denn mit der Hilfe wäre auch eine grössere Mitsprache der EU verbunden, und die anderen EU-Staaten halten die Niedrigsteuer für wettbewerbswidrig. Im Gegenzug kürzt Dublin die Staatsausgaben noch mehr zusammen als ohnehin geplant.