«Armutszeugnisse»: Arm in einem reichen Land

Nr. 48 –

Was bedeutet es, in der Schweiz mit wenig Geld auskommen zu müssen? Die WOZ druckt zwei Porträts aus dem neuen Buch von Walter Däpp und Hansueli Trachsel «Vom Traum, reich zu sein».

«Das ist mein Leben. Nichts Ausserordentliches. Es gibt viele, die jahrelang ihren kranken Mann pflegen.»

Rita Aebischer, 74, 3268 Franken im Monat

Rita Aebischer, 74-jährig, kam aus dem Nachkriegsdeutschland in die Schweiz, wo sie später heiratete. Nach einem Schlaganfall wurde ihr Mann pflegebedürftig, und sie entschloss sich, ihn bis zu seinem Tod zu Hause zu begleiten. Das war eine riesige Herausforderung – und hat Folgen: Heute wäre sie ohne Ergänzungsleistungen nicht in der Lage, ihr Leben zu bewältigen.

«Sehr interessant ist mein Leben nicht», sagt sie am Anfang des Gesprächs – und beginnt dann zu erzählen: von ihrer nicht einfachen Kindheit und Jugend im Kriegs- und Nachkriegsdeutschland, ihrem neuen Leben in der Schweiz, ihrer glücklichen und dann schweren Zeit mit ihrem Mann, den sie elf Jahre lang pflegte. Und darüber, wie sie dann in die Armutsfalle tappte und nun das Gefühl nicht loswird, «im Stich gelassen und auch ausgenützt» worden zu sein. Doch Rita Aebischer-Lüdke, 74-jährig, betont: «Ich bin nicht unzufrieden. Dank der kleinen Witwenrente meines Mannes und der Ergänzungsleistungen kann ich mir das Leben einigermassen leisten.» Und: «Ich bin gesund, habe einen guten Sohn, eine liebe Schwiegertochter – eine Äthiopierin – und ein herziges Grosskind.»

Rita Aebischer ist gebürtige Berlinerin. «Als der Krieg begann», erzählt sie, «war ich noch ein kleines Kind. Wirklich schlimm wurde es für mich nach 1942, als auch meine kleine Welt, in der ich lebte, bombardiert wurde.» Zu ihrem Vater habe sie in dieser Zeit keinen Kontakt gehabt: «Er arbeitete in einer Waffenfabrik, irgendwo in einem Bunker, an einem geheimen Ort. Ich wohnte mit meiner Mutter und meinen Halbgeschwistern in einem kleinen Dorf an der polnischen Grenze.» Und als sie einmal ihren verletzten Bruder in einem Lazarett in Stettin besuchen wollten, seien sie in einen Bomberangriff geraten: «Wir waren eben aus dem Bahnhof gekommen, als die Sirenen aufheulten. Man drängte uns in einen Luftschutzkeller. Und eine Viertelstunde später lag alles in Schutt und Asche. Der Bahnhof war zerstört. Und auch das Spital lag in Trümmern. Mein Bruder überlebte nur, weil er im Keller des Spitals lag.» Sie habe diese schrecklichen Szenen jahrelang verdrängt, «als Kind irgendwie nicht wahrhaben wollen». Doch noch heute sei sie traumatisiert: «Wenn ein Flugzeug über mich hinwegfliegt, kriege ich Gänsehaut.»

Das Kriegsende sei dann «eine grosse Befreiung» gewesen, obschon sie vor dem Nichts gestanden seien: «Wir hatten nichts, aber wir vermissten auch nichts. Es ging uns wie allen Menschen im Dorf. Alle mussten mit nichts auskommen.» Mit 15 Jahren riss sie von zu Hause aus und schlug sich zu ihrem Vater nach Berlin-Tempelhof durch. Hier sah sie bessere Zukunftschancen für sich. Ihre Schulbildung war mangelhaft, während des Krieges war kein geordneter Unterricht möglich gewesen. «Von meinen acht Schuljahren fanden vielleicht etwa vier statt», sagt sie, «wochenlang fiel der Unterricht aus. Entweder waren die Schulräume zerstört, oder im Schulhaus waren Soldaten oder Flüchtlinge untergebracht.» So habe sie stets versucht, sich irgendwo und irgendwie nützlich zu machen – vor allem als Kindermädchen in einer Arztfamilie. «Dann kam die Ostgrenze», sagt sie, «und die Familie zog nach Heidelberg.» Über diese Familie fand Rita Aebischer eine Jahresstelle als Hausmädchen einer älteren Dame in England. «Das war das schönste Jahr meines Lebens», sagt sie, «Mrs. Hasle in Tedbury in Gloucestershire war sehr liebenswürdig zu mir und hatte keine grossen Ansprüche. Wichtig für sie war vor allem, dass ich mit ihren Hunden spazieren ging.» Ein Jahr später, wieder in Berlin, arbeitete Rita Aebischer in einer Bäckerei – für 75 Mark pro Monat: «Das reichte aus, weil ich vor allem von Suppe und Brot lebte. In der Bäckerei gab es stets altes Brot, das ich mitnehmen durfte.»

Über ein Zeitungsinserat kam sie 1959 als Haushalthilfe und Serviertochter in die Schweiz – in die «Sonne» nach Lostorf. 280 Mark Monatslohn plus Kost und Logis waren für sie damals ein verlockendes Angebot. «Donnerwetter», sagt sie, «das war eine anstrengende Zeit – mit 16 Arbeitsstunden pro Tag. Doch die Wirtsleute waren sehr nett. Sie verlangten viel von mir, aber von sich selber verlangten sie nicht weniger.» Es folgten weitere Anstellungen im Gastgewerbe, bis sie 1966 heiratete – einen Schweizer, den sie schon in Lostorf kennengelernt hatte. Mit ihm habe sie einige Jahre eine sehr schöne Zeit gehabt, bis seine gesundheitlichen Probleme alles veränderten. Trotz Herzklappenfehler habe er zwar noch lange arbeiten können, als Schleifer in einer Apparatefabrik. Doch 1982 erlitt er einen Schlaganfall: «Er war mit seinen Kollegen beim Kegeln, als man ihn ins Spital einliefern musste. Als ich ihn dort besuchte, lag er im Koma. Und als er erwachte, war er halbseitig gelähmt, hatte die Sprache verloren. Mein Sohn war 14-jährig. Und ich entschied, meinen nun pflegebedürftigen Mann nach Hause zu nehmen. Ein Leben im Heim wollte ich ihm ersparen. Das wäre ein Warten auf den Tod gewesen.»

Elf Jahre lang pflegte Rita Aebischer ihren Mann. Weil die Belastung für sie immer grösser wurde, gab sie nach acht Jahren ihre Stelle in einem Personalrestaurant auf. Und obschon sie dabei oft an Grenzen stiess und sich allein gelassen fühlte, hielt sie durch: «Der Kontakt zur gesunden Welt fehlte mir. Doch ich hielt zu meinem Mann, tat es ihm zuliebe. Bis zu seinem Tod 1992.» Etliche Jahre habe die Invalidenversicherung nichts für sie getan, bis sie ihnen – dank Interventionen ihres Hausarztes – zum Beispiel ein elektrisches Bett und einen Badewannenlift zusprach. «Das war eine Erleichterung», sagt sie, «aber trotzdem hatte ich manchmal das Gefühl, ich könne nicht mehr weiter. Niemand half mir. Und ich begann, mit Gott und der Welt zu hadern.» Auch finanziell seien sie «sehr eng drin» gewesen. Und rückblickend müsse sie sagen, dass ihre Pflegearbeit von der Krankenkasse und auch von der IV schlecht honoriert worden sei: «Hätte ich meinen Mann in ein Heim abgeschoben, wäre alles bezahlt worden. Für meine Arbeit wurde ich aber eher bestraft. Und ich hatte die Kraft nicht, mich zu wehren. Wenn wieder ein negativer Bescheid kam, akzeptierte ich ihn. Bis Pro Senectute mir aufzeigte, was für Unterstützungsmöglichkeiten mir zustanden.»

Fast ein bisschen beschämt sagt Rita Aebischer nun, dass der Tod ihres Mannes, nach drei weiteren Schlaganfällen, für sie «auch eine Erleichterung» gewesen sei. Doch auch für ihn sei es eine Erlösung gewesen: «Als wir uns kennengelernt hatten, wog er 100 Kilo, ich 58 Kilo. Als er starb, war ich fast 100 Kilo schwer, er wog noch 45 Kilo. Und er war völlig hilflos. Konnte auch keine Zeichen mehr geben. Er war in sich selber gefangen.»

Nach der jahrelangen aufopfernden Pflege ihres Mannes sei der Wiedereinstieg in die Arbeitswelt schwierig gewesen. In der Mensa eines Gymnasiums habe sie für einige Zeit zwar einen Job gefunden, später auch in der Alterspflege der Spitex. Nun ist Rita Aebischer pensioniert. Pro Monat hat sie 3268 Franken zur Verfügung – die AHV-Rente, 860 Franken Witwenrente und Ergänzungsleistungen. «Das reicht», sagt sie, «wenn nicht plötzlich ausserordentliche Ausgaben dazukommen. Letzthin musste ich für 1400 Franken eine neue Brille haben. Die muss ich mir wieder irgendwie zusammensparen. Pro Senectute unterstützte mich.»

Sie sei aber nicht unglücklich, betont sie. So viele Jahre nach dem Tod ihres Mannes habe sie endlich das Gefühl, «wieder ruhig zu sein». Dies sei für sie schon so etwas wie Reichtum: «Familie, Gesundheit, Zufriedenheit – das macht reich. Geld braucht man nur so viel, dass es zum Leben reicht. Nicht mehr und nicht weniger. Arm ist, wer nicht genug zu essen hat.» Jetzt fühle sie sich auch wieder glücklich. Doch das sei eben nicht immer so gewesen: «Schlimm war, als plötzlich alles nicht mehr so war, wie es vorher gewesen war. Das waren Grenzerfahrungen. Und ich hatte Angst. Existenzangst. Wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Und weh tut noch heute, dass sich gewisse Leute damals von uns distanzierten – nichts mehr von uns wissen wollten.» Rita Aebischer hält inne, wischt sich einige Tränen weg. «Ja, damals fühlte ich mich sehr allein gelassen», sagt sie, «allein mit meinem behinderten, hilfsbedürftigen Mann. Und meinem Sohn. Damals hätte ich es nötig gehabt, dass man auf mich zugekommen wäre. Doch nur wenige kamen.» Auch die Kirche habe sie im Stich gelassen: «Ich bin Protestantin, mein Mann war Katholik. Deshalb habe ich mehrmals die katholische Kirchgemeinde um Beistand geben, zehn Jahre lang. Doch niemand kümmerte sich um uns. Am Anfang glaubte ich noch, Kraft im Glauben gefunden zu haben. Doch nun will ich nichts mehr davon wissen. Ich habe zur Kirche keinen Zugang mehr gefunden.»

«Das ist also mein Leben», sagt Rita Aebischer am Schluss des Gesprächs: «Nichts Ausserordentliches. Es gibt viele, die ebenfalls jahrelang ihre kranken Partner, Kinder, Eltern oder Freunde pflegen. Für mich war das selbstverständlich. Nur die Krankheit habe ich gehasst. Meinen Mann habe ich geliebt. Bis zu seinem Tod.»

«Wenn man nichts mehr erlebt, hat man nichts mehr zu erzählen.»

Walter Wälti, 60, 2730 Franken im Monat

Walter Wälti, 60-jährig, war 43 Jahre Baumaschinenführer. Nun ist sein Rücken kaputt. Auch die geliebte Gartenarbeit ist für ihn unmöglich geworden. Und ob er mit der Kindergeschichte, an der er seit vierzig Jahren schreibt, noch an ein glückliches Ende kommt, weiss er nicht. Er verrät aber, dass es darin um eine verrückte Nähmaschine geht, die sich selbstständig macht.

Walter Wälti schiebt das Töffli vors Haus und fährt davon. Töfflifahren ist etwas, das ihm noch ein Gefühl von Freiheit und Abenteuer, von Weite und von Lebensfreude gibt. «Ich bin mit ihm schon bis nach Thun gefahren», sagt er.

Später sitzt er in seinem kleinen Wohnzimmer, das mit altem Mobiliar bestückt ist – einem billigen Tischchen aus dem Brockenhaus und ebensolchen Stühlen, einem abgewetzten Fauteuil, einem Büchergestell mit einigen Büchern, einem verstaubten CD-Player, einem Fernsehapparat, der gerade kaputt ist. Und mit Souvenirs aus früheren, glücklicheren Zeiten: einem Segelschiff aus Bali («das habe ich damals gegen eine Swatch getauscht»), einem Samuraischwert aus Hongkong, einer Wasserpfeife aus der Türkei oder einem Stetson-Hut («ein kostbares Original, aus Texas»). Er lebt auf, wenn er von früher erzählt. Und Fotos zeigt. «Hier: Das bin ich, als Jugendlicher. Damals war ich noch ein ‹Schpränzu›. Heute habe ich 121 Kilo, bringe das Gewicht einfach nicht herunter. Die Medikamente. Psychopharmaka.» – «Hier: Das ist Therese, meine Freundin, in Ägypten, auf einem Kamel. Sie fehlt mir. Vor kurzem ist sie gestorben. So plötzlich. So unvorbereitet.» – «Und hier: Das ist die Stollenfräse. Auf ihr habe ich oft gearbeitet.»

Walter Wälti, 60-jährig, war Baumaschinenführer. Während 43 Jahren arbeitete er auf verschieden Baustellen – auf dem Bagger, auf dem Trax, auf der Stollenfräse eben. Und auf anderen Baumaschinen. Beim Bau des alten Fussballstadions Letzigrund war er schon dabei. Beim Sonnenberg- und beim Seelisbergtunnel. Bei der Gigerwaldstaumauer. Und auch auf vielen Autobahnbaustellen. «Das war eine gute Zeit», sagt er, «ich war mit Leib und Seele Baumaschinenführer, habe viel gearbeitet, recht gut verdient, entsprechend gut gelebt. Die ganze Welt bereist. «Ja», sagt er, «ich habe das Leben genossen, war ein geselliger Mensch.» Als Jugendlicher habe er beim FC Luzern Fussball gespielt – «linker Flügel». Und schon in jungen Jahren sei er ein begeisterter Fasnächtler gewesen. Und später habe er einmal einen dreimonatigen Sozialeinsatz in Nicaragua geleistet – «den Leuten geholfen, Backsteine herzustellen».

Von seiner früheren Freundin, die er einst heiraten wollte, habe er sich nach acht Jahren getrennt. «Sie hatte zwei Kinder – von zwei Männern, aber nicht von mir. Das erste, ein Bub, kam an einem Freitag, dem 13., zur Welt. Er wird bald dreissig.» Auch mit der Tochter der Freundin habe er keinen Kontakt. Nie einen gehabt.

Einige Zeit nach der Trennung habe er eine Carreise nach Kroatien gemacht und sich dort, auf der Insel Krk, in eine Mitreisende verliebt. In Therese, eine Bernerin. Mit ihr habe er dann zwanzig gute Jahre gehabt: «Wir lebten zwar nicht zusammen, aber wir verstanden uns, konnten über alles reden.» Sie war Sekretärin, 59-jährig, wollte sich bald pensionieren lassen. Die beiden spielten mit dem Gedanken, ins Wallis zu zügeln, wo Therese schon ein Studio besass. Doch dann starb sie. «Am Abend vorher», erinnert er sich, «hatten wir zusammen auf der Thuner Seebühne noch ein Musical besucht. Am nächsten Tag wollten wir ins Wallis fahren. Als ich nach ihr schaute, sass sie, vornübergebeugt, auf einem Stuhl und regte sich nicht mehr. Das war ein Riesenschock. Sie hatte sich einen Kaffee machen wollen – und starb. Hirnschlag.»

Einige Zeit nach der Trennung habe er eine Carreise nach Kroatien gemacht und sich dort, auf der Insel Krk, in eine Mitreisende verliebt. In Therese, eine Bernerin. Mit ihr habe er dann zwanzig gute Jahre gehabt: «Wir lebten zwar nicht zusammen, aber wir verstanden uns, konnten über alles reden.» Sie war Sekretärin, 59-jährig, wollte sich bald pensionieren lassen. Die beiden spielten mit dem Gedanken, ins Wallis zu zügeln, wo Therese schon ein Studio besass. Doch dann starb sie. «Am Abend vorher», erinnert er sich, «hatten wir zusammen auf der Thuner Seebühne noch ein Musical besucht. Am nächsten Tag wollten wir ins Wallis fahren. Als ich nach ihr schaute, sass sie, vornübergebeugt, auf einem Stuhl und regte sich nicht mehr. Das war ein Riesenschock. Sie hatte sich einen Kaffee machen wollen – und starb. Hirnschlag.»

Im April 2008 wurde er operiert. Sein Rücken wurde versteift, doch die Schmerzen liessen nicht nach. Die Invalidenversicherung bescheinigte ihm eine Arbeitsunfähigkeit von 46 Prozent und meinte, mit starken Schmerzmitteln könne er noch weiterarbeiten. «Doch das kann ich nicht», sagt er, «mit dem besten Willen nicht. Ich möchte, aber ich kann nicht.»

So lebt Wälti nun vor allem von der Sozialhilfe. Vermögen hat er keines. Sein Pensionskassengeld habe er ins Walliser Studio seiner Freundin gesteckt, doch nach deren Tod habe er keinen Zugriff mehr darauf. Seine IV-Monatsrente beträgt 330 Franken, von der Sozialhilfe erhält er 2400 Franken. Nach Abzug der Fixkosten – wie der Miete von 1180 Franken und der Krankenkassenprämie – blieben ihm zum Leben etwa 800 Franken: «Das muss ausreichen für das Essen, die Kleider, das Elektrische, den PC, den Fernseher und das Töffli.» Letzthin habe ihm jemand das Töffli kaputt gemacht. Die Reparatur habe 360 Franken gekostet – «360 Franken! Fast unmöglich, das zusammenzusparen.» Von der Sozialhilfe werde er aber gut betreut. Auch menschlich. Er gehe zwar nicht gern hin, wisse jeweils nicht so recht, was er sagen soll: «Wenn man nichts mehr erlebt, hat man auch nichts mehr zu erzählen.»

Früher habe er bis zu 7000 Franken verdient, nun müsse er jeden Franken zweimal umdrehen, bevor er ihn ausgebe. Doch daran habe er sich unterdessen gewöhnt. Wer kein Geld habe, habe allerdings auch Mühe, neue Kontakte zu knüpfen. Und auch wenn er sich über die Millionenboni gewisser Manager aufrege («in meinen Augen ist das Diebstahl»), bemühe er sich, sich nicht mit anderen zu vergleichen: «Jeder hat seine eigenen Probleme. Auch Reiche sind oft nicht glücklicher als Arme.» Mit seinem Leben könne er allerdings nicht glücklich sein. Er hadere zwar nicht. Als «relativ gläubiger Mensch» sei er auch nicht böse auf Gott: «Ich gebe ihm keine Schuld. Hier unten müssen wir schon selber schauen, wie wir zurechtkommen.»

Er versuche aber doch, das Glück noch ein bisschen herauszufordern. «Lotto! Seit meine Freundin tot ist, setze ich jeden Monat 48 Franken ein. Auch wenn es wohl hoffnungslos ist, muss man doch nach einer Chance Ausschau halten.» Und nach einer Aufgabe, die Befriedigung gibt. Für ihn ist es das Schreiben. Er schreibe sein Leben auf, sagt er, sei aber immer noch in jener Zeit verblieben, als «es noch ein glückliches Leben war». Und übrigens, bemerkt er, habe er schon als Zwanzigjähriger begonnen, eine Kindergeschichte zu schreiben. Es gehe um eine verrückte alte Pfaff-Nähmaschine, die sich selbstständig macht. Ob er auch mit dieser Geschichte noch an ein glückliches Ende kommen werde, wisse er allerdings nicht. Im Moment sei alles ins Stocken geraten: «Auch der PC ist kaputt. Ich hoffe, dass man ihn noch flicken kann.»

Walter Däpp und Hansueli Trachsel: Vom Traum, reich zu sein. Armutszeugnisse aus der Schweiz. Stämpfli. Bern 2011. 160 Seiten. 29 Franken