Korruption in der Fifa: Der Mann in Blatters Nacken

Nr. 2 –

Roland Büchel, Sportberater und SVP-Nationalrat aus Oberriet im Rheintal, geht auf Konfrontationskurs mit dem Fifa-Präsidenten. Wer ist der Mann, der der Korruption bei den Sportverbänden ein Ende machen will? Eine Annäherung auf der Skipiste.


Er staunte nicht schlecht, als ihm der britische Reporter Andrew Jennings ein paar Blätter in die Hand drückte und ihn vor laufender Kamera um einen Kommentar bat. Roland Büchel schüttelte ungläubig den Kopf. Er hatte die Liste in seinen Fingern, auf der die Schmiergeldzahlungen der Sportmarketingfirma ISL an hochrangige Sportfunktionäre der Fifa, des Internationalen Olympischen Komitees und anderer internationaler Sportverbände aufgelistet waren: Mindestens 140 Millionen Franken Bestechungsgeld verpulverte die Zuger Sportrechtehändlerin in den neunziger Jahren in der Sportwelt, ehe sie 2001 Konkurs ging (vgl. unten «Der Fall ISL und die Fifa»). «Unglaublich», sagte Büchel in der BBC-Dokumentation, «ich bin erstaunt, dass es so viele Zahlungen über einen so langen Zeitraum gab. Das wird für eine grosse Überraschung bei der Fifa sorgen.»

Wer ist dieser Roland Büchel? Und wie kommt es, dass ausgerechnet ein kaum bekannter Rheintaler Politiker, der erst seit einem Jahr im Nationalrat sitzt, plötzlich zu einer zentralen Figur im grössten bekannten Korruptionsfall der Schweizer Wirtschaftsgeschichte wird?

Blatter greift an

Roland «Rino» Büchel wartet an der Bergstation der Pischabahn in Davos. Gemeinsam mit rund vierzig britischen und Schweizer PolitikerInnen nimmt er an diesem Samstag im Januar am traditionellen Parlamentarier-Skirennen teil. Der SVP-Nationalrat begrüsst den Reporter und nimmt ihn ein wenig zur Seite: «Falls jemand fragt, Sie sind ein Freund von mir. Die Engländer reagieren etwas allergisch auf die Presse, seit sie erfahren haben, dass sich ein britischer Fotograf hier rumtummelt.» Abgeordnete, die sich auf Kosten der britischen Steuerzahler auf Davoser Skipisten vergnügen, während der Bevölkerung harte Sparprogramme aufgezwungen werden – das mache sich nicht gut bei den WählerInnen.

Kurzes Intermezzo: Als wir später durch den Zielraum spazieren, ruft eine Frau Roland Büchel zu sich. Sie müsse ihm jemanden vorstellen: einen Lobbyisten von der UBS, die den Anlass mitsponsert. Die beiden tauschen ein paar Freundlichkeiten aus, Büchel geht weiter. Er ist hier, um sich mit britischen Kollegen zu unterhalten: Fast alle, die er in den vergangenen Tagen getroffen hat, seien detailliert über die Probleme in der Fifa im Bild – ganz anders als in Bern. Wobei auch in der Schweiz, der Heimat der grössten internationalen Sportverbände, einiges in Bewegung geraten ist: Das Bundesamt für Sport analysiert derzeit die Ereignisse rund um die internationalen Milliardenkonzerne und wird bis Ende des Jahres einen Bericht über allfälligen Regulierungsbedarf erstellen. Die SP-Nationalrätin Anita Thanei hat Ende letzten Jahres in einer parlamentarischen Initiative verlangt, dass die Bestechung von Sportfunktionären von Amtes wegen verfolgt wird. Und Roland Büchel hat ebenfalls im Dezember eine Motion eingereicht, die vom Bundesrat bis Ende 2011 Massnahmen fordert, mit denen die Korruption bei internationalen Sportverbänden bekämpft werden kann. Spätestens mit dieser Forderung ist Büchel dem Mächtigsten im Fussballzirkus gehörig auf die Füsse gestanden: dem Fifa-Präsidenten Joseph Blatter.

Mitte Dezember erschien in der «Weltwoche» ein ausführliches Gespräch mit Blatter, ein Gefälligkeitsinterview: Getreu dem «Weltwoche»-Credo, stets das Gegenteil zu schreiben, liessen Chefredaktor Roger Köppel und Sportkolumnist Walter de Gregorio den Fifa-Präsidenten unwidersprochen zu einem Rundumschlag gegen hartnäckige Journalisten und unliebsame Kritiker ausholen – darunter auch Roland Büchel. «Zuerst fühlte ich mich beinahe geadelt, namentlich von Blatter angegriffen zu werden.» Aber Büchel störte sich an Blatters Behauptung, er würde nach «mehr Staat im Sport» rufen – war doch gerade seine staatskritische Haltung der Hauptgrund gewesen, 2004 in die Politik einzusteigen. «Die Fifa hat jetzt bis Ende Jahr Zeit aufzuräumen. Tut sie es nicht, muss die Politik eingreifen.»

Als Reaktion auf Blatters Angriffe schrieb Büchel einen offenen Brief (PDF-Datei am Schluss des Artikels) an den Fifa-Präsidenten, der deutlicher kaum sein könnte. Der Titel lautet: «Internationale Sportfunktionäre sind schwer korrupt.» Büchel beschreibt unter anderem Blatters Familienbande in der Funktionärswelt: Der Neffe ist Präsident und CEO der Sportrechteagentur Infront, die sich «die Filetstücke aus der kunstvoll sezierten ISL» ergattert hat; der Bruder ist «Chefpromoter einer möglichen Schweizer Kandidatur für die Olympischen Winterspiele 2022 oder 2026» und verdankt seine zwei Ehrenprofessorentitel seinen «Verdiensten für Fairplay und Ethik in der Sportbewegung». «Wollen Sie», fragt Büchel im Brief, «dass auch Ihre engsten Verwandten ihre Firmen und Projekte gegen die Wand fahren, nur weil sie Abermillionen in korrupte Funktionäre investieren müssen?» Die «Weltwoche», für die Büchel den Brief verfasste, lehnte den Abdruck ab – und veröffentlicht stattdessen am Erscheinungstag dieser WOZ einen kurzen Leserbrief.

Wenn Büchel über die Eventisierung des Sports, über privatisierte Gewinne und sozialisierte Kosten, über First- und Business-Class fliegende Funktionäre und ihr seltsames Verständnis von Transparenz schimpft, fragt man sich, warum dieser Mann eigentlich bei der SVP gelandet ist. Und dann flucht er schon wieder weiter in heftigen Worten über korrupte Funktionäre. Büchel nimmt kein Blatt vor den Mund, in der ehrlichen Empörung wechselt er immer mal wieder ins Du. Aber hier kläfft kein frustrierter Hinterbänkler, kein ahnungsloser Stammtischpolitiker – Büchel kennt das Geschäft genau, über das er so herzieht.

Die Omertà bröckelt

Eigentlich hätte es sein Vater gern gesehen, wenn Büchel Automechaniker geworden und später in den Familienbetrieb eingestiegen wäre. Doch Büchel, heute 45 Jahre alt, zog eine kaufmännische Ausbildung bei einer Bank vor, studierte später an der Fachhochschule für Wirtschaft und trat dann in den konsularischen Dienst ein. Bevor er 2004 als Quereinsteiger in das Parlament des Kantons St. Gallen gewählt wurde, arbeitete er jahrelang in fast zwanzig Ländern im Sportmarketing. Er leitete das Sponsoring für den Schweizer Skiverband, als dieser seine AthletInnen im gelben Käsedress starten liess, kümmerte sich als Mitarbeiter der Sportmarketingfirma ISL um das Sponsoring bei den Juniorenweltmeisterschaften in Argentinien und Trinidad und Tobago und stampfte 2002, als die Sportmarketingfirma ISL Konkurs gegangen war, für den Afrikanischen Fussballverband in nur drei Monaten das Marketing des Afrika-Cups in Mali aus dem Boden. Als ISL- und kurzzeitiger Fifa-Marketingmanager sah Büchel, wie die Geschäfte gehandhabt wurden. Durch den Konkurs der Zuger Sportrechtehändlerin im Jahr 2001 verlor Büchel wie andere Gläubiger auch viel Geld – er hat Ansprüche auf Spesen und Löhne. Bis zu diesem Tag wartet er auf mehrere zehntausend Franken aus der Konkursmasse. Heute berät er (neben seiner Tätigkeit als Nationalrat) selbständig verschiedene europäische Firmen beim Sportmarketing.

Was treibt Roland Büchel an? «Man hat mich schon als Whistleblower bezeichnet», sagt Büchel, als uns der Skilift langsam nach oben schleppt. «Aber das ist falsch. Ich verrate keine Geheimnisse, die Fakten liegen ja auf dem Tisch – gerichtsfest: 175 Zahlungen, 140 Millionen Franken Schmiergeld.» Und jetzt, da er Nationalrat ist, will er konkrete Massnahmen durchsetzen. Falls die Sportverbände nicht von sich aus handelten, müsse man beispielsweise ihre Steuerbefreiung überdenken: «Solche Privilegien sind keineswegs in Stein gemeisselt.»

Büchel, der die Korruptionsaffäre ISL-Fifa von Beginn weg aus der Nähe verfolgte, hat seit Jahren eine Theorie, die eher eine Hoffnung ist: dass die Omertà in der Fifa irgendwann bröckelt, dass sich die sauberen (oder über den Tisch gezogenen) Funktionäre abwenden und ihr Schweigen brechen. «Blatter weiss, dass ihm die Vergangenheit gefährlich werden kann», sagt Büchel. Und vielleicht ist dieser Prozess bereits im Gang. Nachdem der Deutsche Franz Beckenbauer für dieses Jahr seinen Rücktritt aus dem Fifa-Exekutivkomitee ankündigte, hat kürzlich Bayern-Präsident Uli Hoeness der Fifa Bestechlichkeit unterstellt. Und am Sonntag gab Günter Hirsch den Austritt aus der Fifa-Ethikkommission bekannt: Die Fifa habe kein Interesse daran, die Korruptionsvorwürfe aufzuklären, sagte der ehemalige deutsche Bundesgerichtspräsident. Blatter hatte zwar Anfang Jahr angekündigt, ein sogenanntes Compliance-Gremium mit hochrangigen Persönlichkeiten zu schaffen, das «die Glaubwürdigkeit stärken und das Image neu definieren» soll. Aber Büchel sagt: «Es braucht keine Promis, sondern Leute, die etwas vom Geschäft verstehen.»

Büchel ist ein ehrgeiziger Typ mit guter Kondition. Als er vergangenes Jahr ins Parlament einzog, fuhr er mit dem Fahrrad von Oberriet nach Bern. Jetzt steht er am Berg, vor sich die leere Rennstrecke. Er will es nochmals wissen. Vorhin, beim Rennen, sei die Sicht schlecht gewesen. Dann sagt er: «Die Fifa muss jetzt endlich handeln. Darauf warte ich zwar schon lange, aber ich habe Geduld – und einen sehr langen Atem. Der Sepp weiss das.»


Der Fall ISL und die Fifa

Im Jahr 2001 ging die Sportmarketingfirma ISL Konkurs. Das darauf folgende Strafverfahren gegen die ehemaligen Geschäftsführer – vor allem wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung – brachte als Nebeneffekt ein gigantisches Schmiergeldsystem an den Tag: Rund 140 Millionen Franken sind dokumentiert, aber nur ein Bruchteil der Empfänger ist bekannt. Zu ihnen gehören mehrere Exekutivmitglieder der Fifa sowie Mitglieder des Internationalen Olympischen Komitees.

Die Fifa weigert sich bis heute, gegen die Schmiergeldempfänger vorzugehen, und stellt sich auf den Standpunkt, dass das «uralte Kamellen» seien (Joseph Blatter).