Medientagebuch: PR oder Herzblut

Nr. 2 –


«Was stattfindet, ist eine De-Qualifizierung des Berufs. Da kann man mitmachen. Oder gehen. So einfach ist das.» So zitierte der «Sonntag» in seiner letzten Ausgabe eine 31-jährige ehemalige Journalistin, die ihren erlernten Beruf an den Nagel gehängt hat und nun als Consultant in einer PR-Firma arbeitet. Ein absolut alltäglicher Vorgang. Überraschend in diesem Fall mag das Alter sein. In der Regel wechseln Journalistinnen und Journalisten so ab fünfzig das Metier, «um noch einmal etwas anderes zu machen». Der Umstieg wird ihnen dabei von ihren ehemaligen Arbeitgebern oft massiv erleichtert. Sei es, dass man sie entlässt und sie notgedrungen eine neue Beschäftigung suchen müssen, oder aber sie kommen einer möglichen Entlassung zuvor und verlassen deshalb die Medien.

Anlass zur Sorge gibt diese Entwicklung höchstens den Betroffenen, die ihr Metier, den Journalismus, vor die Hunde gehen sehen. Die, die es in der Hand hätten, die Bedingungen so zu gestalten, dass Medienschaffende nicht bei der erstbesten Gelegenheit die Branche wechseln, bleiben indes untätig und schauen der Entwicklung kommentarlos zu. Oder aber sie beklagen sich lauthals über die mächtige PR-Industrie, wie etwa Tamedia-Präsident Pietro Supino, die immer stärker Vielfalt und Glaubwürdigkeit des Journalismus bedrohe. Ein wenig glaubwürdiges Gejammer. Haben es doch Supino und sein Verwaltungsrat selbst in der Hand, dieser realen Bedrohung etwas entgegenzusetzen, indem sie Rahmenbedingungen für den Journalismus schaffen, die den Mitarbeitenden eine längerfristige Berufsperspektive eröffnen als nur bis zum nächsten Stellenangebot aus der PR- und Kommunikationsbranche. So weit, so schlecht. Doch das Bild wäre unvollständig, wenn nicht auch eine andere, erfreulichere Wanderbewegung zu beobachten wäre.

Mit der zunehmenden «De-Qualifizierung des Berufs» wächst das Bedürfnis nach einer Re-Qualifizierung. Hierfür nehmen derzeit viele Journalistinnen und Journalisten das Heft selber in die Hand und versuchen jene Rahmenbedingungen zu schaffen, die sie an ihrem Arbeitsplatz vermissen. So herrscht zurzeit ein regelrechtes Gründungsfieber. Eine ganze Reihe von Magazinen, ob gedruckt oder elektronisch, hat im vergangenen Jahr das Licht der Welt erblickt. Zahlreiche weitere Projekte stehen vor dem Start. Ob mit intelligentem Lifestyle-Journalismus wie bei «clack.ch», tiefschürfenden Analysen des Weltgeschehens im «journal21.ch» oder sachkundigem Wirtschaftsjournalismus bei «finews.ch» – Dutzende von Medienschaffenden haben den Traum eines eigenen Mediums verwirklicht. Zwar hapert es noch da und dort mit der Finanzierung, aber das fehlende Geld wird mit umso mehr Herzblut kompensiert.

Die massenweise Abwanderung von Medienschaffenden in die PR-Industrie und die Neugründungswelle sind zwei Seiten der gleichen Münze. Beides sind deutliche Zeichen des Unbehagens vieler Journalistinnen und Journalisten aufgrund der Arbeitsbedingungen in den unter permanentem Spardruck stehenden Redaktionen, vor allem: Zeitungsredaktionen. Noch ist es nicht zu spät, das Ruder herumzureissen und auch wieder die Arbeit in Zeitungen als attraktiv erscheinen zu lassen. Doch dafür müssten die Verlagshäuser ihre Renditevorstellungen nach unten korrigieren und, anstatt Eigentümer und Aktionärinnen zu befriedigen, für ihre MitarbeiterInnen und Angestellten Anreize schaffen, damit sie nicht abwandern und fremdgehen.

Nick Lüthi ist Medienjournalist in Bern.