Vollgeld: Warum die Banken kein Geld mehr schaffen sollten

Nr. 20 –

Um das System Geld zu entschärfen, gerechter zu machen oder auch radikal abzuschaffen, gibt es verschiedene Wege. Die Vollgeldreform schlägt eine einzelne Massnahme vor. Aber die hat es in sich.


Über Banken zu schimpfen, ist gar nicht so einfach. Man fühlt sich schnell unterqualifiziert und überfordert, verirrt sich von Milliarden in Billionen, argumentiert emotional, misstraut generell, gibt kleinmütig auf und bestellt ein Grosses.

Am Freitag, den 13. Mai, einem sommerlichen Nachmittag, begibt sich eine Anzahl Menschen freiwillig in die verwaiste Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften Winterthur (ZHAW). Ältere Kämpen und junge Studentinnen mit kritischem Interesse an Gelddingen füllen den steilen Hörsaal im Nu, es müssen über hundert Personen sein. Die Referenten sind vielversprechend: Wirtschafts- und Umweltsoziologe Prof. Dr. Joseph Huber, Uni Halle, Wirtschaftswissenschafter Hans Christoph Binswanger, St. Gallen, und Rechtsprofessor Philippe Mastronardi, St. Gallen.

Was ist Geld?

Was überhaupt ist Geld? Nicht einmal Bankiers können eine kurze und bündige Definition liefern. Die meisten Menschen stellen sich diese Frage überhaupt nicht. Man hat zwar davon gehört, dass Banken zusätzlich zu den Zinsen und Boni noch weitere, schwer zu verstehende Extraprofite abzweigen –, aber es kann ja nicht wirklich sein, dass sie uns im grossen Stil betrügen, richtig?

Im Schatten dieses Wird-doch-nicht-Seins passiert aber genau das: Eine nicht mal sehr raffinierte, andauernde Volksenteignung, ein sanfter Tornado, der grossflächig Geld nach oben saugt, eine Verfütterung unserer Arbeitskraft an Kreise, die es nicht nötig hätten, es aber noch so gern einsacken: Geld. Was genau ist an diesem Stoff so korrumpierend?

An der Tagung «Schweizer Vollgeldreform» in Winterthur mahnt Professor Hans Christoph Binswanger: «Wenn wir die moderne Wirtschaft wirklich verstehen wollen und mit ihr die immanente ständige Tendenz zum Wachstum, müssen wir das Geld und die ins Unendliche sich fortsetzende Geldschöpfung mit einbeziehen.»

Das Geldschöpfen aus Luft ist mit Sicherheit der magischste und am weitreichendste Vorgang der Neuzeit – wenn es je erfolgreiche Alchimisten gab, dann sind es die Banker unserer Tage. Um dies tiefer zu begreifen, beschäftigte sich der Ökonom Binswanger mit einem 1832 verstorbenen Berufskollegen namens Johann Wolfgang von Goethe. Der hatte nicht nur den «Götz», «Werther» und «Faust» verfasst, sondern auch intensiv Ökonomen gelesen, weshalb er für zehn Jahre zum Wirtschafts- und Finanzminister an den Weimarer Hof berufen wurde.

Findet Goethe, die Schöpfung von Papiergeld werde den Charakter des Menschen und der Gesellschaft verändern? Der Dichter sehe das zweischneidig, meint Binswanger: «Auf der einen Seite ermöglicht die Geldschöpfung Investitionen, sie löst Wachstum, wirtschaftlichen Elan aus, sie ermöglicht die schöpferische Tat. Auf der anderen Seite lässt Goethe im ‹Faust II› die drei wilden Gesellen Raufebold, Habebald und Haltefest auftreten – sie stehen für nackte Gewalt, Gier und Geiz. Der Unternehmer – der Faust als Prototyp des modernen Menschen – hat keinen ‹erfüllten Augenblick›. Daher diese faustische Rastlosigkeit. Der Gewinn ist der Ausgleich für die Sorgen, die sich der Unternehmer auflädt.»

Geld ist bekanntlich alles, womit man zahlen kann: mit Münzen und Papiergeld sowie mit Sichtguthaben bei den Banken, auch Bank- oder Buchgeld genannt. Letzteres kann als Banknoten wieder abgehoben werden – seit Anfang der siebziger Jahre aber nicht mehr in Form von Gold. «Seither», erklärt Binswanger, «können Zentralbanken ohne Bezug und Rücksicht auf Goldreserven Banknoten drucken, und Geschäftsbanken können zusätzlich die Geldmenge nach oben schrauben.»

Dabei können die Geschäftsbanken wesentlich mehr Geld schöpfen als die Nationalbank, was im klaren Widerspruch zur Bundesverfassung steht. Nach Artikel 99, Absatz 1, steht das Geldmonopol und damit die Geldschöpfung ausschliesslich dem Bund zu – also der Schweizerischen Nationalbank (SNB). Der verfassungsrechtliche Geldbegriff ist jedoch, klammheimlich und fliessend, von der technischen und wirtschaftlichen Entwicklung überholt worden. Die Vollgeldreform will nicht mehr als das verfassungsmässige Recht zur Geldschöpfung wieder dem Bund zurückgeben.

Jedes Schulkind kennt aus der Staatskunde die drei Staatsgewalten: die Legislative, die Exekutive und die Judikative. Mit einer Initiative, die 2012 lanciert werden soll, verlangen die Vollgeldvertreter die Einführung einer offiziellen vierten Staatsgewalt: die Monetative, die geldkontrollierende Gewalt. Wie das Stromnetz oder das Strassen- und Schienennetz sei auch die Geldversorgung ein Service public und gehöre dementsprechend reguliert.

Nicht mehr selber Geld kreieren

Eine Gesetzeslücke müsse auf jeden Fall von Amtes wegen geschlossen werden: Das Buchgeld auf unseren Konten und Computern ist eigentlich kein gesetzliches Zahlungsmittel, sondern nur das Versprechen einer Bank, Geld zu zahlen. Trotzdem kann es eine Bank bequem wie Bargeld verwenden, meist sogar noch bequemer. Banken verleihen mehr Geld, als sie besitzen. Sie verdienen mit Versprechungen, kommen aber für den Schaden nicht auf, wenn sie die Versprechungen nicht halten können – zulasten der Allgemeinheit, was im Grenzfall der Finanzkrise sogar zur Entschuldung privater Banken geführt hat. Dies auszuschliessen, ist ein Kernpunkt der Vollgeldreform.

Falls es zur Vollgeldreform kommt: Was bedeutet dies etwa für die UBS? Sie kann weiterhin ihre Finanzprodukte verkaufen, aber für Eigengeschäfte nicht mehr selbst Geld kreieren. 85 Prozent der kaufkraftrelevanten Schweizer Geldmenge M1 sind Zahlen in Büchern oder Computern, nur 15 Prozent sind Münzen, Noten oder Geld der Schweizerischen Nationalbank. Bisher wusste der Bankkunde nichts vom Deckungsgrad seiner Bank – nach einer Vollgeldreform wäre sein Geld von der Nationalbank garantiert.

Jährlich drei bis zehn Milliarden

Gewinnen würde die Allgemeinheit zudem auch, indem mehr von der sogenannten Seigniorage (Geldschöpfungsgewinn) an sie ginge. Dieser Ausdruck bezeichnet die Differenz zwischen der Herstellung von Münzen und Noten und ihrem jeweiligen Nennwert. Die Herstellung einer Banknote kostet – ob Zehner oder Hunderter – etwa dreissig Rappen. Die Differenz steht dem Geldschöpfer zu. Weil die Schweizerische Nationalbank heute nur etwa fünfzehn Prozent der kaufkraftrelevanten Geldmenge schöpft, entgeht ihr und damit uns allen jährlich eine Seigniorage in der Höhe von drei bis zehn Milliarden Franken – je nach Anstieg der Geldmenge.

Die VollgeldinitiantInnen, die sich aus der Initiative für eine natürliche Wirtschaftsordnung (INWO) rekrutieren, sehen die Monetative als ersten, nützlichen Schritt – auch deswegen, weil er Finanzen freisetzt. Ein weiterer Schritt wäre eine Ordnung, die die Bankenfunktionen trennt und das Kundenkreditgeschäft vor den Risiken des Investmentbanking schützt. Weitere Strukturprobleme bleiben vorläufig unangetastet: die Offshorefinanzzentren, die unkontrollierte Spekulation im Kapitalverkehr, die heimatlosen Geldanlagen, die als wandernde Blasen die nächsten Finanzkrisen erzeugen werden, und auch die ungerechtfertigten Vermögensakkumulationen. Und nicht zuletzt: das bisherige Bankenaufsichtsmodell.

Schliesslich: Was bringt uns allen die Vollgeldreform? Professor Huber fasst zusammen: «Kein Geld wird mehr unsichtbar. Der Zahlungsverkehr ist nicht mehr gefährdet, Staat und Gesellschaft sind nicht mehr durch Banken erpressbar. Die Geldflüsse werden stetiger, die Börsenzyklen gemässigter. Die Kontrolle der Geldmenge wird effektiver und die monetäre Inflation gleich null. Der unverdiente Geldschöpfungsgewinn der Banken wird zum Abbau der Staatsschulden beitragen – je nach Land bis zur Hälfte, in der Schweiz sogar zur Gänze.»