Türkei: «Allah hat es für uns erledigt»
In der osttürkischen Region Van bebte letzten Sonntag die Erde. Es war mit einer Stärke von 7,2 das schwerste Erdbeben seit einem Jahrzehnt. Während die Hilfe für die Opfer schleppend vorangeht, nicht zuletzt, weil die Türkei zunächst ausländische Hilfe – abgesehen von Hilfe aus dem Iran und aus Aserbaidschan – abgelehnt hatte, erschüttert ein Ausbruch rassistisch aufgeladenen Hasses die Gesellschaft.
Auslöser war ein Kommentar der Fernsehmoderatorin Müge Anli. In einer Livesendung des Kanals ATV konstruierte sie einen Zusammenhang zwischen dem jüngsten PKK-Attentat auf türkische Sicherheitskräfte, bei dem Mitte Oktober mindestens 24 Menschen ums Leben kamen, und dem Erdbeben in dem mehrheitlich von KurdInnen bewohnten Gebiet Van. Wer Soldaten und Polizisten wie Vögel jage, der könne in schlechten Zeiten keine Hilfe von ihnen erwarten, sagte Müge und spielte damit auf die kurdischen Opfer des Erdbebens an. Auch eine zweite Moderatorin schlug versehentlich in dieselbe Kerbe: «Wir trauern alle, auch wenn das Beben in Van stattgefunden hat», sagte Duygu Canbas in einer Nachrichtensendung auf dem Kanal Habertürk, entschuldigte sich aber umgehend. Das Beben sei die gerechte Strafe Gottes, war daraufhin von türkisch-nationalistischer Seite in zahlreichen Internetforen zu lesen. Und: «Was die Regierung nicht macht, hat Allah für uns erledigt.»
Der Vorsitzende der kurdischen Partei BDP, Selahattin Demirtas, reagierte harsch auf die von Müge losgetretene Hasswelle, die in allen Medien der Türkei diskutiert wird. Er hoffe, dass «Plastikpuppen mit einem Abschluss in Rassismus und einem Doktor in Faschismus» künftig keinen Platz mehr in den Medien erhalten würden. Er kritisierte den Gouverneur der Region Van, Münir Karaloglu, für die Art, wie vor Ort die Hilfe verteilt würde. Auch hier sei ein rassistisches Muster zu entdecken, da die kurdischen Dörfer in der Umgebung deutlich langsamer Hilfe erhalten würden als andere. Karaloglu verweigere zudem den Dialog mit dem Bürgermeister von Van, dem BDP-Abgeordneten Bekir Kaya, obwohl jetzt dringend koordiniertes Arbeiten notwendig wäre. saw