Nahrung für sieben Milliarden: Bioberatung statt Touchscreens!

Nr. 44 –

Am Montag dieser Woche soll er geboren worden sein: der siebenmilliardste Mensch auf diesem Planeten. So haben es die Vereinten Nationen berechnet. Die Meldung war für die Medien Anlass, über die wachsende Weltbevölkerung zu berichten. Und früher oder später kam immer die Frage: Was werden die alle essen?

Der Winterthurer «Landbote» gab dem Chef der Landmaschinenfirma Bucher, Philip Mosimann, Platz für Eigenwerbung. Mosimann sieht seine Maschinen als Mittel gegen den Hunger. Auch in Asien werde es ein Bauernsterben geben, sagt er. Kein Problem: für eine effizientere Landwirtschaft brauche es grössere Betriebe. «Bis unsere Maschinen, die mit Computertechnologie und Touchscreens ausgestattet sind, im grossen Stil eingesetzt werden können, wird aber noch viel Zeit verstreichen.» Und die «NZZ am Sonntag» verkündete: «Um den wachsenden Hunger zu stillen, sind alle Mittel recht.» Ohne Gentechnik gehe es eben nicht.

Seit Jahren sagen die VereinfacherInnen, wir hätten vor allem ein Mengenproblem, und propagieren auch gleich die erlösende Technik. Sie glauben, Landwirtschaft funktioniere wie die Industrie: eine Erhöhung der Produktion und neuste Technik, und alles wird gut.

Sie irren:

  • Die heute produzierten Lebensmittel könnten mindestens siebeneinhalb Milliarden Menschen ernähren. Wenn man mitrechnet, was weggeworfen oder ans Vieh verfüttert wird, reichen sie noch weiter. Es gibt kein Mengen-, sondern ein Verteilungsproblem.
  • Die industrielle Landwirtschaft hat zwar die Produktion erhöht, aber sie bedroht ihre eigenen Grundlagen. Sie betreibt Raubbau am Grundwasser und am Wald und braucht enorme Mengen fossiler Energie. Anders als Mist oder Kompost erneuert Kunstdünger den Humus nicht; der Boden baut sich ab.
  • Biolandbau kann die Menschheit ernähren. Laut Urs Niggli, dem Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) in Frick, sind die Bioerträge in Gebieten mit sehr guten Bedingungen – wie in Westeuropa – zwar rund ein Drittel tiefer. Bei weniger günstigem Klima gleichen sich die Erträge jedoch an, und dort, wo häufig Dürren oder Überflutung drohen, wirft der Biolandbau sogar mehr ab.
  • Das vielleicht wichtigste Argument geht oft vergessen: Immer noch sind vierzig Prozent der Menschheit KleinbäuerInnen. Die Landwirtschaft ist der einzige Sektor, der so vielen Menschen ein Auskommen geben kann. Ein besserer Zugang zu regionalen Märkten und Investitionen in ökologische Methoden würden ihr Leben verbessern – Maschinen «mit Computertechnologie und Touchscreens» hingegen ihre Existenz ruinieren.

Im Juni 2012 findet in Rio de Janeiro wieder eine Nachhaltigkeitskonferenz statt, zwanzig Jahre nach dem dortigen Gipfel. Die Landwirtschaft müsse im Zentrum von Rio+20 stehen, fordern über hundert NGOs, darunter Alliance Sud und Biovision aus der Schweiz.

Am Dienstag dieser Woche übergaben sie den Vereinten Nationen ein Positionspapier (www.timetoactrio20.org). Rio+20 soll den Wandel von industrieller Nahrungsproduktion hin zu kleinen, ökologischen Strukturen fördern, ein Uno-Gremium für Bauernrechte schaffen und die Patentierung von Genen verurteilen. Die NGO-Allianz spricht sich gegen Geoengineering aus – riskante grosstechnische Projekte, die den Klimawandel stoppen sollen – und «gegen die Vermarktung und Kommerzialisierung der Natur in allen Formen des CO2-Handels»: «Solche marktbasierten Mechanismen gehen nicht gegen die Grundursachen der Treibhausgasemissionen aus der Landwirtschaft vor, sondern tendieren dazu, den Umweltverschmutzern Fehlanreize zu bieten.»

Die Berechnungen im Positionspapier machen schwindlig: Auf dem Land, das sich InvestorInnen weltweit unter den Nagel gerissen haben (sogenanntes «land grabbing»), wäre Platz für 26,7 Millionen Bauernhöfe von je drei Hektaren. Das Getreide, das an Tiere verfüttert wird, könnte die halbe Menschheit ernähren. Der Wasserverbrauch von fünf der grössten weltweiten Nahrungsmittel- und Getränkekonzerne könnte den Bedarf sämtlicher Menschen decken.

Wer glaubt jetzt noch, wir hätten nur ein Mengenproblem?