Medientagebuch: Generäle schlagen zurück
Alfred Hackensberger über den Spätherbst in Ägypten.
Es war ein ambitioniertes Projekt: der ägyptische «Independent», eine 24 Seiten starke, englischsprachige Wochenzeitung, die sich zum Ziel gesetzt hatte, «die komplexe politische wie kulturelle Landschaft Ägyptens offenzulegen und zu hinterfragen». Aber die Zeitschrift kam über die erste Nummer nicht hinaus. Ohne gültige Lizenz erschien der «Egypt Independent» als Beilage von «Al-Masry Al-Youm», einer 2004 gegründeten Tageszeitung, die als Symbol einer unabhängigen Presse galt. Und ausgerechnet der Chefredaktor dieses arabischsprachigen Blattes bekam kalte Füsse: Aufgrund eines Artikels über die amtierende Militärregierung liess Magdi al-Galad den «Egypt Independent» nicht mehr als Beilage mit seiner Zeitung ausliefern. Stein des Anstosses war ein Text von Robert Springborn mit der Überschrift «Beurteilt Tantawi die Situation korrekt?». Darin bezweifelte der amerikanische Historiker die Fähigkeit des ägyptischen Feldmarschalls Hussein Tantawi, als Chef des regierenden Militärrats eine einheitliche Linie herzustellen, und spekulierte über einen möglichen internen Machtkampf innerhalb der militärischen Führungsriege. Keine grosse Sache, sollte man annehmen. Aber dieser Fall zeigt deutlich, wie weit Ägypten noch von einer freien Presse und von demokratischen Verhältnissen entfernt ist.
Seit dem 25. Januar protestieren die Menschen auf Ägyptens Strassen. Als Resultat musste Präsident Hosni Mubarak, der fast vier Jahrzehnte im Amt gewesen war, zwar gehen, und er wurde vor Gericht gestellt. Es gab sogar die ersten freien Parlamentswahlen, aber das alte Regime ist nach wie vor an der Macht und setzt die gewohnten Unterdrückungsmechanismen ein: Gewalt und Einschüchterung. Soldaten prügeln und schiessen auf Demonstranten rund um den Tahrir-Platz. Geheimdienstler verhaften wahllos Verdächtige, bedrohen und misshandeln sie.
Und was ist mit der Presse, die sich mit dem Beginn der Revolution ebenfalls mehr Freiheit und Unabhängigkeit erhofft hatte? Ihre Situation ist zurzeit nicht weniger besorgniserregend oder vielleicht sogar noch schlimmer als unter Hosni Mubarak. Die Nichtauslieferung der Beilage «Egypt Independent» wirkt fast wie eine Bagatelle im Vergleich zu dem, was die Militärs mit einheimischen und ausländischen JournalistInnen anstellen. Die Generäle sehen eine Medienverschwörung gegen sich und schlagen zurück: Uniformierte wie Männer in Zivil machten Jagd auf JournalistInnen, schlugen sie nieder und verhafteten sie. Die Kameras von Fotografen oder TV-Teams wurden konfisziert und gleich an Ort und Stelle zerstört. Das waren keine Einzelfälle, wie das «Komitee zum Schutz von Journalisten» (CPJ) in einem Report vom 19. Dezember berichtet.
Das Vorgehen gegen MedienvertreterInnen scheint von oben angeordnet worden zu sein. Männer in Zivil stürmten die Büros von Zeitungen und Fernsehsendern unweit des Tahrir-Platzes. Erneut wurden JournalistInnen zusammengeschlagen, Computerdaten gelöscht, Filmaufnahmen vernichtet, Kameras zerstört oder komplette TV-Ausrüstungen einfach aus dem Fenster auf die Strasse geworfen. Das CPJ hatte bereits im November 35 Fälle dokumentiert, bei denen JournalistInnen angegriffen, sexuell belästigt, verprügelt, verhaftet worden waren. Mit dem Arabischen Frühling hat das nichts zu tun. Man muss eher von Herbst oder Winter sprechen. Und das wird so bleiben, solange die Militärregierung in Kairo das Sagen hat.
Alfred Hackensberger ist WOZ-Mitarbeiter in Tanger.