Der Wegelin-Prozess: Auftakt zur zweiten Runde
US-Staatsanwalt Preet Bharara, der die Bank Wegelin anklagt, hat noch nie einen Prozess verloren. Eine Globallösung im Steuerstreit ist nicht absehbar: Die Amerikaner haben es auf den ganzen Schweizer Finanzplatz abgesehen.
Meterhoch türmen sich die Aktenordner im muffigen Büro des Staatsanwalts für den südlichen Distrikt New Yorks. Preet Bharara strahlt in die Kamera der «Time Magazine»-Reporter, als wäre ihm kein Ort der Welt lieber. Der Amerikaner indischer Abstammung, der 2009 von Präsident Barack Obama als Staatsanwalt eingesetzt wurde, kämpft mit schier unerschöpflichem Elan gegen Mafiosi und Terroristen, aber auch gegen Insiderhandel.
«Dieser Mann sprengt die Wall Street», heisst es über dem Gesicht Bhararas auf dem Cover der Wochenzeitschrift. In knapp zwei Jahren hat er in über sechzig Fällen prozessiert. Verloren hat der Strafverfolger noch nie. Nun will Bharara auch SteuersünderInnen an den Kragen, die ihr Geld auf Überseekonten verstecken. Als erste US-amerikanische Justizinstanz hat sein Amt vergangene Woche mit der Bank Wegelin eine ausländische Bank ohne Niederlassung in den USA angeklagt.
Am längeren Hebel
Mit der detaillierten Klage, die unverschämte Handlungen von Wegelin-Bankern enthüllt, darf Bharara auf einen weiteren Erfolg hoffen. Asher Rubinstein, ein Anwalt für Vermögensverwaltung, der den Steuerstreit genau beobachtet und zahlreiche ehemalige UBS-KundInnen betreut, bezeichnet den forschen Staatsanwalt als «sehr fähig und willensstark». Die Klage sei solide aufgebaut, Bharara habe damit gute Chancen, einen Schuldspruch gegen Wegelin zu erwirken, meint Rubinstein.
Auf Freitag ist der erste Gerichtstermin in Manhattan angesetzt. Wer Wegelin vertreten wird, ist gemäss Gerichtsunterlagen noch unklar. Zwar beschäftigt die Bank den prominenten Anwalt Richard Strassberg der Kanzlei Goodwin Procter, der äussert sich aber bis jetzt nicht zum Fall. Der zuständige Richter Jed Rakoff ist bekannt dafür, Finanzkriminelle gerne hart anzufassen. Beim ersten Termin dürfte allerdings nicht viel geschehen. Erscheint überhaupt ein Wegelin-Anwalt, dürfte vor allem um Termine und Fristen gerungen werden. Steht kein Rechtsvertreter vor Rakoff, dürften die Angeklagten als flüchtig eingestuft und ein US-Haftbefehl gegen sie erlassen werden.
Die New Yorker Finanzelite beobachtet den Fall genau. Für Vermögensberater Rubinstein ist die St. Galler Privatbank der erste Testfall in der zweiten Runde des Steuerstreits: «Die Klage zeigt, dass die USA in ihrer schon vier Jahre dauernden Offensive gegen das Bankgeheimnis am längeren Hebel sitzen. Wenn die Schweizer nicht liefern, kann Amerika das Schweizer Banksystem empfindlich lähmen und die Schweizer Wirtschaft stark gefährden.» Der Fall Wegelin zeige in aller Deutlichkeit, dass auch Banken ohne Vertretung in Amerika nicht vor dem Zugriff der US-Justiz sicher seien, so Rubinstein.
Dass die Bestrebungen Bhararas nicht auf die leichte Schulter genommen werden dürfen, da die Direktive für das Vorgehen direkt aus Washington kommt, weiss die Schweiz schon lange: Michael Ambühl, Staatssekretär für internationale Finanzfragen, bemüht sich seit Jahren um eine sogenannte Globallösung. Fast monatlich ist er in Washington, auch diese Woche wieder. Über den Stand der Verhandlungen geben weder die Schweiz noch die USA Auskunft, entscheidende Fortschritte scheinen noch nicht gemacht worden zu sein.
Fast schon als Erfolg darf gewertet werden, dass die Verhandlungen andauern. Noch immer hat der US-Senat das 2009 unterzeichnete Doppelbesteuerungsabkommen nicht ratifiziert, die scharfe Klage der Amerikaner gegen Wegelin tut das Ihre, um die Schweizer vor den Kopf zu stossen.
Gegenwärtig sieht es so aus, als hätten die elf Banken, die im Zentrum der Untersuchungen stehen, mit den US-Behörden – ähnlich wie im UBS-Fall – ein «Deferred Prosecution Agreement» auszuhandeln. In einer solchen Einigung müssten sich die Finanzinstitute zumindest teilweise zu ihrer Schuld bekennen, eine gewisse Zahl von Kundendaten liefern und eine Busse bezahlen. Die US-Behörden würden dafür auf weitere Rechtsschritte verzichten. Danach soll zwischen den beiden Staaten eine Übereinkunft gefunden werden, mit der die Steuerfragen auch für die restlichen 320 in der Schweiz ansässigen Banken gelöst werden.
Die Amerikaner machen mit der Klage klar: Es geht nicht um einzelne SteuersünderInnen. Im Visier der US-Untersuchungen ist auch nicht eine einzelne Schweizer Bank, sondern ein Finanzplatz, der aus Steuerhinterziehung Profit zu schlagen sucht.
Im Fall von Exfrauen
Clevere Anlageberater wie Rubinstein haben schon vor dem Fall Wegelin die Strategie festgelegt, die sie in Zukunft fahren wollen: Gegenüber den Steuerbehörden eines Landes sei das Bankgeheimnis hinfällig, sagt Rubinstein. Ein Konto auf einer Schweizer Bank empfehle sich aber auch unter Einhaltung aller Steuervorschriften: Kein Land sei politisch, wirtschaftlich und sozial so stabil und biete dermassen interessante Investmentangebote wie die Schweiz. Und im Fall von Exfrauen und unliebsamen einstigen GeschäftspartnerInnen gelte das Bankgeheimnis schliesslich immer noch, sagt Rubinstein.
Klagen gegen fehlbare Banken kommen beim Publikum gut an. Kann Preet Bharara als Wall-Street-Sheriff auch mit der Wegelin-Klage weiter auf der Erfolgswelle reiten, winkt ihm bald die Aussicht auf eine politische Karriere: Der smarte, gut aussehende Mann, der dieses Jahr 44 wird, wäre nicht der Erste, der das Amt als Sprungbrett benutzt: Einer seiner Vorgänger ist New Yorks späterer republikanischer Bürgermeister Rudolph Giuliani, der die Stadt Ende der neunziger Jahre mit rücksichtsloser Polizeigewalt zur Zucht zwingen wollte.