Fall Wegelin: «Bei Ihrer Bank möchte ich auch arbeiten»
David Zollinger war Zürcher Staatsanwalt für Geldwäscherei, später wurde er zum juristischen Gewissen der Bank Wegelin – auch bei deren Jagd auf reiche US-KundInnen. Die Geschichte eines Seitenwechslers.
Das Scheitern lehrt keine Bescheidenheit, zumindest nicht in der Wortwahl. Zwei Wochen nach dem Notverkauf der Bank Wegelin an die Raiffeisen, eine Woche nach der Anklage durch die USA gab Konrad Hummler letzten Donnerstag bekannt, dass er das Mandat als NZZ-Präsident ruhen lasse. Wie immer fand er grosse Worte dafür: Der Rechtsstreit erfordere «den Einsatz sämtlicher physischer und intellektueller Kapazitäten». Deshalb habe er den Verwaltungsrat «nachgesucht, das Amt ad interim in andere Hände legen zu können». Die NZZ habe ihren «Doyen Franz Steinegger mandatiert, den Vorsitz bis auf weiteres zu führen».
Am Wochenende distanzierte sich Patrick Odier, Präsident der Schweizerischen Bankiervereinigung, in der NZZ und in «Le Temps» deutlich von Hummler: «Bei der Bank Wegelin kann ich nur sagen, dass die Bank ganz klar im Widerspruch zur Strategie des Finanzplatzes gehandelt hätte, sollte sich die Anklageschrift bewahrheiten.» Und: «Es war zumindest leichtfertig und bedauerlich, dass es Banken gab, die nach dem Fall UBS noch deren Kunden übernommen haben.» In der «SonntagsZeitung» schloss Franz Steinegger eine Rückkehr von Hummler an die Spitze der NZZ zwar nicht aus, meinte aber: «Die Berichterstattung zu diesem Thema wird jetzt sicher einfacher.»
Wer ist «Executive A»?
Auf dem Finanzplatz herrscht spürbar Nervosität. Entgegen der Parole vom nationalen Schulterschluss fallen seine VertreterInnen übereinander her. Zehn weiteren Banken kann eine Anklage drohen. Und auch bei der Restbank Wegelin geht die Auflösung weiter: Am Freitag war der erste Gerichtstermin in den USA angesetzt (vgl. «Der falsche Winkelried»).
An die hundert KundInnen sollen nach dem UBS-Fall insgesamt 1,2 Milliarden Dollar bei der Bank Wegelin versteckt haben. Gemäss zwei Anklageschriften war die Aufnahme ein Entscheid der ganzen Bankleitung. Umgesetzt hätten sie der unbeschränkt haftende Teilhaber Christian Hafner sowie ein gewisser «Executive A». Diese Person habe unter anderem die KundenberaterInnen in den richtigen Argumenten geschult: Wegelin gehe als kleine Bank kein Risiko ein. Ausserdem könne man hohe Gebühren kassieren. In einem anonymen Mail an den Blog «Inside Paradeplatz» schrieb ein «intimster Kenner der Bank Wegelin», es handle sich dabei um David Zollinger. Was ist an der Anschuldigung dran?
David «Dave» Zollinger, geboren 1964, studierte Jus an der Universität Zürich. Ab 2000 leitete er die Zürcher Amtsstelle für Rechtshilfe und Geldwäscherei. Im Arbeitsalltag ging es meist um Gesuche aus Deutschland zu Bankunterlagen. 2007 wechselte Zollinger zur Bank Wegelin, wo er für den Bereich «Neue Märkte» zuständig wurde. Seine Funktion gab Zollinger regelmässig mit «Mitglied der Geschäftsleitung» an. Später stieg er zum beschränkt haftenden Teilhaber und zum Leiter der Zürcher Niederlassung Fraumünster auf.
2010 trafen wir uns dort zu einem Interview. Oberst Zollinger trug bei der Begegnung die Militäruniform. Es ging um seinen Wechsel von der Staatsanwaltschaft zur Privatbank. Zollinger begründete ihn damit, dass er sich als Bundesanwalt beworben hatte. Als «Mitglied der Zürcher SVP der ersten Stunde» sei er in der Endrunde ausgeschieden. Er habe also Konrad Hummler einen Brief geschrieben: «Ich kandidiere für das Amt des Bundesanwaltes. Bei Ihrer Bank möchte ich auch gerne arbeiten.» Nach zwei Gesprächen wechselte Zollinger die Seite. Auf die Frage, wie lukrativ das Angebot von Wegelin war, meinte er: «Im Vergleich dazu, was man beim Staat verdient, ist fast alles lukrativ.» Zur Bemerkung, er stelle sein ganzes Know-how in der Strafverfolgung von Steuerdelikten einer Privatbank zur Verfügung, sagte Zollinger: «Sicher. Aber was ist daran zu kritisieren?» Seine Tätigkeit für die Bank beschrieb er damals so: «Es geht um neue Märkte für Wegelin, ausserhalb des deutschsprachigen Raums. Meine Aufgabe ist es, Risiken im Voraus vermeiden zu helfen. Vorne an der Front.»
Die Bad Bank Wegelin besteht heute noch aus fünfzehn Mitarbeitern, darunter David Zollinger. Sie stehen nicht für Interviews zur Verfügung. Auskunft erteilt PR-Berater Jörg Denzler, der nach Ex-UBS-Boss Marcel Ospel und Ex-Nationalbank-Chef Philipp Hildebrand nun die letzten Wegelin-Banker betreut. Denzler verwahrte sich bisher dagegen, Zollinger aufgrund einer Ähnlichkeit in der Anklageschrift mit «Executive A» gleichzusetzen.
In der aktuellen «Bilanz» ist die Organisationsform der Bank Wegelin beschrieben: Was von aussen nach Mitarbeiterbeteiligung aussah – mit unbeschränkt haftenden und beschränkt haftenden Teilhabern sowie einer Geschäftsleitung – sei einzig auf die grössten Einzelaktionäre Konrad Hummler und Otto Bruderer ausgerichtet gewesen. Bei ihren Entscheiden habe Rechtsexperte Zollinger «als entscheidende Stütze» gedient.
Keine Untersuchung
Zollinger äusserte seine Sicht auf das Bankgeheimnis in zahlreichen Beiträgen in NZZ und «Weltwoche»: Für Schweizer Banken gelte nur Schweizer Recht. 2009 zeichnete er als Mitautor des Kommentars zum Geldwäschereigesetz verantwortlich, ein Jahr später wurde er in die Aufsicht der Bundesanwaltschaft gewählt. Die Wahl wurde unter anderen von FDP-Ständerat Dick Marty kritisiert: nicht wegen der Gesinnung Zollingers – sondern weil es nicht angehe, dass einer Aufsicht über die Justiz übe, der operativ in einer Bank tätig sei.
In der zweiten Anklageschrift gegen die ganze Bank taucht zum «Executive A» ein neues Detail auf: Das Mitglied des «Executive Comitee» arbeitete hauptsächlich in Zürich. Auf der Website der Vereinigung Schweizer Privatbanken fand sich bis Mitte Januar eine Liste mit den Namen der Teilhaber und der Geschäftsleitung der Bank Wegelin: Geht man sie durch, bleibt Zollinger der einzige, der in der Zürcher Niederlassung arbeitete, von der Funktion her mit «Executive A» übereinstimmt und zudem nicht von Raiffeisen übernommen wurde.
Damit konfrontiert, weicht PR-Berater Denzler aus: «Die Namen der Geschäftsleitung sind nie offiziell kommuniziert worden.» Am Mittwoch entschied die Gerichtskommission des Parlaments, dass sie die Unabhängigkeit von David Zollinger in der Aufsicht über die Bundesanwaltschaft nicht untersuchen lässt. «Der Entscheid fiel ohne inhaltliche Prüfung», sagt FDP-Ständerat Hans Hess.
Wegelin und die US-Justiz : Der falsche Winkelried
Die Bank Wegelin blieb letzten Freitag dem ersten Gerichtstermin in New York fern. Die Klage sei, so das Statement der Bank, nie vorschriftsgemäss eingetroffen. Die Bank Wegelin ist wegen «Verschwörung gegen die USA» angeklagt, sie habe reichen AmerikanerInnen dabei geholfen, Steuern zu hinterziehen.
Wer nicht vor Gericht erscheint, bricht damit noch kein Recht – möglich, dass man von der Vorladung nie erfahren hat. Der Trick funktioniert aber nie, wie man aus Krimis weiss. Das Gesetz stammt aus einer Zeit, als die Post per Ross vertragen wurde und Bankangestellte Dollarscheine noch von Hand zählten.
Die Bank Wegelin weiss wohl ganz genau, wann und wo man sie in New York erwartet hat. Ihre Ausrede muss in den Ohren der Amerikaner wie blanker Hohn klingen – zumal Konrad Hummler gleichentags sein Amt als Präsident des NZZ-Verwaltungsrats niederlegte, weil die Auseinandersetzungen mit den USA den Einsatz «sämtlicher Kapazitäten» erfordere.
Auch die berüchtigte Aussage des St. Galler Bankers dürfte bis zu den IRS-Ermittlern gedrungen sein, wonach dumm sei, wer nicht Steuern hinterziehe. Solche Sätze machen sich gut in einer Anklageschrift, sollte die Staatsanwaltschaft versuchen, einen Haftbefehl für Wegelin-Partner zu erwirken. Dieser Schritt wird zumindest in Erwägung gezogen, sagte Strafverfolger Daniel Levy auf die Frage des Richters, wie die Kläger weiter vorzugehen gedenken. Mit solchen Aussagen kann die US-Justiz zeigen, dass der Boss die Strategie der Bank nicht nur unterstützte, sondern persönlich vertrat.
Die US-Justiz greift im Steuerstreit seit dem erfolgreichen Vorgehen gegen die UBS auf einen erweiterten Etat zurück: Mit den Informationen, die rund 30 000 reuige SteuerhinterzieherInnen und 4450 Datenstämme der UBS lieferten, lässt sich das Beziehungsnetz der Schweizer Banken weiter entflechten. Hinzu kommen Aussagen von Whistleblowern.
Der grossmäulige Banker Hummler, der noch vor kurzem im Schweizer Fernsehen versprach, mit «unbeschränkter persönlicher Haftung dafür einzustehen, was die Bank macht», entpuppt sich mit dem Entschluss, nicht einmal einen amerikanischen Vertreter zum Gericht zu entsenden, als falscher Winkelried. Der echte stellte sich bekanntlich dort, wo die Schlacht stattfand.
Roman Elsener, New York