Glencore in Kolumbien: Mehr als die Hälfte ist krank
Drei Dörfer sollen umgesiedelt werden – wegen umweltverschmutzender Kohleminen. Doch die Bergbaukonzerne, darunter die Schweizer Glencore, verschleppen die Umsetzung und verweigern den Dialog.
Die Gegend um das kolumbianische Dorf El Hatillo scheint von Hügeln umgeben. Doch der Eindruck täuscht: Es sind gigantische Abräumhalden von Kohleminen, die nur wenige Hundert Meter neben dem Dorf liegen. Seit zwanzig Jahren wird hier im Tagebau Kohle abgebaut. Die BewohnerInnen sind dem Kohlenstaub ausgesetzt und leiden seit Jahren unter der massiven, von den Minen verursachten Umweltverschmutzung.
El Hatillo liegt im nördlichen Departement Cesar. Über vierzig Prozent der Fläche des Departements sind in Bergbaukonzessionen vergeben, und viele Konzerne, die in der Region tätig sind, gehören zu den internationalen Schwergewichten: so der US-Konzern Drummond, der die Mine Pribbenow und El Descanso Norte betreibt, der Schweizer Konzern Glencore-Prodeco mit den Minen Calenturitas und La Jagua, die brasilianische Vale Rio Tinto mit der Mine El Hatillo und die Colombian National Ressources (CNR) – im Besitz der US-Bank Goldman Sachs – mit der Mine La Francia.
Mehr als 3000 Menschen betroffen
Im Mai 2010 hatte das kolumbianische Umweltministerium entschieden, dass die BewohnerInnen von El Hatillo, von Plan Bonito sowie dem Dorf Boquerón umgesiedelt werden müssen – Plan Bonito innert Jahresfrist. Betroffen sind über 3000 Personen, genauere Zahlen gibt es bis heute nicht. Grundlage für diese Entscheidung, die in Kolumbien einen Präzedenzfall darstellt, waren die Resultate einer Studie, laut der 51 Prozent der BewohnerInnen wegen der Luftverschmutzung unter teils schweren Erkrankungen der Atemwege leiden sowie viele Haut- und Augenprobleme haben. Verantwortlich für die Organisation und Finanzierung der Umsiedlung, die ohne Konsultation der Bevölkerung beschlossen wurde, sind laut dem Ministerium die Minenkonzerne.
Anfang dieser Woche kam es in Plan Bonito und El Hatillo zu Protesten und einer Strassenblockade, die zu gewalttätigen Auseinandersetzungen eskalierten, als sich bewaffnete Gruppen einmischten und die Polizei die Strassenblockade gewaltsam auflöste. Auslöser der Proteste war gewesen, dass die VertreterInnen der Konzerne zu einem Treffen mit der Bevölkerung von Plan Bonito nicht erschienen waren, obwohl sie eine Teilnahme zugesagt hatten.
Stephan Suhner von der Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien (ASK) ist besorgt über diese Entwicklung. «Seit Monaten kommt der Prozess nicht voran», sagt Suhner. Zwar habe eine von den Konzernen eingesetzte Organisation letzten September erstmals versucht, in den Dörfern einen Zensus zu erheben und die Forderungen der BewohnerInnen zu sammeln. «Doch die Unterlagen waren unvollständig und haben keine Ergebnisse gebracht.»
Unwillkommener Besuch
Die ASK unterstützt kolumbianische nichtstaatliche Organisationen (NGOs), die die lokale Bevölkerung über ihre Rechte informieren und beim Prozess der Umsiedlung mithelfen. Eine dieser NGOs ist das Pensamiento y Acción Social (PAS). Gloria Holguín von der PAS war im Herbst in der Schweiz und versuchte, beim Hauptsitz von Glencore in Zug einen Gesprächstermin zu erhalten. Der Konzern lehnte ab und teilte mit, dass es auf lokaler Ebene bereits genug Gespräche gäbe.
Doch nicht nur die Verzögerungstaktik der Konzerne, die immer wieder gegen die Entscheide des Umweltministeriums Rekurs eingelegt oder dagegen geklagt haben, erschwert den Umsiedlungsprozess. Laut Holguín haben die BewohnerInnen der drei Dörfer sehr unterschiedliche Forderungen. So wolle El Hatillo die kollektive Umsiedlung. «Die Menschen fordern zudem eine Gesundheitsuntersuchung, die unabhängige Experten vornehmen sollen, und eine medizinische Betreuung der Kranken», sagt Holguín. «Ausserdem verlangen sie, dass vor der Umsiedlung eine lokale Infrastruktur aufgebaut wird.» Die Bevölkerung von Plan Bonito hingegen wolle nur über den Verkauf ihrer Häuser verhandeln, während sich die Menschen in Boquerón uneinig sind und über das weitere Vorgehen kollektiv abstimmen wollen.
Erschwerend komme hinzu, dass die Frage, wohin die Menschen umgesiedelt werden sollen, bisher noch nicht einmal zur Sprache gekommen sei, sagt Holguín. Die BewohnerInnen der drei Dörfer fordern einen neuen Lebensraum mit einer sauberen Umwelt, der ihrer landwirtschaftlich geprägten Gemeinschaft Nahrungsmittelsicherheit biete. Im Departement Cesar gibt es wegen der vielen Minen aber kaum noch einen Ort, wo das gewährleistet werden kann. Die drei Dörfer, sagt Holguín, seien erst der Anfang: «In Zukunft wird es wegen der Umweltverschmutzung noch viel mehr Fälle von Umsiedlung geben.»
Was weiter geschah
Hungernde mitten im Rohstoffreichtum
Seit Wochen schon leiden die BewohnerInnen der Dorfgemeinschaft El Hatillo im Departement Cesar im Norden Kolumbiens an Hunger. Doch bisher haben sich weder staatliche noch internationale Institutionen für zuständig erklärt, da die DorfbewohnerInnen keine «Gewaltvertriebene» seien und keiner ethnischen Minderheit angehörten. Dass die prekäre Situation der DorfbewohnerInnen auf die rücksichtslose Bergbaupolitik des Landes zurückzuführen ist, wird dabei unter den Tisch gewischt.
Gleich vier Tagebauminen kesseln El Hatillo ein, wo 130 Familien leben. Seit den neunziger Jahren wird hier Kohle abgebaut, riesige Abraumhalden befinden sich nur wenige Hundert Meter vom Dorf entfernt. Aufgrund des Kohlenstaubs und der durch den Abbau stark verschmutzten Böden und Wasserquellen ist die Gesundheit der DorfbewohnerInnen seit langem gefährdet: Überdurchschnittlich viele Menschen leiden an schweren Atemwegserkrankungen, Haut- und Augenproblemen.
Im Mai 2010 hatte das kolumbianische Umweltministerium deshalb entschieden, dass die EinwohnerInnen von El Hatillo sowie von zwei weiteren umliegenden Dörfern binnen Jahresfrist umgesiedelt werden müssen. Verantwortlich für die Umsiedelung seien die Minenkonzerne – multinationale Schwergewichte wie die US-Konzerne Drummond und CNR Goldman Sachs sowie die Prodeco-Gruppe Kolumbien im Besitz des Schweizer Bergbaumultis Glencore. Doch seither ist wenig passiert. Die Kohlenminen dehnen sich weiter aus, sodass den DorfbewohnerInnen immer weniger Land für ihre Landwirtschaft zur Verfügung steht.
Anfang Januar hat sich die Situation nun drastisch verschärft. In einer der Minen kam es zu vielen Entlassungen, von denen auch El Hatillo betroffen war. Inzwischen sind neunzig Prozent der DorfbewohnerInnen ohne Arbeit. Eine anhaltende Trockenperiode liess die landwirtschaftlichen Erträge noch einmal schrumpfen.
Die Arbeitsgruppe Schweiz–Kolumbien (ASK) hat sich Mitte Februar in einem offenen Brief an den kolumbianischen Präsidenten gewandt und auf die Nahrungsmittelkrise in der Bergbauregion hingewiesen. Immerhin: Laut Stephan Suhner von der ASK haben die Minenkonzerne inzwischen einen Plan verfasst, der die Nahrungsmittelhilfe für die nächsten Monate sichern soll sowie Projekte für die Hühnerzucht und für Hausgärten vorsieht. Und ein lokaler Politiker habe versprochen, dass die Trinkwasserversorgung verbessert und Gesundheits- und Lehrpersonal entsandt werde. «Dennoch bleibt die humanitäre Situation in El Hatillo besorgniserregend», sagt Suhner. sw
Nachtrag vom 28.02.2013.