Kommentar von Tommy McKearney, Monaghan: Ein Boykott und das Punt
An diesem Donnerstag stimmt die irische Bevölkerung über die «Fiskalpakt» genannte europaweite Schuldenbremse ab. Eine Überraschung ist nicht ausgeschlossen.
Seit kurzem sorgt ein Beschluss der Geschäftsleute von Clones für nationales Aufsehen: Sie führten das irische Punt wieder ein – die bis zur Übernahme des Euro gültige Währung der Republik Irland. Nein, eine grosse politische Geste oder gar ein Statement zum Zustand der Gemeinschaftswährung sei dies natürlich nicht, beteuern zwar die HändlerInnen der irischen Kleinstadt an der Grenze zu Nordirland. Aber angesichts des anhaltenden Tumults um den Euro ist das öffentliche Interesse an der lokalen Aktion nicht verwunderlich – zumal das Referendum über den Fiskalpakt zur Einführung einer Schuldenbremse in den Eurostaaten nur wenige IrInnen zu interessieren scheint.
Das allgemeine Desinteresse hat teilweise mit einem weit verbreiteten Zynismus zu tun. Zweimal hatten die WählerInnen in Referenden EU-Vertragsentwürfe abgelehnt: 2001 stimmten sie gegen den Vertrag von Nizza, 2008 gegen den Lissabon-Vertrag – und beide Male ordnete die irische Regierung eine neue Abstimmung an, die nach intensiver Kampagne – gepaart mit handfesten Drohungen – zugunsten der Verträge ausging. Dieses Mal, beteuert der derzeitige Regierungschef Enda Kenny, werde es kein zweites Votum geben. Doch die Skepsis bleibt – zumal Arbeitsminister Richard Bruton in einer Debatte die Bemerkung fallen liess, dass ein zweiter Wahlgang durchaus möglich sei, sollte die Bevölkerung gegen die Regierung stimmen.
Bruton dementierte postwendend seine Äusserung. Seine Unbestimmtheit beim Verfahren entspricht der Ungewissheit eines Grossteils der Bevölkerung: Laut Meinungsumfragen wissen über 35 Prozent der Befragten nicht, wie sie abstimmen werden – 37 Prozent wollen zustimmen, 24 Prozent sind klar dagegen. Selbst der Gewerkschaftsdachverband ICTU bezog keine klare Position. Eindeutig Stellung für den Vertrag nahmen bisher neben den Regierungsparteien Fine Gael und Labour sowie der früher regierenden Partei Fianna Fáil der Bauernverband und die Unternehmervereinigung IBEC. Sie alle hoben in ihrer Argumentation nicht den Spar- und Sozialkürzungszwang hervor, der sich aus dem Fiskalpakt ergibt, sondern betonten die Frage, ob sich Irland nach einer Ablehnung noch für Finanzhilfen des Eurorettungsschirms aus den Mitteln des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) qualifiziert. Schliesslich sei der Fiskalpakt längst beschlossene Sache, weil – anders als bei früheren Referenden – das irische Votum keine Vetokraft habe.
Die Behauptung, dass Irland künftig keine Hilfsgelder mehr bekomme, stimmt zwar so nicht; aber einen Teil der Bevölkerung hat sie trotzdem in Panik versetzt. Denn trotz – beziehungsweise wegen – der bisherigen Austeritätspolitik (einschneidende Lohnkürzungen, massiver Abbau der Sozialhilfe, kaum staatliche Investitionen) steckt Irland in grossen wirtschaftlichen und finanziellen Schwierigkeiten. Die Regierung muss mindestens 64 Milliarden Euro an internationale Finanzinstitute zurückzahlen, die sie 2008 zur Rettung der irischen Banken aufgenommen hatte (das entspricht rund vierzig Prozent des Bruttoinlandsprodukts, BIP) – und ein Ende ist nicht absehbar. Der Staat, der vor der Finanzmarktkrise und dem Bankencrash zu gerade mal 25 Prozent des BIPs verschuldet war, wird demnächst wohl weitere vier Milliarden für die Banken bereitstellen müssen – zu sieben Prozent Zins.
Linke Basisgruppen, Parteien und Gewerkschaften argumentieren tapfer gegen die Position der BefürworterInnen, die auch von den Medien propagiert wird. Ein Nein, so erläuterten AktivistInnen an vielen Veranstaltungen, gefährde nicht die Rente; auch die Sozialhilfe sei dadurch nicht bedroht. Im Gegenteil: Der von der deutschen Regierung diktierte Spar- und Fiskalpakt beschleunigt den Sozialabbau.
Die «Nein»-Seite profitiert möglicherweise auch von einer breiten Protestbewegung gegen die von der Regierung beschlossene Flat Tax für Häuser. Mit ihr werden alle Haus- und WohnungsbesitzerInnen – mithin die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung – gleichermassen zur Kasse gebeten, egal wie gross die Immobilie ist. Die Einnahmen aus dieser Steuer (hundert Euro pro Haushalt in diesem Jahr, danach steil ansteigend) dienen direkt dem Schuldendienst zugunsten der Banken. Da auch noch eine Wasserabgabe droht, folgten Hunderttausende einem Boykottaufruf der linken Opposition: Bis zum Stichtag Ende März hatte nur die Hälfte der Wohnungs- und HauseigentümerInnen die Steuer bezahlt.
Und noch ein Faktor spielte zuletzt eine Rolle – der europaweit zunehmende Widerstand gegen den Fiskalpakt, der beispielsweise in den Wahlergebnissen von Frankreich und Griechenland zum Ausdruck kam. Warum, so fragen sich inzwischen viele IrInnen, sollten wir etwas gutheissen, das weithin umstritten ist?
Eine Ablehnung des Vertrags würde die Linke deutlich stärken. Bei einer Annahme hingegen müssten die konservativen Parteien zeigen, dass ihre Austeritätspolitik die versprochenen Resultate bringt. Doch das ist höchst unwahrscheinlich. Und so kann es sein, dass die Geschäftsleute von Clones nur die Ersten waren, aber nicht die Einzigen sein werden, die den Weg zurück zum Punt einschlagen.