St. Gallen: Die Seifenblasen des Tausendsassas

Nr. 22 –

Die St. Galler Kantonsregierung schnürt ein Sparpaket nach dem anderen, auch die Universität St. Gallen (HSG) ist davon betroffen. Die WOZ traf einen der Studierenden, die den Protest gegen den Abbau organisieren.

Was ist nur los in der neoliberalen Kaderschmiede namens HSG, dem lieb gewonnenen Feindbild der Linken? Da hat der St. Galler Kantonsrat zu grosszügig Steuergeschenke an Reiche und Unternehmen verteilt und setzt deshalb ein Sparpaket in Höhe von 200 Millionen Franken durch. Und die Ersten, die dagegen protestierten, sind die StudentInnen der Universität. Rund 300 nahmen an mehreren medienwirksam inszenierten Flashmobs in der St. Galler Innenstadt teil. Mit Seifenblasen («geplatzte Bildungsträume») und Transparenten protestierten sie gegen die im Rahmen des Pakets geplante massive Erhöhung der Studiengebühren und die Abbaupläne bei Lehre und Forschung.

«Ein Schlag ins Gesicht»

Dann sitzt man im Szenelokal Schwarzer Engel einem der OrganisatorInnen der Proteste gegenüber und bekommt die Eckdaten eines Musterlebenslaufs serviert: Primarschule in St. Gallen, Kantonsschule, HSG. Fehlen nur noch McKinsey oder UBS als Karriereziel. Doch mit Klischees kommt man bei Ozan Günaydin nicht weit, nicht einmal, wenn es um die noble Universität auf dem Rosenberg oberhalb der Stadt geht. Günaydin, 22, geboren im Osten der Türkei, ist ein lebhafter junger Mann, der in kurzer Zeit viel zu sagen weiss. An der Uni studiert er im Hauptfach Betriebswirtschaft. «Die dunkle Seite der Macht», scherzt er.

Auf Günaydin trifft ein aus der Mode gekommenes Wort zu: Tausendsassa. Er arbeitet neben dem Studium als freischaffender Filmer, hat unter dem Künstlernamen Ozanii Bananii ein Modelabel mitgegründet, engagiert sich für das St. Galler Party- und Konzertlokal Kugl, verfasste einen Videoblog für «NZZ Campus». Trotz oder viel wahrscheinlicher gerade wegen all dieser Aktivitäten wurde er von den Studierenden in den Vorstand der Abteilung School of Humanity and Social Sciences gewählt.

Zum Sparpaket sagt Günaydin vier Worte: «Ein Schlag ins Gesicht.» Ihm sei sofort klar gewesen, dass man sich da wehren müsse. «Es gibt weniger Qualität für mehr Geld», rechnet er vor und erzählt von der ehrenamtlichen Arbeit der Studierenden, vom wirtschaftlichen Nutzen der Universität – ein veritabler Werbespot, vorgetragen mit Überzeugung. Sein Bild von der Bildungsstätte ist allerdings differenziert: Es reicht von der teilweisen Bestätigung des Klischees der neoliberalen Ausrichtung der HSG bis zur Beobachtung, dass sich der Widerstand gegen das Sparpaket durch alle Studierendengruppen zieht. «Seit der Finanzkrise ist in der Uni ein Wandel feststellbar», sagt Ozan Günaydin. Mit diesem Eindruck steht er nicht alleine: Am Tag vor dem Treffen im «Schwarzen Engel» schreibt die «Weltwoche» in einem Artikel über die HSG: «Entgegen ihrem Ruf, neoliberal zu sein, hat sich die St. Galler Lehre immer weiter dem allgemein üblichen sozialdemokratischen Konsens angenähert.» Der Autor empfiehlt als Heilmittel eine Privatisierung der Universität.

Die St. Galler Politik ist von solchen Fantasien nicht weit entfernt. Die Studiengebühren sorgen für eine immer stärkere finanzielle Vorselektion. Die Kantonsregierung stützte sich bei der Anpassung der Studiengebühren auf das Forschungsinstituts BAK Basel, das Gebühren bis zu 15 000  Franken pro Jahr vorschlägt und eine «gestaffelte Anhebung» empfiehlt. Diese Zahlen machten an der Uni die Runde: «Nicht wenige Studierende sind froh, dass es nicht so weit gekommen ist», hat Günaydin beobachtet. Vielleicht waren deshalb die Proteste nicht heftiger. Vielleicht blieb es deshalb bei Protestbriefen und Flashmobs. «Der Widerstand war bisher kreativ und friedlich», sagt Günaydin. «Das könnte sich bei einer weiteren Erhöhung schnell ändern.»

Bewusst enger Fahrplan

Konkret wird die Uni St. Gallen nun Studiengebühren verlangen, die bis zu viermal höher sind als an anderen Universitäten. Erst vor wenigen Monaten wurden sie schon einmal erhöht, und heute betragen sie 2452 Franken für StudentInnen aus der Schweiz und 4252 für solche aus dem Ausland. Und laut Sparpaket sollen MasterstudentInnen künftig bis zu 800 Franken mehr zahlen, ausländische Absolventinnen und Absolventen müssen mit Mehrkosten bis zu 3000 Franken rechnen.

Die St. Galler Regierung war sich der Brisanz der Vorschläge bewusst. In ihrer Botschaft zum Sparpaket warnte sie: «Die weitere Erhöhung der Studiengebühren könnte als Anlass dienen, Studierendenproteste an der HSG durchzuführen.» So gesehen, ist sie glimpflich davongekommen. Einer der Gründe dürfte der bewusst eng gesetzte Fahrplan gewesen sein. Am 3. Mai wurden die Sparvorschläge vorgestellt, nächste Woche werden sie vom rechtsbürgerlich dominierten Kantonsrat verabschiedet und gegebenenfalls noch verschärft. Wie den Studierenden ging es allen anderen betroffenen Gruppen. Die Zeit war zu kurz, um wirklich Widerstand aufzubauen. «Es ist ein Schlag ins Gesicht», wiederholt Ozan Günaydin.