Steamboat Switzerland: Mit Volldampf zwischen alle Stühle
Das «Avant-Core»-Trio Steamboat Switzerland lädt zu zwölf Konzerten in den Zürcher Kunstraum Walcheturm. In den Auftritten, die über ein Jahr verteilt sind, bringen sie bis März 2013 ihr gesamtes Repertoire zum Klingen. Und das an einem der spannendsten kulturellen Begegnungsorte der Stadt.
Manchmal kommt einem Schweizer Musik, zumindest im Bereich von Neuer bis frei improvisierter Musik, doch recht klar, übersichtlich und abgezirkelt vor. Bevorzugt wird das Reduzierte, Luzide, Feinsinnige – und das hat seine hohen Qualitäten. Dazu gibt es nicht allzu viele, aber durchaus markante Ausnahmen. Eine nennt sich Steamboat Switzerland und braust seit nun schon fünfzehn Jahren wie ein Dampfschiff quer durch die helvetische Befindlichkeit.
Mitte der neunziger Jahre fanden der Zürcher E-Gitarrist und -Bassist Marino Pliakas, der Winterthurer Pianist und Keyboarder Dominik Blum und der in Uster lebende Perkussionist und Drummer Lucas Niggli zusammen. Sie erarbeiteten sich ihren eigenen Stil, mit dem sie schon ziemlich bald auffielen: Geprägt ist er von komplexen, oft übereinandergeschichteten Rhythmen, von erratischen Klangwänden, massiver Intensität und einer nicht geringen Lautstärke. Ein Sound, den nichts aus der unruhestiftenden Ruhe bringt, ungemein lebendig.
Musik in Modulen denken
Zahllose Konzerte haben die drei im Lauf der Jahre gegeben. Gelegentlich spielten sie mit anderen Ensembles zusammen, manchmal liessen sie sich von befreundeten KomponistInnen neue Programme oder Programmteile komponieren, neugierig auf ungewöhnliche Erfahrungen. Das möchten sie nun ein wenig bündeln, und dafür haben sie eine Residenz im Zürcher Kunstraum Walcheturm erhalten. Einmal monatlich treten sie dort bis März 2013 auf und breiten ihr gesamtes Schaffen in zwölf Teilen aus. Das gewährt mehr Kontinuität, als in den letzten Jahren möglich war, weil alle drei Beteiligten in anderen Projekten unterwegs waren. Blum hat seine Soloprogramme und setzt sich als Interpret für die zeitgenössische Musik eines Urs Peter Schneider ein; Pliakas bildet mit dem Perkussionisten Michael Wertmüller und dem Freejazzpionier Peter Brötzmann das Trio Full Blast; Niggli stösst immer wieder grössere Projekte an (seine Website zählt dreizehn Formationen auf!). So möchten die drei wieder einmal ihr Repertoire auffrischen. Im Juli wird ausnahmsweise der Saxofonist Raphael Camenisch zum Trio stossen.
Wenn Steamboat Switzerland im Juni mit Teil drei in Zürich auftritt, präsentiert die Band auch drei neue Module des in Berlin lebenden Schlagzeugers und Komponisten Michael Wertmüller, mit dem sie schon Jahre zusammenarbeitet. Bereits einmal hat sie diese Module präsentiert – am Lucerne Festival im KKL.
Module? Man könne das sicherlich auch als «Stücke» bezeichnen, meint Pliakas, aber sie gingen als Trio halt etwas anders damit um: Sie spielen nicht einfach ein Stück von A bis Z, sondern bauen es in ihre Improvisationen ein. Auf das Zeichen eines Bandmitglieds springen die drei plötzlich von einer Improvisation in ein Stück hinein, mit dem sie dann aber später oft auch wieder improvisatorisch umgehen. So würden die Spielweisen, die Spielhaltungen einander befruchten: Die Freiheit der Improvisation bleibe in den Kompositionen spürbar, deren strukturelle Power aber wiederum beeinflusse das freie Spiel. Das war von jeher ein Markenzeichen des Trios. Komponisten wie die Gitarristen Stephan Wittwer und Sam Hayden, Wertmüller oder der Winterthurer Felix Profos haben Module zum Repertoire beigetragen. Aber manchmal spuken durchs Programm auch Abschnitte aus den Werken des 2002 verstorbenen Solothurners Hermann Meier, die Blum arrangiert hat.
Schnittstelle Walcheturm
Steamboat Switzerland sitzt also zwischen allen Stühlen. Wie wäre der Stil zu definieren? Das anzugeben, fällt den Musikern selber schwer, sie bewegen sich zwischen Neuer und frei improvisierter Musik, treten an Jazzfestivals auf und erinnern vom Sound her an eine Rock- oder Punkband. Im Gespräch mit einem Journalisten erfand Pliakas dafür einmal den ironischen Begriff «Avant-Core», der sich zu «Avant-Core-Noise» erweitern liesse. Das drückt doch zumindest einmal aus, dass die Musik nicht allzu empfindsam ist, sondern ziemlich wuchtig.
Genauso schwierig wie die Band ist der Konzertort einzustufen, an dem sie nun als Band in Residence auftritt: der Kunstraum Walcheturm. Seit einigen Jahren befindet sich der Kunstraum, der ursprünglich im Turm des kantonalen Verwaltungszentrums Walchetor zu Hause war, auf dem Zeughausareal an der Kanonengasse – was gelegentlich zu Verwirrungen führt. Er bietet nicht nur der bildenden Kunst eine Galerie, sondern hat sich auch als Ort für experimentelle Musik etabliert. Die Zürcher Ortsgruppe der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik führt dort Konzerte und Hörlounges durch, zahlreiche Ensembles sind regelmässig zu Gast. Letztes Wochenende ging das internationale Experimentalfilm- und Videofestival Videoex erfolgreich zu Ende.
Im Kunstraum Walcheturm ist vor allem ein ungewöhnlich spannender Begegnungsort für die Künste entstanden – eine in Zürich wichtige Schnittstelle. Der richtige Ort also auch für Steamboat Switzerland.
Steamboat Switzerland spielt am Montag, 11. Juni 2012, um 20.30 Uhr im Kunstraum Walcheturm. Weitere Konzerte: www.walcheturm.ch
Steamboat Switzerland im Deutschlandfunk: Samstag, 9. Juni 2012, 22.05 Uhr, siehe www.dradio.de/dlf/vorschau