Kommentar: Brüssels vergiftetes Geschenk an Spanien

Nr. 24 –

Griechenland, Irland, Portugal – und nun auch noch Spanien: Europa glaubt, seine Grossbanken und Staaten durch immer höhere Schulden retten zu können. Dabei sollte der Schuldenblase endlich die Luft rausgelassen werden.

Europas Krisenpolitik seit dem Finanzcrash 2008 lässt sich in einem Satz zusammenfassen: die Suche nach einem Schuldner, der stark genug ist, Europas Schulden auf seine Schultern zu hieven.

Erst waren es private Haushalte, die ihre über Jahre angehäuften Hypothekar- und Konsumkredite nicht mehr zu stemmen vermochten. Dies riss riesige Löcher in die Bücher der Banken, worauf die Staaten Milliarden in die Finanzinstitute pumpten, um sie vor dem Kollaps zu retten. Die darauffolgende Wirtschaftskrise liess viele Staaten zusätzlich in die Schulden tauchen – die Zinsen stiegen und mit ihnen wiederum die Schulden. Am 25. März 2010 erhielt Griechenland dann als erstes Land von den anderen EU-Staaten einen Kredit zugesprochen. Im November folgte Irland, im Mai 2011 Portugal, im Oktober wieder Griechenland. Nun ist Spanien an der Reihe: Das Land soll rund hundert Milliarden Euro zur Rekapitalisierung seiner taumelnden Banken aus Europas sogenanntem Eurorettungsschirm erhalten.

Die Schuldenblase ist nie geplatzt. Sie wurde lediglich von den Schultern der Privaten auf die Schultern der Staaten gehievt und von dort auf jene der EU. Um die Banken zu retten. Denn sie sind «too big to fail», zu gross, um fallen gelassen zu werden, ohne die Wirtschaft in den Abgrund zu reissen.

Das Überwälzen der Blase auf die Staaten und die EU war unumgänglich. Die Forderung von François Hollande, dem neuen Präsidenten Frankreichs, dass die EU-Staaten durch die Herausgabe von «Eurobonds» gemeinsam Schulden aufnehmen sollten, ist lediglich die letzte Konsequenz dieser Politik. Entscheidend ist jedoch: Was ist dann zu tun? Der Schuldenblase muss die Luft entzogen werden. Kurzfristig mit einem teilweisen Schuldenerlass für die Staaten – wie ihn Griechenland immerhin im kleinen Umfang mit den Banken ausgehandelt hat. Dies setzt die Entkoppelung angeschlagener Staaten von den Finanzmärkten voraus: Die Europäische Zentralbank (EZB) sollte das Geld direkt – oder über den Rettungsschirm – an die Staaten verleihen, statt es den Banken zu geben, die es den Staaten zu hohen Strafzinsen weiterverleihen.

Langfristig: Nachdem in Europa über Jahre die Steuern für Reiche, Grosskonzerne und Banken gedrückt wurden, sollten Vermögen wieder angemessen besteuert werden, um die Staaten zu sanieren. Ein zentraler Punkt in der Debatte um die Wirtschaftskrise wird gerne unter den Tisch gewischt: Jede Schuld ist gleichzeitig das Vermögen eines anderen.

Unter der Führung der deutschen Kanzlerin Angela Merkel hat Brüssel jedoch von Beginn an eine andere Politik eingeschlagen. Ihr Kern: Erst luden sich die Staaten die Schuldenblase auf ihre Schultern, um ihr Platzen und damit den Kollaps der Banken zu verhindern. Dann wurde die Blase symbolisch umgedeutet: Sie wurde zur regulären Schuld erklärt. Eine Schuld, die nun die StaatsbürgerInnen den Banken vollumfänglich zurückzahlen sollen. Dafür werden öffentliche Unternehmen verkauft, Staatsstellen gestrichen, Renten und Arbeitslosengelder gekürzt.

Brüssels gesamte Krisenmechanik ist auf dieses Ziel ausgerichtet: Zum einen weigern sich die tonangebenden Regierungen, die Staaten von den Launen der Finanzmärkte zu befreien, indem sie darauf bestehen, dass das EZB-Geld über den Umweg der Banken an die Staaten zu fliessen hat – die Drohung steigender Zinsen soll die Staaten disziplinieren. Zum anderen sträuben sie sich, mittels Eurobonds einen Teil der Schulden auf sich zu nehmen. Lieber vergeben sie an die taumelnden Staaten Kredite, die sie an harte Sparauflagen knüpfen. Das Geld wird zudem häppchenweise und stets in letzter Minute freigegeben, sobald die EU-Beamten – die «Herren in Schwarz» – nach Durchleuchtung der Staatsrechnungen dem Land einen genügenden Reformwillen attestieren. Und jetzt im Fall von Spanien, das (wie auch Irland) den Kredit nicht für sich, sondern für seine wankenden Banken benötigt, weigert sich Brüssel, die Finanzhäuser direkt zu rekapitalisieren, um den Druck auf Madrid beizubehalten.

Die gesamte Krisenpolitik zielt also auf den Staat. Und damit auf dessen BürgerInnen, welche für die von den Banken verursachte Schuldenblase mit ihren bisherigen Löhnen, Renten und Arbeitslosengelder aufzukommen haben.

Damit wird eine Ungerechtigkeit aufrechterhalten, die für jeden Wirtschaftsliberalen eine Todsünde sein sollte: die Übernahme von Kreditausfällen durch den Staat. Schliesslich werden Banken für Ausfälle mit entsprechend hohen Risikozinsen entgolten. Und: Die Sparpolitik wird scheitern, denn Monat für Monat stürzt sie den Kontinent tiefer in die Krise.

Der Blase muss endlich die Luft rausgelassen werden.