Der schwache Euro: Risikotransfer mit Sprengkraft

Nr. 3 –

In der Schulden- und Währungskrise kommt ein Risikotransfer vom privaten zum öffentlichen Sektor zum Ausdruck. Die Banken und ihre Gläubiger müssen in Mithaftung genommen werden.


Die Krise bringt es an den Tag. Die Euro-Währungsunion hat den «Stresstest» der Finanzkrise nicht bestanden. Die Staatsschulden in der Eurozone sind von 2006 bis Ende 2010 im Durchschnitt der sechzehn beteiligten Länder um mehr als zehn Prozentpunkte von 68,4 auf 79,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts hochgeschnellt. Die vor ziemlich genau zwanzig Jahren verbindlich eingeführten Maastricht-Kriterien erlauben nur eine Höchstgrenze von 60 Prozent. Das staatliche Budgetdefizit hat sich im Krisenverlauf seit 2006 im Durchschnitt des Euroraums von 1,4 auf 6,3 Prozent fast verfünffacht, der Maastricht-Grenzwert ist 3,0 Prozent. Die im Schuldenstrom versinkenden Staaten reissen die Eurowährung mit in den Strudel. Aus der Finanzkrise der Privaten wurde die Schuldenkrise der Staaten, und diese setzt sich als Währungskrise fort.

Integration auf halbem Weg

Ist die Währungskrise ein Grund, den Euro in den Orkus der Geschichte zu werfen und nostalgisch zur DM, zur Drachme oder zur Lira, zum Franc oder zum Gulden zurückzukehren, wie es neokonservative ÖkonomieprofessorInnen lautstark fordern? Zwei Jahrzehnte seit den Maastricht-Verträgen sind eine lange Zeit. Was 1991 richtig gewesen wäre, nämlich das Experiment Währungsunion bleiben zu lassen – das war damals auch mein Plädoyer – ist 2011 definitiv falsch. Das Ende des Euroraums würde Chaos in ganz Europa und darüber hinaus auslösen, auch in der Schweiz. Michail Gorbatschows Wort bleibt richtig: «Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.» Es gibt den Euro, und er muss gestützt werden.

Das ist fast ein Heimspiel. Denn die gegen einzelne Eurostaaten und den Euro insgesamt spekulierenden Banken und Fonds stammen zum grössten Teil aus dem Euroraum selbst. Griechenland hat vor allem Schulden gegenüber Finanzinstituten aus Frankreich (75 Milliarden Euro), der Schweiz (64 Milliarden) und Deutschland (43 Milliarden). In Spanien halten deutsche, französische, niederländische und britische Banken den Löwenanteil der Forderungen. In Portugal sind Banken aus Spanien grösster Kreditgeber, gefolgt von Banken aus Deutschland und Frankreich. Irland hat Schulden von fast 1000 Milliarden US-Dollar, davon halten deutsche und britische Banken jeweils etwa 200 Milliarden.

Wenn man die Forderungen und Schulden saldiert, steht der Euroraum nicht schlechter da als die USA, wo es auch hoch verschuldete Staaten und Städte gibt, und potente Geldvermögensbesitzer, die mit dem Geld um sich werfen können, ohne dass sich daraus eine Währungskrise wie im Euroland entwickeln würde. Der Grund ist leicht zu erfassen. In den USA gibt es ausser der Zentralbank eine Regierung, die Wirtschafts- und Finanzpolitik – und militärisch abgesicherte Aussenwirtschafts- und Währungspolitik betreiben kann. Eine solche Regierung gibt es in der Europäischen Union nicht.

Das europäische Integrationsprojekt hat es zwar bis zur Währungsunion geschafft. Aber es ist nicht bis zur Koordinierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik fortgeführt worden. Wirtschaftliche Integration in Europa wurde vor allem als Liberalisierung der Märkte und Deregulierung der Politik betrieben. Nun zwingt die Sprengkraft der Eurokrise dazu, das Projekt einer Wirtschaftsregierung im Euroraum in Angriff zu nehmen. Ob aber statt nationaler Staatsanleihen Eurobonds ausgegeben werden können, um die Schulden einzelner Euroländer zinsgünstiger zu refinanzieren und so die Schuldendienstbelastung zu verringern, ist fraglich. Macht die deutsche Regierung da mit? Es sind ja deutsche Banken, die beispielsweise die irischen oder griechischen Staatsanleihen halten und einen Zinsschnitt nur ungern akzeptieren.

Umschuldung für Banken lukrativ

Die Verschuldung ist kein Beleg für eine lockere Haushaltspolitik in den heutigen Krisenstaaten, in den abschätzig sogenannten PIIGS: Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien. Klar, es gibt auch Verschwendung, Korruption, und es werden Fehler gemacht. Das griechische Fakelaki-System der kleinen und grossen Korruption kennen und kritisieren die GriechInnen selbst, da muss man nicht erst mit dem Finger darauf zeigen. Doch die Finanzkrise des griechischen Staates erklärt es nicht.

Auch in Irland hat nicht die neoliberale Politik der Niedrigststeuern (mit einem Unternehmenssteuersatz von nur 12,5 Prozent) das Staatsdefizit bis zur Fastpleite hochgetrieben. Dafür sind vielmehr die Rettungspakete für die privaten Banken und Fonds verantwortlich. Das hat die Europäische Zentralbank (EZB) in einer Studie mit dem deutlichen Titel «Die janus-köpfige Rettungsaktion» gezeigt. Denn nach dem Zusammenbruch der Bank Lehman Brothers im September 2008 haben die notleidenden Banken ihre faulen Papiere auf Staatskosten in «bad banks» entsorgen können. Sie wurden zudem aus öffentlichen Mitteln mit frischem Haftungskapital ausgestattet. Bürgschaften wurden von den Staaten übernommen, und es wurde ihnen ein fast unbegrenzter Zugang zu billigem Zentralbankgeld gewährt.

In der Folge verringerte sich das Kreditausfallrisiko der Finanzinstitute. Spiegelbildlich stieg dieses für den öffentlichen Sektor an. Die erwähnte Studie der EZB spricht von einem «Transfer der Kreditrisiken vom Banksektor zu den Regierungen». Folge: Die berüchtigten Kreditausfallversicherungen (CDS) konnten die Banken seit 2008 billiger erwerben, die Staaten nur noch teurer.

Wenn Umschuldungen anstehen, also die Begründung einer neuen Schuld zur Begleichung einer bestehenden, müssen von den Regierungen entsprechend hohe Risikoaufschläge gezahlt werden. An wen? An die eben von den grosszügigen Staaten mit viel Geld wiederbelebten Banken. Sie können also nicht nur Gebühren absahnen, sondern auch höhere Zinsen wegen des auf den öffentlichen Sektor transferierten Risikos durchsetzen. Dabei stehen ihnen die Ratingagenturen zur Seite, welche die «Qualität» von Staatsanleihen wegen der zunehmenden Verschuldung herabstufen. Je niedriger das Rating, desto teurer die Umschuldung, desto mehr können die privaten Kreditgeber verlangen.

Das ist ein lukratives Spiel für die Finanzinstitute. Denn in den nächsten fünf Jahren stehen nach Angaben des Finanzinformationsdienstes Bloomberg in allen Krisenländern grössere Umschuldungen an: im kleinen Irland in der Grössenordnung von 26,7 Milliarden Euro, in Portugal sind 56,2 Milliarden fällig, in Griechenland 151,6 Milliarden. Italien muss bis 2015 653,3 Milliarden aufbringen und Spanien 268,2 Milliarden. Da winken gute Geschäfte für die Banken. Der Risikotransfer vom privaten zum öffentlichen Sektor hat eine Kehrseite: den Transfer von finanziellen Ressourcen vom öffentlichen zum privaten Sektor.

Es wird ein altes Spiel angepfiffen: die Sozialisierung der Krisenkosten und die Privatisierung der Gewinne. Dass sich daher die Einkommens- und Vermögensverteilung zugunsten der schon Reichen und zulasten der ärmeren Schichten und Länder verschiebt, ist nicht verwunderlich. Die rechtfertigenden Ideologien von der öffentlichen Misswirtschaft und der privaten Effizienz sind bereits präsent. So wie die Stellschrauben der Wirtschaft gedreht sind, kann kein anderes Resultat als das der regressiven Umverteilung herauskommen. Der «Risikotransfer» mithilfe der Rettungspakete für die Banken hat eine gehörige soziale und politische Sprengkraft.

Soziale Krise

Das ökonomische und politische Kräfteparallelogramm im Euroraum wird verschoben. Dass Schulden auch abgetragen werden müssen, ist klar. Doch wie man das anstellt, ist umstritten. Die Verlängerung der Verschuldung mit immer neuen Krediten würde einen permanenten Einkommensstrom (in Form von Zinsen) von den Schuldnern zu den Kreditgebern in Gang setzen. Eine Zinssenkung ist dann keine Option, wenn sich die Zinssätze schon nahe null bewegen. Doch selbst Nullzinsen können zu hoch sein, wenn das Wachstum wie bis Anfang 2010 negativ ist. Es gibt obendrein Grenzen des Wachstums, die auch mit einem «Wachstumsbeschleunigungsgesetz» wie in Deutschland oder Brasilien nicht ignoriert werden können. Die Versorgung mit fossilen Treibstoffen ist nicht sicher, und wenn diese gelingt, trägt uns deren Verbrennung den Treibhauseffekt ein, der sich schon heute in «ungewöhnlichen Wetterereignissen» zeigt.

Die öffentliche Verschuldung kann reduziert werden, indem die öffentlichen Ausgaben im sogenannten Primärbudget gekürzt werden. Ein Austerity-Programm, dem vor allem sozialstaatliche Leistungen geopfert werden, wird abverlangt, wenn Nothilfen aus dem 750 Milliarden Euro-Rettungsschirm (und nach 2013 aus einem europäischen Krisenfonds) in Anspruch genommen werden. Die Finanz- und Staatsschuldenkrise wird zu einer sozialen Krise, und wie die ausgeht, hängt nicht allein von «den Märkten» ab, sondern von sozialen Bewegungen.

Die formieren sich überall, Proteste erschüttern Lissabon und Athen, Paris, Rom und Dublin. Es fehlt freilich eine europäische Koordination, es handelt sich ja nicht um eine irische, griechische oder portugiesische Krise, sondern um die Krise eines Entwicklungsmodells überall in Europa. Die Krisendynamik entwickelt eine Sprengkraft, die den Euroraum in seine nationalstaatlichen Bestandteile auflösen könnte.

Um dies zu verhindern, müssen auch die Gläubiger, das heisst die privaten Finanzinstitute in Mithaftung genommen werden. Eine nichtsymbolische Vermögenssteuer könnte die Geldvermögen reduzieren. Der Widerstand dagegen ist enorm, genauso gross wie der gegen eine schärfere Kontrolle der Finanzinstitute, eine Einschränkung der Macht der privaten Ratingagenturen, das Verbot bestimmter Vehikel der Spekulation mit Währungen oder Staatspapieren. Man kann auch Insolvenzregeln so vereinbaren, dass die Gläubiger sich an den Kosten des Risikotransfers, der ihnen so sehr geholfen hat, beteiligen müssen.

Die Bankenrettung wurde immer damit gerechtfertigt, dass die Finanzinstitute «systemrelevant» seien. Mag sein. Sicher aber ist, dass handlungsfähige, finanziell nicht überlastete, von privaten Gläubigern nicht abhängige, also souveräne Staaten für das System, und das ist heute nicht nur ein Land, sondern der Euroraum insgesamt, unverzichtbar sind.