Indiens Kommunistinnen: Die Linke im Aufwachraum
Seit den Wahlniederlagen ihrer grössten Partei vor einem Jahr stellt sich Indiens Linke viele Fragen. Ist der parlamentarische Ansatz gescheitert? Gibt es neue Wege? Die Antworten sind so vielfältig wie das Land.
Ein Vorort der Küstenstadt Alappuzha, des früheren Alleppey, ein einfaches Haus und ein Berichterstatter, der etwas nervös darauf wartet, dass die Tür aufgeht. Es ist früher Morgen, der Wind weht vom Meer her. Und da steht sie auch schon – die grosse Frau der linken Politik von Kerala. Sie ist mittlerweile 92 Jahre alt, sass von 1952 bis 2006 fast ununterbrochen im Regionalparlament des südindischen Bundesstaats, amtierte in sechs Regierungen als Ministerin und wird noch immer von Hunderttausenden verehrt, vor allem von den vielen armen Familien, die durch sie an ein Stück Land kamen.
«Schön, dich nach so langer Zeit wiederzusehen», sagt K. R. Gowri, die in Kerala von allen Gouri Amma (Mutter) genannt wird. «Komm einfach rein.» Sie führt in einen spartanisch eingerichteten grossen Raum. An den Wänden hängen Fotos, die einzelne Abschnitte aus ihrem Leben als Studentin, Anwältin und Politikerin zeigen. «Nach fast sechs Jahrzehnten in der kommunistischen Bewegung sitze ich manchmal hier und denke nach», sagt Gouri Amma. «In den späten vierziger Jahren gab es überall nur Armut und Unterdrückung, da blieb Leuten wie mir nicht anderes übrig, als für eine bessere Zukunft zu kämpfen», erzählt sie, wie immer in einen weissen Baumwollsari gekleidet. «Und es waren nicht nur Menschen aus einfachen Schichten, die sich damals engagierten. Auch einflussreiche und wohlhabende Keraliten begrüssten den Kommunismus und verteilten Hunderttausende von Hektaren ihres Besitzes an die Landlosen.» Das Land den Ackerbauern – diese Forderung sei damals allgegenwärtig gewesen. «Und deswegen gibt es heute in Kerala kaum landlose Familien.»
Inzwischen aber habe sich vieles verändert. «Heute dominiert der Kampf jeder gegen jeden. Alle denken nur an sich, es gibt keinen Wettlauf der Ideen und Visionen, sondern nur noch Konkurrenz: Wer konsumiert am meisten, wer kann mehr vorzeigen?» Der Strudel der Selbstsüchtigkeit habe alle erfasst, die Armen wie die Reichen, und so stehe die Gesellschaft an einem Abgrund von Apathie, Korruption und Selbstbetrug. «Kerala braucht dringend einen neuen Gesellschaftsvertrag, wenn die sozialen Errungenschaften erhalten werden sollen.»
Aber hat es nicht immer schon Konkurrenz gegeben, auch unter den Lohnabhängigen? Und Druck von oben? Das schon, antwortet Gouri Amma – aber das Klima sei früher anders gewesen: «Schon als Studentin habe ich mich für eine umfassende Beteiligung der Armen und insbesondere der Frauen eingesetzt. Und kaum war ich Abgeordnete, wurde ich auch schon Finanzministerin und damit zuständig für die versprochene Landreform – ich konnte es kaum glauben.» Auch ihre Familie habe tausend Hektaren ererbtes Land verschenkt: «Damals wurde Geschichte gemacht, und ich war dabei!» Die Landreform, die in Kerala energischer vorangetrieben wurde als in anderen Regionen Indiens, die Förderung von Kooperativen, die Alphabetisierungskampagnen, die vielfältigen Frauenemanzipationsprogramme, der egalitäre Ansatz – all dies hat dazu beigetragen, dass Kerala seit Jahrzehnten der fortschrittlichste Bundesstaat Indiens ist.
Aber warum ist es um die Linke, der so vieles zu verdanken ist, so schlecht bestellt? Gouri Amma: «Die alten KP-Führungen sind in Kämpfen gross geworden und blieben der Basis verhaftet, egal, was passierte. Die Jungen hingegen kommen von den Universitäten.» Daran sei ja nichts auszusetzen. «Aber die wollen alles sofort erreichen, ergreifen jede Gelegenheit, die ihr Vorankommen beschleunigt, häufen Ämter an und lassen die Menschen hinter sich zurück. Denen war ich mit meinen Prinzipien bald zu altmodisch.» Und so kam es, dass die Marxistin K. R. Gowri Anfang 1994 aus der damals in Kerala und im Bundesstaat Westbengalen erfolgreichen Kommunistischen Partei Indiens / Marxisten (CPIM) ausgeschlossen wurde. Kurz darauf gründete sie die Allianz zum Schutz der Demokratie (JSS), deren Generalsekretärin sie noch heute ist – und wurde wieder ins Regionalparlament gewählt.
ArbeiterInnenaufstand in Kerala
Die Geschichte des indischen Subkontinents ist eine Geschichte von Aufständen. Immer wieder erhoben sich die verelendeten Massen gegen die Fürsten, die britische Kolonialherrschaft, den Grossgrundbesitz. Nur wenige dieser Revolten sind wissenschaftlich dokumentiert. Unter jenen, mit denen sich HistorikerInnen bisher befassten, spielten die Bauernrebellionen von Telengana (Bundesstaat Andrah Pradesh) in den Jahren 1946 bis 1951, die Landarbeiterkämpfe von Orissa und die Punnapra-Vayalar-Revolte von 1946 gegen das von den Briten kontrollierte Fürstentum von Travancore im heutigen Kerala eine besondere Rolle. Vor allem die von den Gewerkschaften getragene ArbeiterInnenoffensive von Travancore hatte weitreichende Folgen. «In der indischen Geschichte haben die Arbeiter oft lange und erbittert gestreikt, während die Bauern revoltierten», sagt Robin Jeffrey, Wissenschaftler am Institute of South Asian Studies der Universität Singapur. «Nur einmal griffen Industriearbeiter zu den Waffen, befreiten Gebiete und bekämpften das Militär.» Unter Führung der Kommunistischen Partei (CPI), von der sich später die CPIM abspaltete (vgl. «Indiens Linke»), hatte die lokale Arbeiterklasse, die in der Region von Alleppey besonders stark war, mit Bambusspiessen, Speeren und Schwertern die Armee des Fürsten von Travancore herausgefordert und die soziale Revolution sowie die Befreiung vom britischen Joch durchzusetzen versucht.
Die Schlacht ging zwar verloren – die Repression der Fürstenregierung kostete etwa tausend Menschen das Leben. Aber im Süden blieb die kommunistische Bewegung auch nach Indiens Unabhängigkeit 1947 und der Einführung der parlamentarischen Demokratie stark. So wurde etwa die CPI bei den Regionalwahlen 1952 in der Provinz Madras (auf dem Gebiet des heutigen Bundesstaats Tamil Nadu) stärkste Partei. «Den dortigen Kommunisten hat man damals jedoch unfairerweise eine Regierungsbeteiligung verwehrt», sagt der Ökonom und langjährige Regierungsberater Prabhat Patnaik, «wie anfangs auch der CPI in Kerala.» Aber im April 1957 – nach langem Widerstand der Zentralregierung in Neu-Delhi, die keinen kommunistischen Regionalpremier akzeptieren wollte – setzte sich die Linke durch. «Kerala», so Patnaik, «war weltweit das erste Land mit einer frei gewählten kommunistischen Regierung.» Und diese setzte ihre Wahlversprechen zügig um. Schon zwei Jahre später war die Macht der Grossgrundbesitzer gebrochen.
Dank Stalin im Abseits
Nach diesem beeindruckenden Start erwarteten viele Linke ähnlich spektakuläre Wahlerfolge in anderen Bundesstaaten. Doch der Aufschwung blieb – abgesehen von Westbengalen – aus. Das hatte zum Teil mit der Geschichte zu tun. Die kommunistischen Bewegungen von Indien, China und Vietnam waren in den 1920er Jahren entstanden. Doch während sich die chinesischen und vietnamesischen KommunistInnen den nationalen Befreiungsbewegungen anschlossen oder diese anführten, hielten sich die indischen MarxistInnen in dieser damals zentralen Frage zurück. Sie waren zwar ebenfalls für die Unabhängigkeit, misstrauten aber Mahatma Gandhis Politik, dessen Kongresspartei die nationale Freiheit, nicht aber eine sozioökonomische Umwälzung anstrebte. Schlimmer noch: Sie riefen während des Zweiten Weltkriegs – auf Stalins Geheiss – sogar zur Unterstützung der britischen Kolonialmacht auf. Und verprellten damit viele, die ihnen bisher wohlgesinnt waren.
Das erklärt zum Teil, weshalb die KommunistInnen in Indien nie so erfolgreich waren wie in China oder Vietnam. Nur in drei Regionen konnten sie eine Hochburg aufbauen: im kleinen nordöstlichen Bundesstaat Tripura, in Westbengalen und in Kerala. In Tripura regiert die CPIM noch heute. In Westbengalen stellte die CPIM von 1977 bis 2011 ununterbrochen die Regierung, musste aber im vergangenen Jahr eine krachende Wahlniederlage einstecken. Und in Kerala verlor die Partei vor einem Jahr erheblich an Einfluss. In beiden Fällen waren die Ursachen dafür hausgemacht.
Seit Jahrzehnten lösen sich in Kerala zwei Parteienbündnisse – die kommunistisch dominierte Linksdemokratische Front (LDF) und die von der Kongresspartei kontrollierte Vereinigte Demokratische Front (UDP) – mit schöner Regelmässigkeit in der Regierungsverantwortung ab: Die Menschen im indischen Südwesten misstrauen den Mächtigen und wählen sie gerne wieder ab. Und so war 2011 eine Niederlage der LDF erwartet worden, die 2006 mit grossem Vorsprung die Regionalwahl gewonnen hatte. Eine hohe Niederlage sogar, denn CPIM-Kader hatten sich in vielen Korruptionsskandalen verheddert. Dass die Wahlschlappe im Mai 2011 dann doch nicht so verheerend ausfiel (die LDF erzielte 68 von 140 Sitze), lag vor allem am Spitzenkandidaten der Linken, dem 88 Jahre alten Chief Minister V. S. Achudanandan.
Achudanandan, ein bescheidener, prinzipientreuer Politiker, gehört wie K. R. Gowri zur alten Garde. Er war in einer Zeit gross geworden, in der «die Popularität eines politischen Führers davon abhing, wie ernst er es meint», sagt der politische Beobachter Partha Chatterjee. «Selbstaufopferung, Hingabe, Ernsthaftigkeit waren wesentliche Faktoren.» Doch das habe sich geändert. «Die politische Elite heute erscheint selbstzentriert, opportunistisch, gierig.» Das gilt auch für die KommunistInnen.
Beispiel Kerala
Zum Teil ist die CPIM aber auch Opfer ihrer Erfolge geworden. Dass die gut ausgebildete Jugend von Kerala keinen revolutionären Eifer mehr erkennen lässt, sondern eher revolutionsmüde erscheint, hat auch damit zu tun, dass soziale und politische Unterdrückung in Kerala der Vergangenheit angehört. Manche vergleichen Kerala sogar mit Westeuropa. «Kerala ist im Verhältnis zum übrigen Indien, was die entwickelten Industriestaaten Europas im Vergleich zur restlichen Welt sind», schrieb der Kolumnist Anand Giridharadas schon vor Jahren. Auch Kerala leide unter Arbeitslosigkeit und Stagnation – und habe mittlerweile «so beschäftigtenfreundliche Arbeitsgesetze, dass die Investoren wegbleiben». Ein grosszügiges Sozialhilfesystem, so Giridharadas, erlaube zudem vielen den Verzicht auf schweisstreibende Tätigkeiten.
Diese Analyse ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Die Kinder der Kokoslikörzapfer und Garnspinnerinnen, der Fischer und Töpferinnen haben die Bildungschancen genutzt, die ihnen geboten wurden. Sie streben in gut bezahlte Jobs, suchen neue Herausforderungen, und wenn sie sie in Kerala nicht finden, gehen sie ins Ausland – nach Australien, Kanada, Westeuropa oder in die Golfregion. Die Linke ist für sie eine verbrauchte Kraft, die sich nur noch an überkommene Ansprüche klammert, die individuelle Suche nach Gewinn, Glück und Wohlstand ablehnt – und dabei Privilegien geniesst. Wie sehr sich das Klima gewandelt hat, zeigt auch die Zahl der Arbeitskonflikte: Sie nimmt seit Jahren ab. Dennoch hat die LDF Chancen, die nächste Wahl im Jahr 2016 zu gewinnen. Denn die CPIM hat ja nicht alles verloren. Sie verfügt weiterhin über eine Reihe einflussreicher Institutionen, besitzt eine Zeitung und kontrolliert einen Fernsehsender.
Beispiel Westbengalen
In Westbengalen sieht es schlechter aus . Dort war die CPIM, diese einst schier unbezwingbare Kraft, im Mai 2011 regelrecht abgestürzt. Fünf Jahre zuvor hatte sie noch 235 von insgesamt 294 Sitzen gewonnen; jetzt sitzt sie nur noch mit 61 Abgeordneten im Regionalparlament. Dass die Partei so schnell so viel Boden verlor, hat sie aber weniger einem gesellschaftlichen Wandel zuzuschreiben als sich selbst.
Über Jahre hinweg war Westbengalens früherer Chief Minister, Buddhadeb Bhattacharjee, der Liebling der Mainstreammedien gewesen. Die «Marke Buddha» stehe für eine völlig neue linke Politik, jubelten sie – und hatten damit recht. Denn Bhattacharjee verfolgte rücksichtslos einen unternehmerfreundlichen Kurs. Er richtete gewerkschaftsfreie Sonderwirtschaftszonen ein, lockte mit zahlreichen Vergünstigungen GrossinvestorInnen ins Land, vertrieb die bäuerliche Bevölkerung von ihrem Land, bekämpfte die folgenden Rebellionen mit paramilitärischer Polizei – und tolerierte den Aufstieg von Politikern wie Anuj Pandey. Der CPIM-Sekretär in der westbengalischen Region Lalgarh hatte sich in kurzer Zeit zu einem reichen Mann gemacht. Er pflegte engen Kontakt zu den Wirtschaftsbossen, war stets von privaten, mit AK-47-Gewehren bewaffneten Sicherheitsleuten umgeben und duldete keinen Widerspruch – bis im Sommer 2009, während eines Aufstands der Stammesbevölkerung, eine aufgebrachte Menge seine prunkvolle Villa stürmte (siehe WOZ Nr. 26/09). Pandey flüchtete und lebt seither unter Polizeischutz.
Die CPIM verlor ihren Vorzeigestaat weder durch einen Umsturz noch durch eine Revolte der aufstiegsorientierten Mittelschicht, sondern durch eine Rebellion von BäuerInnen, die ihr Land, ihre Lebensgrundlage und ihre Sicherheit verteidigten. Unterstützt hat die Erhebung von Lalgarh übrigens die maoistische Kommunistische Partei Indiens / Marxisten-Leninisten CPI/ML (vgl. «Indiens Linke»), die Ende der sechziger Jahre entstanden war. Damals hatte die CPIM-Führung einen Bauernaufstand in der Region um Naxalbari niederschlagen lassen; daraufhin wandten sich linke CPIM-Mitglieder dem bewaffneten Kampf zu. Heute kontrollieren die NaxalitInnen von Westbengalen im Osten über Bihar, Jharkhand, Chhattisgarh bis Andhra Pradesh im Süden viele ländliche Distrikte (siehe WOZ Nr. 7/10).
Bisher nur Lippenbekenntnisse
«Arroganz und Korruption haben die indische Linke isoliert», sagte A. B. Bardhan, ehemaliger Generalsekretär der einst moskauorientierten CPI, nach den Wahlen 2011, in denen seine Partei allerdings keine Rolle spielte.
Hat sich in der Zwischenzeit etwas geändert? Viele Parteimitglieder verfolgten hoffnungsvoll den 20. CPIM-Parteitag Anfang April 2012 – und wurden enttäuscht. Man werde die leninistische Linie weiter verfolgen, sagte Politbüromitglied Sitaram Yechury am Kongress in Kozhikode (Kerala). «Ein Fortschritt war nicht zu erkennen», konstatierte die linke Journalistin Monobina Gupta, die seit langem die Politik der kommunistischen Parteien verfolgt: «Es wird zwar von neuen Direktiven gesprochen, aber Rhetorik und Denken haben sich kaum geändert.» Immerhin setzt sich die CPIM-Führung allmählich vom chinesischen Modell ab, das ihr lange Zeit Vorbild war. Am Parteitag wurde der wachsende Nationalismus der chinesischen Jugend ebenso kritisiert wie die Entscheidung der KP Chinas vor zehn Jahren, KapitalistInnen in die Partei aufzunehmen. Das geht wohl selbst der CPIM zu weit.
Hat die Linke noch eine Zukunft? «Besonders traurig ist ja, dass immer mehr Leute von der politischen Elite die Lösung aller Probleme erwarten», sagt K. R. Gowri. «Aber das ist unmöglich.» Dabei könnten sich die gut informierten Jugendlichen mit all den neuen Kommunikationsmitteln leicht organisieren: «Wenn sie sich vernetzen, die Verhältnisse analysieren und Aktionen planen, liesse sich nicht nur auf lokaler Ebene vieles verändern», hofft die Grande Dame von Kerala. Doch noch dominiere die Haltung, «dass andere handeln sollten. Die Selbstzufriedenheit ist unsere grösste Gefahr.»
Die tägliche Repression
Nicht alle sind so pessimistisch, nicht alle warten darauf, dass andere aktiv werden. Seit Beginn der neoliberalen Politik Anfang der neunziger Jahre gibt es in ganz Indien zahlreiche Kämpfe – die bisher allerdings nur selten von der CPIM unterstützt und schon gar nicht von ihr geführt wurden. Die Dalits («Unberührbare») und die Adivasi (Nachfahren der indischen Urbevölkerung), die Landlosen und die bedrängten BäuerInnen, die Hirten und die Textilarbeiterinnen – viele von ihnen setzen sich zur Wehr. Und dann sind da ja auch jene, die früher als Bastionen des indischen Marxismus galten: die LehrerInnen, die Kooperativen, die FacharbeiterInnen und die Studierenden. Doch auch sie wandten sich von der visionslosen Partei ab. Die parlamentarische Linke sei doch längst Teil des Establishments, kritisieren viele; von ihr erwarte man nichts mehr.
Das war einmal anders. Früher ist es den linken Parteien nicht schwergefallen, Kader aus den vielen sozialen Bewegungen zu rekrutieren und moralische oder gar finanzielle Unterstützung von kulturellen Organisationen, urbanen Thinktanks und nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) zu erhalten. Diese Kontakte gingen verloren, weil die Führungen der linken Parteien sie nicht pflegten. Allerdings dürfte es nicht leichtfallen, die alten Bündnisse wiederzubeleben: Die Gesellschaft hat sich verändert, die ländlichen Bewegungen und die progressiv-städtischen Einrichtungen wie universitäre Fachbereiche und Kulturinstitute bringen kaum noch Führungspersonen hervor.
Und dann ist da noch die inzwischen alltägliche Repression. Die wirtschaftsliberalen Kräfte, die rechten Parteien und die fundamentalreligiösen Gruppen feiern den Niedergang der Linken – und nutzen die Gunst der Stunde. Plötzlich sind alle, die mit den Armen arbeiten oder sie als MenschenrechtsaktivistInnen unterstützen, verdächtig. «Wer sich etwa auf die Seite der 3000 Dorfbewohner stellt, die sich im Süden von Tamil Nadu dem Atomkraftprojekt Kudankulam widersetzen, gilt als Naxalit oder Verräter», erzählt ein Aktivist in Tamil Nadu, der namentlich nicht genannt werden will. «Es kann da leicht passieren, dass man verhaftet und eingekerkert wird – so wie es monatlich Hunderten geht, die von der Polizei als angebliche Naxalitensympathisanten festgenommen werden.»
Indiens Linke steckt in der Defensive. Ist sie gar am Ende? Nein, heisst es in einem Statement, das vor einem Jahr von über 200 AktivistInnen unterschrieben wurde. «Die indische Linke besteht nicht nur aus den linken Parteien und kann nicht auf die parlamentarischen Kräfte und Parteiapparate reduziert werden.» Das Spektrum sei viel breiter. Dazu gehörten auch die parteiunabhängigen Gewerkschaften, die linksorientierten Intellektuellen, die ökologischen und sozialen Bewegungen. Und weiter steht in dem von South Asia Citizens Web publizierten Text: «Die Medien und der Mittelstand machen sich etwas vor, wenn sie glauben, dass der Widerstand mit der Niederlage der linken Parteien nachlässt.» Dazu sei die Verzweiflung im Land zu gross. Im Grunde genommen habe der Verlust administrativer Macht sogar einen Vorteil: «Nun gibt es Raum für die Entfaltung einer neuen, stärkeren linken Bewegung, die die Sehnsüchte der Massen kreativer und mit grösserer Integrität reflektiert.» Das klingt zwar wie Pfeifen im Walde. Andererseits gibt es jedoch weiter breiten Widerstand gegen Grossprojekte wie AKWs, Kohlekraftwerke oder Staudämme. Auch die Opposition gegen das geplante Freihandelsabkommen mit der EU wird stärker. Die Wirtschaftsliberalen und Rechten haben noch nicht gewonnen. Und links könnte bald Neues entstehen.
Aus dem Englischen von Pit Wuhrer.
Indiens Linke
Die Kommunistische Partei (CPI), in den 1920er Jahren von indischen Exilanten mit Unterstützung der Sowjetunion in Taschkent gegründet, gilt als die älteste linke Partei des Landes. Die lange Zeit moskauhörige Organisation – aus der viele Abspaltungen hervorgingen – hat mittlerweile nur noch beschränkten Einfluss.
Der Indisch-Chinesische Krieg 1962 und der folgende chinesisch-sowjetische Konflikt spalteten die CPI. Der pro-chinesische Flügel konstituierte sich 1964 als Kommunistische Partei / Marxisten (CPIM), die auch deshalb grossen Zulauf erfuhr, weil die CPI 1975 dem drakonischen Notstandsgesetz von Indira Gandhi zustimmte. In ihren Hochburgen Westbengalen und Kerala verfolgte die CPIM jedoch eine Politik, die im Kern sozialdemokratisch war.
Nach einem Bauernaufstand 1967 im westbengalischen Naxalbari gründeten linke CPIM-Mitglieder die maoistische Kommunistische Partei Indiens / Marxisten-Leninisten (CPI/ML), die bis heute als Guerilla für die Revolution kämpft. Die bewaffnete Strategie der NaxalitInnen wird vor allem von der Landbevölkerung in den ärmsten Bezirken unterstützt.
Neben den grossen KP-Parteien existieren noch viele kleinere regionale und nationale Organisationen wie der Marxistische Vorwärtsblock, die Revolutionäre Sozialistische Partei oder die Kommunistische Marxistische Partei. Ihr Einfluss ist jedoch marginal.