Überwachung: Kontrollmassnahmen über die Spiele hinaus
Polizistinnen, Soldaten, private Kontrolldienste und ein Schlachtschiff auf der Themse: Die Spiele sind auch ein Fest der Sicherheitskräfte.
Nur kein Übereifer, und bei der Personendurchsuchung immer schön lächeln – das ist der Rat, den die Sicherheitsfirma G4S ihrem Personal für die Olympischen Spiele gibt. Schliesslich seien die Sportfans zu ihrem Vergnügen hier, sagt der G4S-Olympiachef, sie sollen sich nicht wie bei einer Flughafenkontrolle fühlen. Ob ein Lächeln genügt, um diesen Eindruck zu vermeiden, ist allerdings fraglich – zumal die Sicherheitsvorkehrungen nicht gerade diskret sind.
Während der Spiele werden in London rund 9500 PolizistInnen im Einsatz sein – das ist die grösste britische Polizeioperation in Friedenszeiten. Verstärkung erhalten sie vom Militär: Je nach Quelle sollen bis zu 13 500 SoldatInnen in London stationiert werden (mehr als zurzeit in Afghanistan). Auch das private Sicherheitsgewerbe ist mit dabei: Nachdem sich im Dezember herausgestellt hatte, dass das Olympische Komitee massiv unterschätzt hatte, wie viel Personal es braucht, mussten 13 000 zusätzliche Sicherheitsleute angeworben werden. Hauptprofiteur ist der globale Sicherheitsgigant G4S, der den Grossteil dieses Personals zur Verfügung stellen und ausbilden wird – der Wert seines Vertrags hat sich dadurch von ursprünglich 86 Millionen auf 284 Millionen Pfund (rund 420 Millionen Franken) erhöht.
Zu den Fusstruppen kommt der Aufmarsch der See- und Luftstreitkräfte: Verankert in der Themse liegt die «HMS Ocean», ein grosses Kriegsschiff der britischen Marine, auf dem Militärhelikopter landen können. Auf dem Fluss patrouillieren Militärschnellboote, und für die Sicherheit im Himmel werden Typhoon-Kampfjets der Royal Air Force sowie unbemannte Drohnen sorgen; über dem Olympischen Park herrscht Flugverbot.
Boden-Luft-Raketen auf Hausdächern
Doch damit nicht genug: Das Verteidigungsministerium hat vor, auf Dächern von Londoner Wohnhäusern Boden-Luft-Raketen zu stationieren, um mögliche Luftangriffe abzuwehren. Es ist vor allem diese Massnahme, die den BewohnerInnen der Stadtteile Newham und Tower Hamlets Sorgen bereitet. «Das hat das Militär wohl nicht ganz durchdacht», sagt eine junge Lehrerin, die sich zusammen mit rund hundert anderen AnwohnerInnen an einem Protest gegen die Raketenabwehr beteiligte. «Wir sind ja mitten in einem Wohngebiet – da kann man doch nichts vom Himmel schiessen! Sind wir etwa Kollateralschaden?» Sicherer fühle sie sich durch die Militärpräsenz jedenfalls nicht.
Auch die Bürgerrechtsorganisation Liberty warnt, dass die massive Präsenz von Sicherheitspersonal zum verstärkten Missbrauch von Polizeigewalt führen könnte – etwa zum wahllosen «Filzen», von dem ethnische Minderheiten erfahrungsgemäss überdurchschnittlich stark betroffen sind. Liberty befürchtet auch, dass die Militarisierung der Spiele die freie Meinungsäusserung einschränkt. Denn die Behörden haben ihre Kompetenzen eigens für die Spiele erweitern lassen: So gibt das Olympiagesetz von 2006 der Polizei die Befugnis, friedliche Proteste zu unterbinden. Die Polizei von Newham hat vorsorglich spezielle «dispersal zones» (Vertreibungszonen) eingerichtet, in denen es ihr erlaubt ist, Leute wegzuweisen, die sich «antisozial» verhalten – wobei die Definition dieses Begriffs weit gefasst ist.
Tausende Videokameras
Nach Informationen des Fernsehsenders Sky News wird die Polizei zudem die Möglichkeit haben, in einem Kontrollraum jede Videokamera der Behörden einzusehen und die Informationen auf einer 3-D-Karte zusammenzustellen. Angesichts der immensen Zahl von Überwachungskameras in der Hauptstadt – allein die Stadtverwaltungen unterhalten über 8000 – bedeutet das gemäss Liberty, dass die Polizei in Echtzeit Individuen überwachen kann, ohne dass sie sich an die üblichen Regeln halten muss.
KritikerInnen gehen davon aus, dass viele dieser Ausnahmemassnahmen nach den Spielen beibehalten werden. Die Metropolitan Police hat bereits angekündigt, die Vertreibungszone in Newham möglicherweise drei Monate länger bestehen zu lassen. Gemäss Stephen Graham, Professor für Städtebau und Gesellschaft, nutzen die Behörden das freizügig bereitgestellte Geld und die Kontrollmassnahmen während der Spiele, um Überwachungssysteme für später einzuführen. Der Sicherheitsboom rund um die Olympischen Spiele fusse auf dem Konzept der asymmetrischen Kriegsführung: Demnach sehe sich der Staat vor «der Herausforderung, mehr oder weniger permanent gegen vage nichtstaatliche oder zivile Bedrohungen zu mobilisieren, die innerhalb der eigenen Städte lauern». Das führe zu einem Misstrauen vor allem gegenüber der multikulturellen Bevölkerung der Grossstädte und den MigrantInnen. Es könne also gut sein, argumentiert Graham, dass künftig «die von Flughäfen und Grenzübergängen her bekannte Sicherheitsarchitektur mitten in unseren Städten auftaucht».