Nahrungsmittelspekulation: Der heisse Preis des Maises
Die Welt steht vor einer erneuten Nahrungsmittelkrise. Schuld daran ist nicht allein die Dürre in den USA, sondern vor allem, dass aus den Erfahrungen der letzten Jahre kaum Lehren gezogen wurden.
«Ein Feld voller Renditechancen.» So dreist hat die Österreichische Volksbanken-AG (ÖVAG) am Montag ihr neu lanciertes Rohstoffzertifikat «Agrar Rohstoff Garant 2» angepriesen. KleinanlegerInnen hätten damit auf steigende Preise bei Mais, Zucker, Sojabohnen und Weizen wetten können. Die ÖVAG zeigte sich im entsprechenden Prospekt zuversichtlich, dass «die schlimmste Dürre in den USA seit mehr als fünfzig Jahren» die Preise «positiv» beeinflussen würde.
Offensichtlich ist da den Marketingverantwortlichen der Bank die Sicherung durchgebrannt. Sie haben nicht gemerkt, dass man als Bank heutzutage diskreter für die Spekulation mit Nahrungsmitteln werben muss. Nach zwei Nahrungsmittelkrisen innerhalb weniger Jahre ist die Öffentlichkeit kritischer geworden. Immer mehr Studien belegen, dass das starke Engagement der Finanzindustrie an den Rohwarenmärkten zu höheren Preisen führt und somit zum Hunger in der Welt beiträgt.
Die ÖVAG wurde noch am gleichen Tag mit Vorwürfen überhäuft. Und schon tags darauf kam der Rückzieher aus der Teppichetage: Man verstehe die Argumente der Kritiker und werde das Produktangebot «in Zukunft weitaus sensibler gestalten», liess ÖVAG-Chef Martin Fuchsbauer verlauten. Das Finanzinstitut stelle den Verkauf des Zertifikats umgehend ein. Ausserdem werde man sich künftig generell aus dem Spekulationsgeschäft mit Agrorohstoffen heraushalten.
Die Episode zeigt: Der jahrelange Protest von nichtstaatlichen Organisationen gegen die Spekulation mit Nahrungsmitteln wirkt. Letzte Woche hatte bereits die Deutsche Commerzbank, Deutschlands zweitgrösstes Geldinstitut, angekündigt, sich aus dem Nahrungsmittelbereich zurückzuziehen. Dies wohl als Folge einer Kampagne der deutschen Organisation Foodwatch, die seit letztem Herbst die Banken als «die Hungermacher» brandmarkt. Und auch in der Schweiz tut sich etwas: Die JungsozialistInnen werden Ende August mit der Unterschriftensammlung für eine Volksinitiative zum Stopp der Spekulation auf Nahrungsmittel starten.
Doch ungeachtet der kritischen Öffentlichkeit packen viele SpekulantInnen – darunter auch Schweizer Finanzinstitute – die Chance und setzen auf die Verknappung von Lebensmitteln infolge der Dürre in den USA. An der Rohwarenbörse in Chicago, wo der Weltmarktpreis bestimmt wird, werden derzeit Rekordumsätze erzielt. Im Juli hat sich das Volumen des Maishandels im Vergleich zum Vormonat verdoppelt. Und der Preis schnellte in nur eineinhalb Monaten um fünfzig Prozent in die Höhe. Nachdem die Umsätze zwischenzeitlich zurückgegangen waren, kehrt laut Aussagen von BranchenkennerInnen die Finanzindustrie ins Geschäft mit den Lebensmitteln zurück. Hedgefonds, Banken und Pensionskassen suchen ständig nach Anlagemöglichkeiten – und sie nehmen das, was hohe Renditen verspricht.
Schwache Regulierung
«Die Spekulation verschärft die Situation stark», sagt Ralf Südhoff, Sprecher des Welternährungsprogramms der Uno. Die Nahrungsmittelkrisen von 2007 und 2010 seien der Beleg dafür. Doch trotzdem sei bislang wenig zur Eindämmung der Spekulation geschehen. In den USA hat ein neues Gesetz immerhin die Transparenz darüber verstärkt, welche AkteurInnen wie hoch spekulieren. In der EU dagegen ist bislang noch nicht einmal das erreicht worden. Doch mehr Transparenz kann für Südhoff nur der erste Schritt sein: «Das Volumen beim Handel muss gedeckelt werden.»
Zwischenzeitlich sah es tatsächlich so aus, als ob die Spekulation mit Nahrungsmitteln stärker reglementiert würde. Der frühere französische Präsident, Nicolas Sarkozy, setzte das Thema Anfang 2011 zuoberst auf die Agenda der G20-Staaten. Doch schliesslich blieb es beim G20-Gipfel 2011 in Cannes bei einer unverbindlichen Absichtserklärung. Immerhin soll im Frühherbst ein sogenanntes Rapid Response Forum der G20 über die sich anbahnende Krise beraten.
Doch die Zeit drängt. Ralf Südhoff ist überzeugt: «Die steigenden Preise an den Rohwarenmärkten werden dramatische Auswirkungen haben.» Die Preise, die jetzt in Chicago bezahlt werden, würden zwar nicht sofort in den Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas spürbar, das könne einige Monate dauern. «In dieser Zeit muss aber gehandelt werden», fordert Südhoff von der internationalen Staatengemeinschaft. So seien die Lagerkapazitäten für Lebensmittel auszubauen und der Informationsfluss über vorhandene Kapazitäten zu verbessern. «Wenn die Menschen bereits hungern, dann ist es zu spät.» Hilfe an stark geschwächte Personen sei viel teurer.
Laut der Hilfsorganisation Oxfam sind die internationalen Nahrungsmittelspenden allerdings rückläufig. Und der Lagerbestand – etwa an Mais – sei auf dem tiefsten Stand seit sechs Jahren. Oxfam rechnet mit grossen Problemen in Ländern wie Mexiko und Guatemala, die sich in den letzten Jahren sehr stark auf Lebensmittelimporte aus den USA ausgerichtet haben. Auch geht Oxfam von steigenden Brotpreisen in Nordafrika aus. Stark betroffen würden auch Länder in Westafrika, der Sudan, Somalia sowie der Jemen und Afghanistan.
Klumpenrisiko USA
Die Spekulation ist nicht alleine für die Krise verantwortlich. Die Landwirtschaft der USA stellt ein Klumpenrisiko für die Welternährungssituation dar. Allein vierzig Prozent des weltweit geernteten Maises stammt aus diesem Land. Wenn das Wetter mitspielt, so wird vorab wegen der riesigen Anbauflächen im Mittleren Westen der Weltmarkt mit Mais, Weizen und Sojabohnen überschwemmt. Dadurch gehen in Ländern ohne ausreichenden Importschutz viele kleine Bauernbetriebe zu Grunde. Sie können mit den zwischenzeitlich tiefen US-Preisen nicht mithalten. Doch das Wetter spielt nicht jedes Jahr mit. Und mit dem durch die Treibhausgase verursachten Klimawandel ist zu befürchten, dass im Mittleren Westen vermehrt Dürreperioden auftreten.
Uno-Mann Südhoff sagt, dass die Welt in zwanzig Jahren rund fünfzig Prozent mehr Nahrungsmittel brauchen wird. Das gehe nur, wenn die Staaten radikal umdenken. Dabei wären weniger Fleischkonsum (Mais und Sojabohnen werden mehrheitlich an Zuchtvieh verfüttert) und der Verzicht auf die Ethanolproduktion (vgl. «Treibstoff statt Essen» im Anschluss an diesen Text) sicher wichtig. Doch für Südhoff ist etwas anderes zentral: Die Landwirtschaft in den Ländern des Südens müsse verbessert werden. «Man muss erkennen, dass Landwirtschaft ein Zukunftsmarkt ist», sagt er. Es gehe darum, die KleinbäuerInnen zu fördern. Derzeit könnten diese nicht von den steigenden Weltmarktpreisen profitieren, indem sie etwa mehr Mais oder Weizen anbauen. «Es fehlt den meisten schlicht am Zugang zu den nötigen Krediten, um etwa ein Bewässerungssystem zu bauen oder eine Maschine zu kaufen.» Hier würden die Banken wirklich gebraucht.
Treibstoff statt Essen
Künftig könnte Mais noch oft knapp werden, auch, weil grosse Mengen davon zu Treibstoff für Autos verarbeitet werden. Schätzungen gehen davon aus, dass in den USA dieses Jahr rund die Hälfte des Maises zur Ethanolproduktion verwendet wird. Die mit viel Subventionen aufgebaute Ethanolindustrie sorgt dafür, dass sie auch in Zukunft ohne Beschränkungen mit dem gelben Rohstoff beliefert wird. Trotz Protesten der Fleischindustrie, die ebenfalls stark vom Mais als Futtermittel abhängig ist.