Kunst und Politik: Keine alten Rahmen für aktivistische Kunst!

Nr. 34 –

Die 7. Berlin Biennale versuchte die Grenzen zwischen Kunst und Leben zu sprengen, der Steirische Herbst in Graz will das Feld aktivistischer Kunstpraktiken ausmessen: Wie liessen sich die Definitionen von hier Kunst und da Politik verschieben? Der Berner Künstler Tim Zulauf hat dazu Stimmen gesammelt.

Wenn Kunst etwas will: An der Berlin Biennale trennte Nada Prlja mit der «Peace Wall» die Friedrichstrasse von ihrem einkommensschwachen Ende ab. Foto: © Nada Prlja

Der Nahe Osten, Russland und Europa befinden sich in Aufruhr. Teile der Kunstwelt empfinden nun die Dringlichkeit, sich einzumischen und gesellschaftliche Veränderungen mit künstlerischer Arbeit voranzutreiben.

Das prägt auch den Ausstellungsbetrieb: Die jüngst zu Ende gegangene 7. Berlin Biennale bezeichnete sich bereits im Untertitel als «Biennale für zeitgenössische Politik». Und ab dem 21. September widmet sich der Steirische Herbst im österreichischen Graz dem politischen Kunstverständnis: Dort werden unter dem Motto «Truth is concrete» 150 namhafte Kulturschaffende, AktivistInnen und TheoretikerInnen zu einem Gesprächsmarathon einberufen – eine Woche lang, 24 Stunden pro Tag. Samt Publikum sollen sie zusammentragen, welche künstlerischen Strategien und Taktiken heute ins politische Geschehen hinein wirken.

Kunst als Medienereignis

Dieser Kraftakt entspreche einer Notwendigkeit, erklärt mir Florian Malzacher, der «Herbst»-Kurator, im Skype-Gespräch. Auf Reisen zu den AktivistInnen von Occupy Wallstreet oder nach Tunis und Kairo habe er festgestellt, wie sehr KünstlerInnen an der Frage nagen, ob sie als Zivilpersonen oder nicht doch wirksamer mit ihren künstlerischen Fähigkeiten protestieren müssten. Für Malzacher kündigt das einen Paradigmenwechsel an, weg von den selbstreflexiven Verfahren der politischen Kunst in den letzten zwanzig Jahren: «Wir wollen das Konkrete und das künstlerisch Komplexe wieder zusammendenken. Es war ja nur eine historische Phase, die alles für unterkomplex hält, was sich vor Einmischung und einem – natürlich kritischen – Wahrheitsbegriff nicht fürchtet.»

Die Berlin Biennale verfolgte mit dem Titel «Forget Fear» eine ähnliche Zielrichtung. Ins Leitungsteam hatte der Künstler-Kurator Artur Zmijewski neben der Kuratorin Joanna Warsza die russische AktivistInnengruppe Voina beigezogen. Die Website der Biennale meldet nun rückblickend den Rekord von über tausend Pressereaktionen. Die meisten davon waren Skandalberichte, wie zu Martin Zets Projekt «Deutschland schafft es ab». Der tschechische Künstler plante Thilo Sarrazins polemischen Bestseller «Deutschland schafft sich ab» einzusammeln und in einer Installation von mehreren Tausend Exemplaren zu recyceln. Noch vor Beginn geriet das Unterfangen ins Stolpern. Im verwendeten Begriff der «Sammelstellen» klangen die Orte von Judendeportationen an, Bücherverbrennungen wurden assoziiert. Da wollte Zet Sarrazins These zur Lernunfähigkeit von Muslimen anprangern – und dann wurden ihm selbst Nazimethoden vorgeworfen.

Naivität oder Absicht? In Berlin traf ich Cicek Bacik, Politikwissenschaftlerin und bis vor kurzem Sprecherin des Türkischen Bunds Berlin Brandenburg (TBB). Sie begleitete von Biennaleseite her Zets Vorhaben und besprach es auch mit dem Vorstand des TBB. «Das Projekt fand aber keine Unterstützung. Das Hauptargument war, dass Zet gegen ein populistisches Buch selbst mit populistischen Mitteln vorgehe. Der Vorstand hätte das Projekt nur mitgetragen, wenn es populistische Funktionsweisen – zum Beispiel die zunehmende Verbreitung des rechtspopulistischen, rassistischen Gedankenguts durch die Medien – selber thematisiert hätte.» Zet konnte schliesslich nur fünf Sarrazin-Bücher zeigen sowie einen Videofilm, der den Projektverlauf dokumentierte.

Auch andere Gesten waren mehr an Echos im Blätterwald als an betroffenen Communities interessiert. Kurator Zmijewski etwa stellte seine eigene, aus der Ausstellung «Tür an Tür» im November 2011 entfernte Arbeit «Berek» gleich selbst wieder aus. Im Videofilm ist zu sehen, wie eine Gruppe Nackter in einer Gaskammer Fangen spielt. Für Dauerpresse sorgte auch die «Peace Wall», mit der die Künstlerin Nada Prlja die Einkaufsmeile Friedrichstrasse von ihrem einkommensschwachen Ende abtrennte. Das Projekt brachte die ansässige migrantische Bevölkerung gegen sich auf – und blieb uninteressiert für die Wohnraumproteste am nahen Kottbusser Tor.

Welche Grenzüberschreitungen werden also tatsächlich zu «Kunst, die einen Raum öffnet, in dem Politik stattfinden kann» – wie Zmijewski selbst postulierte? Absehbar und beengend war eher, wie «furchtlos» die Ausstellung in vielen Beiträgen den Finger auf die Wunde der Judenvernichtung und die Konflikte rund um Israel legte. Zugang zu den vertrackten Binnenperspektiven der israelisch-palästinensischen Realität fand sich keiner.

Eingeladene Besetzung?

Welchen Raum eröffneten daneben die in den Kunstwerken campierenden Occupy-Bewegungen aus Barcelona, Madrid, Frankfurt und Amsterdam? Dort konnte an Versammlungen teilgenommen werden, und es war auch vorstellbar, dass sich die vielerorts abgeführten und vertriebenen AktivistInnen neu vernetzen würden. Doch auf die kuratorische Lesart des ins Museum eingemeindeten Protests angesprochen, erwiderte mir Rein Wolfs, künstlerischer Leiter der Kunsthalle Fridericianum Kassel: «Ein Kurator kann Gegenstände in einer kulturhistorischen Ausstellung zueinander in Beziehung setzen, aber er kann keine Gegenstände aus der Realität zu Kunstwerken erklären. Dies im Unterschied zum Künstler, der über das sozusagen magische Vermögen verfügt, Realität zu Kunst zu erklären.» Bei der unklaren Rollenverteilung im künstlerisch-kuratorischen Ausstellungsteam der Biennale, so Wolfs, habe sich die Occupy-Installation in ein Readymade-Werk des Künstlers Zmijewski verwandelt. Die Ausstellung insgesamt könne gar als dessen Gesamtkunstwerk verstanden werden – was den Aktivismus instrumentalisiere.

Auch die Gegenbewegung, mit der sich Aktivismus an Kunst anschmiegt, sieht Wolfs kritisch: «Zur Documenta 13 in Kassel hat sich Occupy mit einer grossen, abstrakten Zeltinstallation dafür bedankt, dass sie bleiben durften. Da kommt eine Ungenauigkeit ins Spiel, bei der die aktivistische Ader verloren geht.»

Die Schwierigkeit, Aktivismus in Kunst umzutopfen, bezeugte die Berlin Biennale mit der Einladung der Pixadores. Diese Graffitiszene rebelliert in São Paolo gegen den Ausschluss ganzer Bevölkerungsschichten aus der Innenstadt. Mit verschlüsselten Tags überziehen nach Selbstangaben 50 000 AktivistInnen auch noch die repräsentativsten, nur unter Lebensgefahr zugänglichen Flächen. In Pawel Althamers «Draftsmen’s congress» (Kongress der Zeichner) in der St.-Elisabeth-Kirche weigerten sich die SprayerInnen aber, ihren Kampf auf extra hergerichtete Resopalplatten zu übertragen. Es kam zum Handgemenge, die Pixadores besprühten die denkmalgeschützten Mauern, die Biennaleleitung rief die Polizei auf den Plan. Die Eingeladenen wären beinahe abgeführt worden, die Kirche blieb fortan geschlossen.

Carmen Moersch, die an der Zürcher Hochschule der Künste ein Forschungsinstitut zur Kunstvermittlung leitet und das Vermittlungskonzept zur Documenta 12 mitentwickelte, war dabei: «Das war eine gewalttätige Situation. Die behauptete Auflösung von Kunst in Aktivismus würde vor allem darin bestehen, mit viel Zeit und Energie Privilegien abzubauen und Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Dann ginge es nicht darum, Leute in einen bereitgestellten Rahmen einzuladen, sondern gemeinsam den Rahmen zu bauen.» Sonke Gau, ehemaliger Kokurator an der Shedhalle Zürich und Leiter eines Forschungsprojekts zur Geschichte kritischer Kunst, führt aus, wie sehr Ausstellungsformate heute von den immergleichen Ökonomien dominiert seien: «Entwickelt werden müssten andere Zeit- und Teamstrukturen. Der Apparat will aber eine Sichtbarkeit, die nur durch Verdichtung erzielt werden kann. Erst bei langfristiger Entzerrung könnte sich ein Publikum auch kontinuierlich einbringen.»

Rahmenbau im Widerstreit


Nur durch eigenwillige Rahmungen also kann situationsgerecht Stellung bezogen werden. Im autoritären Russland tut das eine Band wie Pussy Riot (Bandmitglied Nadeschda Tolokonnikova war bis 2009 bei der AktivistInnengruppe Voina aktiv), im Schweizer Kontext die für Sans-Papiers engagierte Bleiberechtbewegung. Solange das Etikett «Kunst» nicht vor Verfolgung schützt, trifft für künstlerischen Aktivismus das von der Gruppe Voina benannte Paradox zu: «Ausstellungen schaden der zeitgenössischen Kunst.»

Die Einsprüche gegen Politkunstposen sprechen jedenfalls stark dafür, am Diskussionsmarathon des Steirischen Herbsts teilzunehmen – um auch dessen Eventcharakter mitzudiskutieren. Schliesslich hätte sich Carmen Moersch auch vom hier vorliegenden Text statt aufgereihter Gesprächspartikel einen Austausch gewünscht, der im offenen Widerstreit seinen Rahmen gefunden hätte.

Tim Zulauf

Der freie Autor, Künstler und Dozent Tim Zulauf (38) lebt in Bern. Seit 2002 arbeitet er in Zürich mit der Gruppe KMUProduktionen an Bühnenformaten und installativen Projekten, zuletzt an der Biennale Venedig 2011, im September mit dem Projekt «Kultur/Kapital/Spionage» an der Biennale Bern.

Biennale Bern : Im Geldlaboratorium

An der diesjährigen Biennale in Bern dreht sich alles um das Geld: Während zehn Tagen steht der Begriff «Das Kapital» im Zentrum von Installationen, Diskussionen, Filmen, Interventionen und Performances. Die «Konzertante Eröffnungsperformance» unter der Leitung von Schorsch Kamerun trägt den Titel «Eine Spirale im Kreis (und jeweils zurück)». Die Kunstschaffenden wollen mit ihrem Auftritt das widersprüchliche Terrain zwischen Kunst und Politik erkunden.

Im diskursiven Festivalzentrum im Foyer des Berner Stadttheaters gibt es Gespräche und Musik rund um das Kapital: An drei der neun Abende diskutiert der WOZ-Kolumnist Pedro Lenz mit jeweils einer Person: dem Kolumnisten Werner Vontobel, Heliane Canepa, ehemals CEO von Noble Biocare, und Volkswirtschaftsprofessor Mathias Binswanger. An einem Abend erhält Schwarzgeldspezialist Paolo Fusi eine Carte blanche, an einem anderen singen die Tequila Boys Songs rund ums Geld.

Interessante Gäste bestreiten auch die Vortragsreihe «Ja, der Mensch muss Kapitalist sein»: so zum Beispiel der Philosoph Christoph Henning, die Soziologin Sophie-Thérèse Krempl und die Historikerin Simone Slanicka. Die Theatergruppe Rimini Protokoll hat sich «Das Kapital» von Karl Marx vorgeknöpft und bringt es auf die Bühne des Schlachthaus-Theaters.

Ausserdem sind viele weitere Veranstaltungen zu erleben, die gemäss der Programmzeitung der Biennale «eher Laboratorium oder Börse als fertiges Produkt sind». Silvia Süess

Biennale Bern in: Bern, Progr, Dampfzentrale, Kino Kunstmuseum, Reitschule, Schlachthaus Theater, Stadttheater Bern, Vidmarhallen, Zentrum Paul Klee, Musikschule Konservatorium, Berner Münster, Do, 6., bis So, 16. September 2012. 
www.biennale-bern.ch