Medientagebuch: Chilbi voller Fakten

Nr. 35 –

Pit Wuhrer über ein Wirtschaftsmagazin mit Aha-Effekt

Die Welt ist zu einem Rummelplatz «derer geworden, die haben», zu einem «globalen Lunapark» mit grossem Vergnügen («auf wessen Kosten?»), mit glitzernden Verkaufsmeilen («wer kann da noch kaufen?»), mit Feuerwerk («wer bezahlt, was da funkelt?»), mit Militärparaden, Privatisierungen und sinkenden Löhnen. So erläuterte Rolf Becker, ein in Deutschland bekannter Schauspieler, den für ein Wirtschaftsmagazin ungewöhnlichen Namen «Lunapark 21» («LP21»). Das war vor fast fünf Jahren. Inzwischen ist die Welt noch toller geworden. Wer versteht, was da abgeht?

Es ist eine Gruppe linker Journalistinnen und Ökonomen, die seit Anfang 2008 vierteljährlich «LP21» herausgibt, die «Zeitschrift zur Kritik der globalen Ökonomie», um Abhilfe zu schaffen und konkrete Zusammenhänge zu benennen: ein bunter Haufen, der sich da zusammengetan hat. Die politische Spannbreite reicht von linkskeynesianischen Analysen bis zu anarchosyndikalistischen Positionen, die Ansichten der AutorInnen (darunter die WOZ-Mitarbeiter Winfried Wolf und Tomasz Konicz) decken sich nicht in allen Punkten: Hätte man die Banken zusammenkrachen lassen sollen, oder war es richtig, sie zu retten? Die BlattmacherInnen belehren nicht, sie informieren – mit profunden Texten (die uns LeserInnen regelmässig ein Aha-Erlebnis verschaffen) und aussagekräftigen Grafiken, verpackt in ein ansprechendes Layout.

Die Nummern – bisher sind achtzehn Ausgaben mit jeweils 74 Seiten erschienen – beschäftigten sich jeweils mit einem Hauptthema (Klima, Migration, Öl, das Reicherwerden der Reichen, Kriegsgeschäfte oder die Jagd nach Rohstoffen); dazu kommen aktuelle Berichte zur Eurokrise, zum Fiskalpakt, zur Armut in Griechenland, zu Feminismus und Ökonomie, zu wirtschaftlichen Entwicklungen, sozialen Bewegungen, politischen Alternativen. Erhellend und überaus lesenswert sind Kolumnen wie der «Seziertisch» oder die «Quartalslüge», die faktenreich Klischees widerlegen (der Rüstungsexport schafft Arbeitsplätze, die offiziellen Arbeitslosenzahlen stimmen, der Grieche ist faul), die Rubrik «LunArt» mit ihren Porträts engagierter KünstlerInnen – und natürlich die Extraausgaben, die jeweils in Kooperation mit Gewerkschaften und Bürgerinitiativen entstehen. Das letzte «LP21»-Extra von Anfang 2012 beschreibt zum Beispiel, wie es zum Kollaps der Berliner S-Bahn kam: Niemand hat bisher dieses verkehrspolitisch brisante Thema so kenntnisreich analysiert.

Vielleicht am meisten verblüfft, dass «LP21» so lange überlebt hat. Die RedaktorInnen (auch Chefredaktor Wolf) und fast alle AutorInnen – darunter erfahrene Journalisten wie Lucas Zeise von der «Financial Times Deutschland», Daniel Behruzi von der «Jungen Welt» oder der Buchautor Karl Heinz Roth – arbeiten ehrenamtlich. Es gibt kein Büro, die Einkünfte decken gerade mal die Druck- und Vertriebskosten, und das Budget reicht nur für die Bezahlung von etwa vier Beiträgen pro Ausgabe. Es steckt also jede Menge Gratisarbeit in «LP21» – denn die Auflage ist noch niedrig: 3000 Exemplare insgesamt, davon gehen rund 1500 an AbonnentInnen.

Warum ist das so? Warum greifen nicht mehr Menschen zu einer Zeitschrift, die Hintergründe zu den grossen Themen dieser Zeit liefert? Müsste sich die «LP21»-Redaktion nicht auch einmal damit auseinandersetzen? Nun, sie hat es vor: Die kommende Nummer widmet sich dem Thema «Macht und Medien».

Pit Wuhrer ist WOZ-Autor. 
Zur besprochenen Zeitschrift: 
www.lunapark21.net