Winfried Wolf (1949–2023): Ein radikaler Utopist

Nr. 22 –

Am 22. Mai verstarb das linke deutsche Urgestein Winfried Wolf im Alter von 74 Jahren. Wolf war der wohl profilierteste linke Verkehrsexperte Deutschlands. 1986 schrieb er das Standardwerk «Eisenbahn und Autowahn», in dem er detailgetreu nachrechnete, welch immense Kosten der Autoverkehr der Gesellschaft aufbürdet und wie volkswirtschaftlich sinnvoller es wäre, stattdessen die Eisenbahn viel stärker zu fördern. Auch für die WOZ hat er zu diesem und anderen Themen immer mal wieder Artikel verfasst.

Winfried Wolf war geprägt vom Aufbruch der neuen Linken 1968. Innerhalb dieser war er in den siebziger und achtziger Jahren ein Exponent der trotzkistischen Strömung. Schreiben, Referieren und Diskutieren waren seine grosse Leidenschaft. Die Liste seiner Veröffentlichungen ist lang; neben dem Verkehrsthema befasste er sich mit den grossen weltwirtschaftlichen Fragen, aber auch mit der Friedenspolitik. Von 1994 bis 2002 sass er für die PDS (heute: Die Linke) im Bundestag. Auch dort scheute der eigenständige Denker Konflikte nicht. 2004 trat er aus der Partei aus, weil sie ihm bei der Regierungsarbeit in den Bundesländern Mecklenburg-Vorpommern und Berlin zu viele Konzessionen machte.

Ab 2006 verstand sich Winfried Wolf als «parteilos und glücklich», als ein «unabhängiger radikaler Sozialist und Utopist». Das machte ihn für die Linke zu einer unbequemen Instanz. Er war radikal, weil er echte Veränderungen anstrebte und sich nicht auf faule Kompromisse einlassen wollte. So stand er etwa in seinem Verhältnis zur Europäischen Union quer zu vielen Linken: Für ihn war die EU ein «nicht reformierbares Projekt der Konzerne und Banken mit imperialistischem und zunehmend militaristischem Block».

Neben seiner publizistischen Tätigkeit war Wolf auch ein umtriebiger Organisator. Er stand etwa 2006 hinter der Gründung des Bündnisses «Bahn für Alle», das sich bis heute gegen Bahnprivatisierungen wehrt und eine kund:innenfreundliche «Bürgerbahn» fordert. 2008 gründete er zudem die linke Wirtschaftszeitschrift «Lunapark21».