Justiz : Von der Party in die Präventivhaft

Nr.  40 –

Die Ermittlungen gegen einen seit vier Monaten inhaftierten Politaktivisten werfen ein schiefes Licht auf die Stadtbasler Staatsanwaltschaft. Die Untersuchungshaft dauert aussergewöhnlich lange, die Gründe sind zweifelhaft, und die Frage der Befangenheit steht im Raum.

2. Juni 2012, 23.20 Uhr: Freiraumparty auf dem Basler NT-Areal. Wenige Stunden später wird P. festgenommen.

Am Montagmorgen hätte der 29-jährige P. das Gefängnis verlassen sollen – zumindest für einen Tag. Die Basler Staatsanwaltschaft hatte ihm gestattet, unter Aufsicht von Zivilpolizisten zur Beerdigung seines Grossvaters zu fahren. Doch obwohl man P. frühmorgens aus der Zelle holte, ihn in einen Warteraum führte und der Transport vorbereitet worden war, konnte er das Gebäude nie verlassen. Nachdem er über eine Stunde gewartet hatte, sagte man ihm, die Beerdigung finde erst nachmittags statt. Aber als P. am Nachmittag bereitstand, konnte er das Gefängnis wieder nicht verlassen. Die Trauerfeier, teilte man ihm mit, habe leider bereits am Morgen stattgefunden.

Der Vorfall tönt nach Schikane, die Staatsanwaltschaft spricht von einem «bedauerlichen Missverständnis» und hat sich beim Betroffenen entschuldigt. Doch der Vorfall erzählt einiges über den Fall des Politaktivisten P., gegen den die Basler Staatsanwaltschaft seit vier Monaten eine Untersuchung führt, nachdem dieser an einer unbewilligten Party auf dem NT-Areal festgenommen wurde.

Staatsanwalt im Privateinsatz

Am Abend des 2. Juni, einem Samstag, besetzten rund 1000 Personen eine Halle auf dem Basler NT-Areal und feierten bis in die frühen Morgenstunden eine Party. Zur gleichen Zeit tanzten auch in Bern über 10 000  Menschen durch die Strassen und forderten mehr Freiräume. Die Anliegen in Bern und in Basel waren dieselben. Doch während man in Bern im Nachgang der Kundgebung über Politik, Party und Protest debattierte, gab es in Basel vor allem ein Thema: die Ausschreitungen nach dem Fest. In der Nacht auf Sonntag war es zu einer Auseinandersetzung mit anrückenden PolizistInnen gekommen. Die Polizei schrieb in einer Medienmitteilung, sie sei «mit Steinen beworfen» worden, rund dreissig Vermummte hätten die Konfrontation mit der Polizei gesucht und «einen Zivilfahnder körperlich angegriffen». Die Polizei nahm eine Person fest, den 29-jährigen P., ein Winterthurer Mitglied des Revolutionären Aufbaus, der in die Auseinandersetzung involviert gewesen sein soll. Seither sitzt P. in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Landfriedensbruch, Gewalt und Drohung gegen Beamte sowie Körperverletzung vor.

Was Polizei und Staatsanwaltschaft bislang verschweigen: In die Auseinandersetzung mitten in der Nacht war auch ein Staatsanwalt verwickelt, der sich aus privaten Gründen in der Nähe des NT-Areals aufhielt. Er soll gemeinsam mit einem Zivilfahnder angegriffen worden sein und tritt im Fall P. als Privatkläger und Zeuge auf. Brisant daran: Der Staatsanwalt arbeitet in derselben Abteilung wie die Staatsanwältin, die die Untersuchung gegen P. leitet. Damit hat er – zumindest theoretisch – auch direkten Zugang zu den laufenden Untersuchungen.

Alain Joset, P.s Rechtsanwalt, findet diese Konstellation «heikel», es müsse sichergestellt werden, dass sein Mandant ein faires Verfahren erhalte. Deshalb hat er bereits Mitte Juni ein Ausstandsbegehren gegen die Staatsanwältin gestellt, das aber abgelehnt wurde. Die beiden Staatsanwälte seien nicht freundschaftlich verbunden, hiess es in der Begründung des Appellationsgerichts, es handle sich dabei um eine rein beruflich-kollegiale Beziehung. Joset erwägt nun, vor dem Bundesgericht klären zu lassen, ob die Staatsanwaltschaft in diesem Fall befangen ist. Dann müsste sich ein Staatsanwalt aus einem anderen Kanton oder zumindest einer anderen Abteilung der Sache annehmen. «Es geht schliesslich um eine zentrale Frage», sagt Joset. «Darf ein Staatsanwalt eine Untersuchung leiten, wenn ein Kollege direkt betroffen ist?»

Die Staatsanwaltschaft verneint eine Befangenheit und beruft sich dabei auf den Entscheid des Appellationsgerichts. Weiter will sie nicht auf die Frage eingehen.

Beschwerde am Bundesgericht

P. befindet sich seit nunmehr vier Monaten in Untersuchungshaft. Die aussergewöhnlich lange Haftdauer wird mit der sogenannten Fortsetzungsgefahr oder Wiederholungsgefahr begründet. Die Staatsanwaltschaft hält P. in Präventivhaft, weil sie befürchtet, dass er wieder ähnliche Delikte beginge, würde er auf freien Fuss gesetzt – oder wie es ein Mitglied des Revolutionären Aufbaus Zürich an einer Informationsveranstaltung zum Fall P. sagte: «Sie glauben wohl, dass er, kaum ist er draussen, sich auf den erstbesten Polizisten stürzt.»

Die Befürchtungen der Staatsanwaltschaft sind fragwürdig, vor allem, wenn man die Vorstrafen des Beschuldigten P. studiert, auf die die Staatsanwaltschaft ihre Begründung stützt. P. hat drei Einträge im Strafregister, alle im Zusammenhang mit politischen Aktionen. Dabei geht es immer um die üblichen Delikte, mit denen sich alle konfrontiert sehen, die schon einmal eine unbewilligte Party oder Demo besucht haben und dort auf Polizisten trafen: Landfriedensbruch, Gewalt und Drohung gegen Beamte, Hinderung an einer Amtshandlung.

Für P.s Rechtsanwalt sind die Vorstrafen nicht schwer genug, um eine Präventivhaft zu rechtfertigen. Deswegen hat Anwalt Joset im Juli ein Gesuch auf Haftentlassung gestellt, das mit Verweis auf die Wiederholungsgefahr abgelehnt wurde. Kurz darauf wurde die Untersuchungshaft von P. für weitere drei Monate verlängert. Joset hat Mitte September Beschwerde eingelegt, der Fall liegt nun beim Bundesgericht. Es wird beurteilen müssen, wie schwer die Vorstrafen wiegen, ob sie abstrakt oder konkret bewertet werden sollen. Anders gesagt: Es geht um die Frage, ob für die Wiederholungsgefahr grundsätzlich die Art der begangenen Vergehen entscheidend ist oder aber die konkrete Strafe, die der Verurteilte für die Vergehen bekam. P. hat für seine Taten jeweils geringe Strafen erhalten, weshalb sein Anwalt die Vorstrafen als Bagatelldelikte einschätzt und sie nicht als Begründung für Wiederholungsgefahr gelten lässt. Zudem hat sich P. bei einer Verhandlung vor dem Haftrichter von Gewalt distanziert und zu Protokoll gegeben, dass es auch legale Wege gebe, sich politisch zu engagieren.

Die Staatsanwaltschaft hält sich im Fall P. bedeckt, die Auskünfte sind spärlich – stets mit dem Verweis auf die laufende Untersuchung. Es stellt sich allerdings die Frage, was die Staatsanwaltschaft in den letzten vier Monaten überhaupt ermittelt hat. Der mutmassliche Täter P. wurde bloss einmal – kurz nach der Verhaftung – zu den Vorkommnissen befragt, danach nie wieder. In der ersten Juniwoche wurden zudem die Beamten, die vor Ort waren, als Zeugen befragt.

Seither haben keine weiteren Einvernahmen stattgefunden.