Fumoir: WOZ statt Untergang
Ruth Wysseier über einen bahnbrechenden Trend aus Südkorea.
Ökonomie ist, meiner bescheidenen Meinung nach, die Wissenschaft, die uns erklärt, weshalb es vollkommen in Ordnung ist, dass wir alle abgezockt und betrogen werden, die Jugend in halb Europa arbeitslos ist und die Politik nur Banken rettet und Oligarchen mästet.
Man muss schon ganz genau hinsehen, um in diesen Krisenzeiten Zeichen einer Veränderung, vielleicht gar eines Umdenkens zu sehen. Ein kleines Zugeständnis war wohl 2009 die Verleihung des Wirtschaftsnobelpreises an die im vergangenen Sommer verstorbene US-Politologin Elinor Ostrom, die als erste und bisher einzige Frau diese Auszeichnung erhielt. Ihr Verdienst, so war im Nachruf in der WOZ Nr. 25/12 zu lesen: Sie entkräftete die Annahmen über den Homo oeconomicus, bis vor kurzem die heilige Kuh der Ökonomie, bei der Nutzung von Gemeingütern. Sie belegte die Bedeutung von Kommunikation, Reziprozität (Gegenseitigkeit), Vertrauen und sozialen Beziehungen für das wirtschaftliche Handeln.
Letztes Jahr provozierte dann der Harvard-Wissenschaftler Martin Novak die Fachwelt mit seiner These, dass die meisten grossen Entwicklungsschritte in der Evolutionsgeschichte durch Kooperation entstanden seien. In seinem Buch «SuperCooperators» räumt er der Kooperation denselben Status als Evolutionsfaktor ein wie Mutation und Selektion. Die «SonntagsZeitung», wie immer mit der Nase im Wind, deklarierte vor zwei Wochen die Bedeutung der Kooperation folgerichtig zum wissenschaftlichen Megatrend für 2013.
Noch qualifizierter im Setzen von Trends ist Südkorea. Der Beweis: Aus diesem Land kommt nicht nur das am meisten «gelikte» YouTube-Video aller Zeiten, «Gangnam Style» des Rappers Psy, sondern neuerdings auch das Studium des Genossenschaftswesens. Vor einigen Tagen hatten wir deshalb Besuch auf der WOZ. Eine zwölfköpfige Delegation von hohen StaatsbeamtInnen aus Seoul besuchte verschiedene Betriebe in Europa, darunter die WOZ, «um die hochwertige gute Genossenschaftssysteme/Idee in der Schweiz kennenzulernen und in Korea weiterzuverbreiten», wie Herr Dong Wan Park uns geschrieben hatte.
Nach einer kurzen Präsentation zur Geschichte der WOZ entwickelte sich eine lebhafte Debatte: Wie es möglich sei, dass jemand, der seit 26 Jahren in diesem Betrieb arbeite, gleich viel verdiene wie jemand nach 5 Jahren; wieso es nicht mehr Inserate in der Zeitung habe; und ob es bei so viel Mitsprache nicht sehr lange dauere, Entscheide zu treffen, wurde gefragt. Ein Teilnehmer erzählte von einem genossenschaftlichen Recyclingprojekt, ein anderer möchte unabhängige Lokalzeitungen als Genossenschaften gründen.
Beim Mittagessen erfuhren wir, dass am 1. Dezember in Südkorea ein Gesetz in Kraft tritt, das Genossenschaften, Selbsthilfegruppen und Non-Profit-Organisationen fördern soll. Deshalb hat vor kurzem schon ein koreanisches Filmteam in Zürich in einer Wohnbaugenossenschaft gedreht, und für Januar haben Ökonomiestudenten aus Seoul ihren Besuch in der WOZ angemeldet, die überzeugt sind, dass Genossenschaften eine Antwort auf die hohe Arbeitslosigkeit sind. Südkorea, ein hochkapitalistischer zentralistischer Staat, schickt also Delegationen an alle Enden der Welt aus, damit sie nach Auswegen aus der Wirtschafts- und Finanzkrise suchen. Kündigt sich so der Untergang der neoliberalen Epoche an?
Atlantis, sang einst Donovan, war eine Insel, die – vor der grossen Sintflut – dort lag, wo jetzt der Atlantische Ozean ist. Ihr Schicksal ahnend, sandte sie Schiffe aus an alle Enden der Welt, an Bord war jeweils eine Zwölferdelegation.
Wir wünschen unseren neuen Freunden jedenfalls viel Erfolg! Do it Gangnam Style!
Ruth Wysseier ist WOZ-Redaktorin und Winzerin.