Die SP und die Taktik : Und wieder spricht Oberlehrer Levrat

Nr. 45 –

SP-Präsident Christian Levrat spielt sich gerne als Chef der Linken auf. Und produziert – wie jetzt beim Asylreferendum – immer wieder ein Tohuwabohu. Ein Plädoyer für eine Linke als Bewegung.

Das ältere Paar stand vor dem Schild in der St. Galler Einkaufspassage, letzten Samstag am nationalen Sammeltag gegen die Asylgesetzrevision. Auf dem Schild waren Argumente gegen die Verschärfungen aufgelistet, die für dringlich erklärt wurden und bereits in Kraft getreten sind: Auf Schweizer Botschaften kann kein Asylgesuch mehr gestellt werden, Desertion gilt nicht mehr als Fluchtgrund, Lager für «renitente» Asylsuchende werden geschaffen, die Rekursfristen im Verfahren verkürzt. Als sie das Schild einige Minuten betrachtet hatten, sagte der Mann enttäuscht zur Frau: «Es ist für das Umgekehrte.»

Am gleichen Tag veröffentlichte SP-Präsident Christian Levrat einen Beitrag im «Tages-Anzeiger». Darin begründete er, weshalb es dieses «Umgekehrte», also die Forderung nach einer anderen Asylpolitik, jetzt nicht geben darf – zumindest nicht in Form eines Referendums: Zwar enthalte die Revision einige «grosse Wermutstropfen» wie die Abschaffung des Botschaftsasyls. Doch ein Referendum bedeute eine erfolglose Abwehrschlacht. «Die Bürgerlichen werden die Abstimmung als Testlauf missbrauchen für weitere, noch drastischere Verschärfungen.» Der Widerstand schade jenen am meisten, um die es in der Debatte gehe: den betroffenen Asylsuchenden.

Damit machte Levrat nicht nur die Solidaritätsnetze lächerlich, die aus ihren täglichen Erfahrungen heraus das Referendum ergriffen haben, sondern drückte auch falsches Mitleid aus: In den Netzwerken sind viele Flüchtlinge und Sans-Papiers aktiv.

Einen Tag später zog die Aargauer SP-Ständerätin Pascale Bruderer im «Sonntag» mit inhaltlichen Gründen für die Revision nach: Dazu zählt sie die Möglichkeit des Bundes, Beschäftigungsprogramme auszurichten. Bruderer befürwortet sogar die Lager für «renitente» Asylsuchende. Wer nicht blind das Referendum unterstütze, meinte sie, erkenne eine Trendwende in der Asylpolitik.

Gängelung statt Rechte

Nun ist Bundesrätin Simonetta Sommaruga tatsächlich anzurechnen, dass sie die Asyldiskussion auf bedachte Weise führt. Doch eine Trendwende, so erwünscht sie wäre, ist noch nicht auszumachen. Zur Erinnerung: Die erste veritable Auseinandersetzung um die Notwendigkeit eines Referendums fand innerhalb der Linken 1990 statt. Damals ging es, bei gleichzeitig massiven Verschärfungen, mindestens noch um einen entscheidenden rechtlichen Fortschritt: die Schaffung der Asylrekurskommission. Heute geht es bestenfalls um weniger Gängelung, nicht um mehr Rechte für die Asylsuchenden.

Exemplarisch zeigt dies die Abschaffung der Botschaftsverfahren. Wohl ist die Schweiz das einzige Land, das es noch kennt. Doch Staaten wie die skandinavischen Länder nehmen jährlich bis zu tausend Kontingentsflüchtlinge des UNHCR auf. Sommaruga hat sich zwar verschiedentlich für Kontingente ausgesprochen, doch offensiv eingefordert hat sie diese nicht. Richtig wäre angesichts des Reichtums in der Schweiz sowieso beides: Botschaftsasyl und Kontingente.

Es gibt also Gründe genug für ein Referendum. Dass es das SP-Präsidium nicht unterstützen will, ist letztlich seine Sache. Fast täglich kommen Sektionen dazu, die anderer Meinung sind, diese Woche die SP Basel-Stadt. Definitiv entscheidet die Delegiertenversammlung am 1. Dezember. Das eigentlich Störende an Levrats und Bruderers Wortmeldungen ist etwas anderes: dass sie Engagierten, nun wo das Referendum ergriffen ist, in den Rücken fallen. Und bei Levrat hat dieses Chefgetue System.

Levrats Muster

In der «SonntagsZeitung» verkündet der geübte Schachspieler jeweils seine nächste Strategie – die meistens in einem Tohuwabohu endet. So war es Anfang des Jahres mit der Ankündigung eines Migrationspapiers: Der linke Parteiflügel konnte den chaotischen Entwurf aus einer nutzenorientierten Sicht auf die Migration und fehlenden interkulturellen Gedanken bestenfalls etwas in Ordnung bringen und unmögliche Punkte wie die Legitimierung von Zwangsausschaffungen streichen. So war es bei der Abgeltungssteuer mit Deutschland: Levrat drohte mit der Ablehnung, die Fraktion brachte er nur knapp auf Kurs, die Juso scheiterte mit dem Referendum, immerhin blieb ein parteiinterner Streit erspart. Nun das gleiche Muster beim Asylgesetz – mit dem Unterschied, dass hier nicht seine eigene Partei betroffen ist, sondern eine Bewegung, die sich von autonomen Gruppen bis zu engagierten ChristInnen noch immer durch ihre Vielfalt auszeichnete und auf keinen Chef gewartet hat.

Im Bundeshaus heisst es hinter vorgehaltener Hand: Ausgerechnet Gewerkschafter Levrat denkt meist in der Parteilogik, nicht bewegungspolitisch. Wohl gelingt es ihm, die verschiedenen Parteiflügel zusammenzuhalten. In der Geschäftsleitung habe er sich aber mit Personen umgeben, die ihm argumentativ unterlegen seien. So bleibt es an Levrat, Ansagen zu machen – auch wenn sie auf ihn zurückfallen.

Dass das Referendum zustande kommt, ist weiterhin möglich. Überraschend viele PassantInnen unterzeichnen, speziell Familien. Ein Fünftel der benötigten Unterschriften ist zusammen. Im Übrigen, was kann der Linken besseres passieren, als wenn Bundesrätin Sommaruga bei einem Abstimmungskampf in der «Arena» gegen die Asylbewegung antreten muss? Endlich Zeit und Raum, über eine fortschrittliche Migrationspolitik zu diskutieren. So viel zur Taktik.