Asylpolitik: Jahrzehnt der Schikanen
Mehrere Tausend Eritreerinnen und Eritreer sollen das Bleiberecht verlieren. Der Beschluss steht sinnbildlich für die Schweizer Asylpolitik – Bundesrat, Parlament, Justiz und Behörden spielen bei der Diskreditierung einer Bevölkerungsgruppe zusammen.
Es war die letzte Meldung in einer langen Geschichte: Das Staatssekretariat für Migration (SEM) will die Wegweisung von einem Drittel der insgesamt 9000 vorläufig aufgenommenen EritreerInnen überprüfen. Damit verlieren 3200 Geflüchtete wohl ihr Bleiberecht. Das SEM stützt sich bei seiner Praxisänderung auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem vergangenen Jahr, das die Rückkehr nach Eritrea als «zumutbar» erachtet. Hilfsorganisationen schlagen Alarm: Für Denise Graf von Amnesty International hat der Entscheid gravierende Folgen für die Betroffenen. Und er sei «völlig kontraproduktiv».
Die Geschichte der Verschärfungen begann vor mittlerweile über zehn Jahren. Sie erzählt davon, wie man den EritreerInnen den Flüchtlingsstatus aberkannte und sie in ihrem Lebensalltag zunehmend prekarisiert wurden. Sie erzählt auch davon, wie Politik, Justiz und SEM zusammenwirkten und SVP-Positionen mehrheitsfähig wurden. Am Anfang dieser Geschichte steht Christoph Blocher.
Dunkelkammer Eritrea
An einem kühlen Februartag 2007 war für den SVP-Milliardär die Frage, wer schuld sei, schnell geklärt. Diesmal war es die Asylrekurskommission, laut Blocher für «die meisten Probleme im Asylwesen verantwortlich». Besonders störte sich der Justizminister an einem Kommissionsentscheid über ein Jahr zuvor, der Deserteure und Kriegsdienstverweigerinnen als politisch verfolgt eingestuft hatte. Weil dies der Hauptgrund für die Flucht aus Eritrea ist, hatte der Beschluss für Asylsuchende aus dem ostafrikanischen Land weitreichende Folgen.
Das Gremium hatte nichts anderes getan, als die Realität in einem Land anzuerkennen, in dem es seit der Unabhängigkeit keine Wahlen gegeben hat, das noch immer keine Verfassung besitzt und in dem die Presse nicht frei ist. Ein Land, in dem alle Männer und Frauen zu mehrjährigem Militärdienst verpflichtet sind, der mit dem herrschenden Ausnahmezustand begründet wird. Offiziell soll der «Nationaldienst» achtzehn Monate dauern, tatsächlich bedeutet er oft jahrzehntelange «Zwangsarbeit», wie Menschenrechtsorganisationen wiederholt kritisiert haben.
Wer sich weigert, dem drohen willkürliche Haft und Folter, Vergewaltigung und Mord, wie die Uno mehrfach festgehalten hat. Weil sie sich auf Erzählungen von Geflohenen stützen, sind die Angaben zwar umstritten. Doch weil das Regime unabhängigen BeobachterInnen keinen Zugang gewährt, sind im Land selbst keine neutralen Informationen zu bekommen.
Blocher hatte an diesem Tag im Februar beschlossen, dass die Zahl der Asylgesuche unter zehntausend pro Jahr sinken müsse. Deshalb präsentierte er vor den Medien eine Grafik, wonach die Entwicklung der Gesuche «ohne Eritreer» wesentlich besser sei. Zwar war kurz zuvor einmal mehr die Verschärfung der Asylpolitik an der Urne gutgeheissen worden, abgewiesene Asylsuchende sollten nur noch Nothilfe erhalten. Doch Blocher war das nicht genug. Er forderte, dass der Entscheid der Asylrekurskommission rückgängig gemacht und Desertion als Verfolgungsgrund aufgehoben werde.
In einem unterschied sich die Nachfolgerin des abgewählten Justizministers nicht von ihrem Vorgänger: Auch Eveline Widmer-Schlumpf schickte eine Verschärfung des Asylgesetzes in die Vernehmlassung. Nach dem Amtsantritt von SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga mündete die Vernehmlassung 2013 in der Revision des Asylgesetzes: Wehrdienstverweigerung galt nun nicht mehr als Fluchtgrund. KritikerInnen versuchte Sommaruga damit zu beschwichtigen, dass es mit Eritrea kein Rückübernahmeabkommen gebe. Die Geflüchteten bekämen also immer noch den Status der «vorläufigen Aufnahme». Ein Referendum der Asylbewegung gegen die Gesetzesrevision, mit der auch das Botschaftsasyl abgeschafft wurde, blieb chancenlos.
Zu Besuch in Asmara
Die Änderung des Status vom anerkannten Flüchtling zur vorläufigen Aufnahme hatte für die Betroffenen erhebliche Auswirkungen: Der Familiennachzug ist erschwert, auch die Arbeitssuche gestaltet sich schwieriger. Dennoch blieb der Druck auf die EritreerInnen hoch. Das rechtsbürgerlich dominierte Parlament wollte (und will) wahlweise eine Botschaft in der eritreischen Hauptstadt Asmara eröffnen oder über mehr Entwicklungshilfe für das Regime von Isayas Afewerki diskutieren – alles, um ein Abkommen zu erwirken und Menschen in die Diktatur zurückschicken zu können. Befeuert wurde die Diskussion von einem parlamentarischen «Eritrea-Reisli»: Im Februar 2016 verbrachten unter anderem SVP-Nationalrat Thomas Aeschi und SP-Nationalrätin Yvonne Feri einige Tage in Eritrea. Nach ihrer Rückkehr forderten Mitglieder der Reisegruppe einen härteren Umgang mit eritreischen Asylsuchenden.
Eine der wenigen Stimmen der Vernunft in der Debatte blieb Didier Burkhalter. Als in der Sommersession 2016 der Ständerat diverse Vorstösse zu Eritrea behandelte, zeigte sich der damalige Aussenminister über die Haltung mancher ParlamentarierInnen in Menschenrechtsfragen schockiert. «Sie sagen, wir sollten hingehen, uns ein wenig umschauen, ohne Bedingung einige Millionen geben und dann Menschen zurückschicken – ohne zu wissen, wie viele von ihnen in Gefängnissen verschwinden würden.» Die Voraussetzungen für einen bundesrätlichen Besuch in Eritrea seien erst gegeben, wenn Zugang zu den Gefängnissen gewährt werde. Burkhalters Nachfolger im Aussendepartement sieht das anders. Erst kürzlich kündigte Ignazio Cassis an, nach Eritrea reisen zu wollen.
Die Stimmungsmache im Parlament färbte auch auf die Praxis des SEM ab. Inspiriert von den Erkenntnissen der PolitikerInnenreise, belegt durch eine eigene «Fact-Finding-Mission» wurde die vorläufige Aufnahme für EritreerInnen im Sommer 2016 weiter eingeschränkt. Schliesslich kam auch die Justiz zu Hilfe: Das Bundesverwaltungsgericht erkannte die Praxis im Nachhinein an. Die Schutzquote von Asylsuchenden aus Eritrea fiel auf 83 Prozent im letzten Jahr. Dies, obwohl es noch nicht lange her ist, dass Simonetta Sommaruga es für «undenkbar» hielt, «dass die Schweiz Menschen in einen Willkürstaat zurückschickt». Die Situation am Horn von Afrika hat sich seither nicht verändert.
Mit der nun angekündigten Überprüfung des Status sollen die vorläufig aufgenommenen EritreerInnen weiter verunsichert werden – obwohl bis heute kein Rückführungsdeal existiert und es auch die Menschenrechtslage nicht erlaubt, Geflüchtete in das ostafrikanische Land zurückzuschaffen. Weil freiwillig niemand zurückgehen wird, werden nun einige Tausend Menschen mehr voraussichtlich in der Nothilfe landen, warnt Denise Graf. «Das SEM schafft eine Riesenzahl von Papierlosen, die nicht integrierbar sind», sagt die Asylexpertin. Sie spricht von einem «extremen administrativen Mehraufwand», weil nun Gesuche neu aufgerollt werden, die schon als abgeschlossen galten.
Hohle Worte
Für Yonas Gebrehiwet vom Eritreischen Medienbund, einem Zusammenschluss von EritreerInnen und AktivistInnen, ist die neue Politik vor allem ein «Entgegenkommen gegenüber der SVP», anders kann er sich die Verschärfung nicht erklären. Einmal mehr gebe Sommaruga dem innenpolitischen Druck von rechts nach – dies vermutlich in der Hoffnung, bei den Nationalratswahlen im nächsten Jahr Stimmen zu gewinnen. Nachvollziehen kann Gebrehiwet die Verschärfung auch aus einem anderen Grund nicht. «Man schneidet sich damit ins eigene Fleisch», sagt er. «Schliesslich arbeitet ein Teil der vorläufig Aufgenommenen und bezahlt in der Schweiz Steuern.»
Simonetta Sommarugas Worte, die Flüchtlinge müssten sich besser in den Arbeitsmarkt integrieren können, klingen in diesem Zusammenhang hohl: Die Praxisänderung des SEM wird die Integration in den Arbeitsmarkt im Gegenteil erschweren. Wer stellt schon jemanden ein, der seinen Aufenthaltsstatus bald verlieren könnte? «Gerade den Jungen nimmt man die Zukunft weg, indem man maximale Unsicherheit schafft und sie in die Illegalität abdrängt», sagt Graf.
Die EritreerInnen führten in den letzten Jahren regelmässig die Asylstatistiken an. Während der grosse Flüchtlingstreck im Sommer 2015 an der Schweiz vorbeizog und die Schweiz wie kaum ein anderes Land von Dublin-Rückführungen profitiert, sind die Flüchtlinge aus Eritrea eine vergleichsweise kleine Herausforderung. Ihre Geschichte steht damit auch sinnbildlich für die Haltung der politischen Schweiz in der «Flüchtlingskrise»: Statt einen Beitrag zu leisten, beugt sich selbst die SP-Justizministerin dem jahrelangen Druck von rechts.