Wasser: Im Generalrauschen

Nr. 51 –

Das digitale Zeitalter steht im Zeichen der Verflüssigung: Alles surft und gleitet und fliesst. Selbst die Demokratie wird liquid.

Wie schön, wenn alles fliesst: wie von allein.

Die Verflüssigung des Alltags, wie wir sie mit zunehmender Mobilität und Virtualität erfahren, kann als Fortschritt gelesen werden: Wie elegant doch so manches gestreift, leichtfertig erledigt, beiläufig in Mobiltelefone gehaucht oder virtuos in Tastaturen getippt wird. Noch amüsanter aber wird es, wenn dieser Fluss ein selbstbestimmter, wenn eine Gruppe von Menschen derart eingespielt ist, dass es nur noch so fliesst. Es sind dies Phasen des Zusammenspiels, wie sie in der Musik oder im Ballsport geschehen können, ebenso aber auch in weniger spektakulären Situationen möglich sind: Kooperationen, in denen sich die Last der Arbeit verkleinert, indem sie sich auf einzelne Individuen verteilt.

Wenn nun aber dieser Fluss über selbstbestimmte Räume hinausgeht und nahezu unser ganzes Dasein umspült? In welchem Kanal gleiten wir dann so widerstandslos durch Zeit und Raum? Liegt in dieser übergeordneten Liquidität nicht immer auch eine gewisse Reibungs- und damit Rücksichtslosigkeit? Geht im unaufhörlichen Generalrauschen nicht allzu gern auch die Schwerkraft vergessen, der wir körperlich noch immer unterliegen? Und bleibt es nicht weiterhin eine Illusion, die digitale Revolution würde uns grad auch noch die Mühseligkeiten des Denkens ersparen? Gewiss: Gedanken lassen sich mittlerweile sekundenschnell globalisieren. Sie zu denken aber bleibt doch ziemlich anstrengend. Weil Denken eben ganz und gar nicht liquid ist, sondern immer wieder an einem Nullpunkt steht und damit jederzeit dilettantisch bleibt: Felsbrocken im grossen Strom, der alles auswaschen und bereinigen will.

Ob das ein Grund dafür ist, dass das Denken als nicht sonderlich populär gilt? Oft sind es doch eher die schweren Gedanken, die den Fluss stören, offene Fragen, die sich unerhört in den Weg stellen, unliebsame Wirbel verursachen und so das allgemeine Spiel verderben. Und dann wird da in seltenen Fällen selbst im 21. Jahrhundert in Widersprüchen gedacht! Gar soll es noch immer menschliche Wesen geben, die es wagen, selbst die Grundregeln, denen der allgemeine Spielfluss gehorcht, infrage zu stellen.

Also trinken wir fliessend Wasser, lesen flüssige Texte, hören flüssige Musik, verkehren im Fluss. Hat Verflüssigung aber nicht immer auch mit Verflüchtigung zu tun? Augenblicke schwindelerregender Flüchtigkeit, die sich auch in unseren Gesichtern abzeichnet? Als ob wir vom permanenten Fluss immer noch abgeschliffener würden, reingespült von den Widersprüchen dieser Welt. Alles wird glatter in diesem Überfluss, die Stirnen, und vielleicht auch die Gedanken.

Es geht nun also um Kompatibilität: permanente Anschmiegsamkeit, die darin besteht, sich derart vom Strom leiten zu lassen, als würde man selber schwimmen. Schwerelose Gedankenlosigkeit – und immer noch kleinere und leichtere Geräte, die wir auf dieser unserer Flucht mit uns führen und bald in unsere Körper implantieren.

Demnächst, so wird spekuliert, verflüssigt sich auch die Demokratie: Liquid Democracy. Wie verheissungsvoll und erfrischend transparent! Jederzeit und überall zu jedem Stellung beziehen, immer und überall seine Meinung deponieren dürfen: Ist das nicht ungeheuer fortschrittlich? Oder liegt vielleicht nicht gerade auch darin, in dieser viel beschworenen Liquidität der Abläufe und Entscheidungen, eine Gefahr für die Demokratie: dass sich eine Gesellschaft wie von selbst reguliert und niemand mehr zur Verantwortung gezogen werden kann? Dass es letztlich die technischen Möglichkeiten sind, die bestimmen, ob und wie sich etwas durchsetzt?

Alles fliesst. Wie schön. Wie traurig aber auch, wenn wir uns vor lauter Flüssigkeit aus der Verantwortung verflüchtigen – und selbst das Undenkbare weitgehend störungsfrei geschieht.