Daniel Woodrell: Mit der Wucht eines Kinnhakens

Nr. 5 –

«Als wir die Staatsgrenze überquert hatten, sagte Red, ich solle aussteigen und den Pick-up in eine andere Farbe umlackieren. Seine Stimme schien für mich immer voll von diesen Würmern zu sein, die einen fressen, wenn man tot ist. Seine Stimme wollte mich diesen wartenden Würmern vorstellen.»

So beginnt «Der Tod von Sweet Mister», nach «Winters Knochen» (2011) der zweite, abermals von Peter Torberg ohne Verluste in ein lakonisch-poetisches, makellos klares Deutsch übertragene Roman des US-amerikanischen Country-Noir-Schriftstellers Daniel Woodrell.

Mit der Wucht eines Kinnhakens entwirft Woodrell von Beginn an die Ahnung einer Welt in den Bergen Missouris, in der das Schöne äusserst rar sein dürfte. Und tatsächlich: In diesem von verbalen Anfeindungen, sexuellen Übergriffen, häuslicher und schliesslich blutig eskalierender Gewalt durchtränkten Familiendrama wird es noch finsterer als in «Winters Knochen».

Zusammen mit dem dreizehnjährigen Ich-Erzähler Shug Akins, der von seiner schönen, jedoch alkoholkranken Mutter «Sweet Mister» genannt wird, rutschen wir zügig tiefer in eine ungemütliche Sozialhölle: Vor der schnellen harten Linken Reds, seines Vaters, muss Shug stets auf der Hut sein. Die Einbrüche, die der Junge begeht, hasst er ebenso wie Red, der ihn zwingt, Todkranken die Medikamente unterm Hintern weg zu klauen, damit er sich zudröhnen kann.

Shug ist übergewichtig und hat keine Freunde. Seine sensibel beschriebenen Gefühlslagen gleichen einem Chaos. Das liebevolle Verhältnis zu seiner Mutter erweist sich als trügerische, zusehends gefährliche Stütze. Die Welt, der Shug entfliehen möchte, lässt ihn nicht entkommen. Schlimmer noch: Er selbst ist diese Welt. Dass das verstörende Ende unvermeidbar und überraschend zugleich ist, demonstriert die literarische Klasse dieses kompromisslosen Buches.

Daniel Woodrell: Der Tod von Sweet Mister. Aus dem Amerikanischen von Peter Torberg. Liebeskind. München 2012. 192 Seiten. Fr. 24.40