Medientagebuch: Hinter Jamaika

Nr. 6 –

Roman Berger über die Rangliste der Pressefreiheit.

Jetzt drohen uns ja bald Zustände wie in Nordkorea! – So äusserten sich kritische Stimmen, als vor drei Jahren die Schweizerische Depeschenagentur (SDA) dafür sorgte, dass ihr Konkurrent AP Schweiz, ein Ableger des Deutschen Depeschendiensts (DDP), seinen Dienst einstellte und damit die SDA die einzige Nachrichtenagentur im Land wurde.

In der neuen Rangliste von Reporter ohne Grenzen (ROG) gehört Nordkorea unverändert zusammen mit Turkmenistan und Eritrea zu den Schlusslichtern. Und die Schweiz? Unser Land hat erstmals sechs Plätze verloren und ist von Platz acht auf Rang vierzehn zurückgefallen – hinter Österreich und Jamaika, aber noch vor Deutschland. Was heisst das?

Zuerst stellt sich die Frage, ob eine weltweite Rangliste für die Pressefreiheit überhaupt sinnvoll ist. Kann man mit derselben Fragenliste die Situation der Medien sowohl in Nordkorea oder Turkmenistan als auch in den USA oder der Schweiz erfassen? In Diktaturen kontrolliert der Staat alles, in demokratisch regierten Ländern wie der Schweiz sind die Medien – ausser dem öffentlich-rechtlichen Radio und Fernsehen – privatwirtschaftlich organisiert.

Auf diese Problematik hat ROG nun mit einem neu aufgesetzten und verlängerten Fragebogen Rücksicht genommen. Neben Fragen wie «Wurden in ihrem Land Journalisten ermordet, gefoltert …» gab es diesmal für die Pressefreiheit in westlichen Ländern relevantere Kriterien zu bewerten: Meinungsvielfalt, Qualität, Zugang zu Informationen, Medienkonzentration, Internetkommunikation und so weiter. Der verbesserte und feinere Raster des Fragebogens dürfte auch erklären, warum die Schweiz plötzlich mehrere Ränge verloren hat: Rigide Sparprogramme und Marktbereinigungen zwischen den wenigen dominierenden Verlagskonzernen haben sich inzwischen auch auf die publizistische Qualität und die Meinungsvielfalt ausgewirkt. Das musste sogar der Bundesrat in seinem Bericht zur Mediensituation von 2011 zur Kenntnis nehmen.

Neu im ROG-Fragebogen ist auch die Rubrik «Arbeitsbedingungen». Tatsächlich benutzen zurzeit die Verlage das Zusammenlegen von Online- und Printredaktionen (Konvergenz) zu weiteren «Effizienzsteigerungen», sprich Sparmassnahmen bei den Arbeitsplätzen. Für die JournalistInnen heisst das: weniger Zeit, mehr Stress. In der Deutschschweiz gibt es seit acht Jahren keinen Gesamtarbeitsvertrag (GAV) mehr. In der Romandie wurde er letztes Jahr vom Verlegerverband gekündigt.

An der Spitze der Liste mit 179 Ländern stehen Finnland, die Niederlande und Norwegen. Auch bei anderen Erhebungen zur Pressefreiheit (von der Zeitschrift «Economist» oder von der Organisation Freedom House) rangieren diese Staaten immer auf den vordersten Rängen. Es sind Länder, in denen die direkte Presseförderung eine lange Tradition hat. Vielleicht könnte dieser Umstand auch die Befürchtungen von Politikern und Journalistinnen in unserem Land widerlegen, dass Presseförderung durch öffentliche Mittel einer staatlichen Einflussnahme auf die Inhalte Tür und Tor öffne. Oder anders formuliert: Muss die Schweiz noch weiter zurückgestuft werden, bis auch in unserem Land etwas für die Presse getan wird?

Zum Schluss noch ein Bekenntnis: Der Schreibende ist an der «Rückstufung» der Schweiz mitschuldig. Er ist einer der vier Journalisten, die angefragt wurden, die Fragebogen auszufüllen, die die ROG-Zentrale in Paris ausgewertet hat.

Roman Berger war lange Jahre Redaktor des «Tages-Anzeigers» und arbeitet heute als freier Journalist.