Südafrika : Die neuen Stadien bleiben oft leer
Derzeit findet in Südafrika wieder ein grosses internationales Fussballturnier statt. Aber was blieb dem Land von der Fussball-WM 2010? Wer profitierte ausser dem Weltfussballverband?
Das Gedröhn der Vuvuzelas war ohrenbetäubend, als am vergangenen Samstag die grosse Party anhob: Viertelfinal des traditionsreichen Africa Cup of Nations, und in Durban spielte die Fussballnationalmannschaft von Gastgeber Südafrika gegen Mali. Auffallend viele Familien waren im Publikum, schwarze Fans mit kunstvoll gestalteten Minenarbeiterhelmen, Indischstämmige mit bunten Landesfahnen, Weisse im Dress des Rugbynationalteams. Wenn es die viel zitierte Regenbogennation gibt, dann war sie am Samstag im ausverkauften Moses-Mabhida-Stadion zu sehen.
Das Stadion war für die Fussballweltmeisterschaft 2010 neu errichtet worden. Zweieinhalb Jahre nach der ersten Durchführung einer globalen Sportveranstaltung auf dem afrikanischen Kontinent nutzt nun Südafrika fünf der zehn WM-Spielstätten für den Africa Cup. Doch was hat die WM Südafrika und Afrika wirklich gebracht und insbesondere den benachteiligten Bevölkerungsschichten?
«Eine der grössten Errungenschaften»
Während der Bewerbung zur Austragung der WM versprach der damalige Präsident, Thabo Mbeki, dass zukünftige Generationen die WM als Moment betrachten würden, «in dem Afrika aufgestanden ist und sich nach Jahrhunderten der Armut und des Konflikts das Blatt wendete». Nach Abschluss der WM sprach Präsident Jacob Zuma von «einer der grössten Errungenschaften Südafrikas nach Ende der Apartheid», die das gesamte Land vereint habe. Das klingt aus heutiger Sicht ziemlich vermessen.
Das Gastland hatte sich im Zuge der WM-Vorbereitungen zu beträchtlichen Mehrausgaben hinreissen lassen. Noch 2004 war von Kosten in Höhe von 2,6 Milliarden Rand (umgerechnet 266 Millionen Franken) die Rede. Tatsächlich gab die Regierung gesamthaft 33 Milliarden Rand (3,37 Milliarden Franken) aus, knapp die Hälfte davon für die Stadien. Rechnet man die Ausgaben der Provinzen und der Städte dazu, betragen die Gesamtkosten bis zu 55 Milliarden Rand. Andererseits soll die WM nach offiziellen Angaben das Bruttonationalprodukt wenigstens vorübergehend um 93 Milliarden Rand gesteigert haben – was einem Wirtschaftswachstum von immerhin einem halben Prozent entspricht.
Zu bezweifeln ist allerdings, dass arme Bevölkerungsschichten vom Boom auch wirklich profitiert haben. Solidar Suisse (das ehemalige Schweizerische Arbeiterhilfswerk) kommt in einem Bericht zum Schluss, dass die Veranstaltung dem südafrikanischen Staat einen Nettoverlust in Höhe von 2,8 Milliarden Franken bescherte – was auch zu einer Kürzung der Sozialausgaben geführt habe. Das unabhängige Institut für Demokratie in Afrika (Idasa) führt hingegen an, dass die meisten Infrastrukturprojekte ohnehin im nationalen Entwicklungsplan vorgesehen gewesen seien. Angesichts der bis 2013 geplanten öffentlichen Investitionen von 846 Milliarden Rand seien die Ausgaben von 13,4 Milliarden Rand für die WM-Stadien unbedeutend.
Im Hochhaus des politisch mächtigen Gewerkschaftsdachverbands Cosatu im Zentrum von Johannesburg sitzt der ehemalige Profifussballer Thulaganyo Gaoshubelwe in seinem Büro. Der Spielergewerkschafter räumt ein, dank der WM seien Bahnen, Strassen und Stadien verbessert worden. «Aber wir wissen auch», sagt Gaoshubelwe vor einem Wandkalender der Kommunistischen Partei, «dass in jedem kapitalistischen System, und Südafrika ist ein sehr kapitalistisches Land, nur ein paar wenige profitieren. Mit der WM kam eine Menge Kapital ins Land, aber das kommt nur einer Minderheit zugute.»
Die Stadien seien an Orten gebaut worden, die für die ärmeren Schichten (und damit viele Schwarze) kaum zugänglich sind. Um Spiele zu besuchen, sind lange und kostspielige Anfahrten notwendig. Ein Beispiel dafür ist der neue Prestigebau in Kapstadt. Die Provinzregierung plante ursprünglich, das bestehende Fussballstadion Athlone zu modernisieren. Für den Weltfussballverband (Fifa) war aber der Standort im armen Stadtviertel Cape Flats zu wenig attraktiv für die erwarteten gut betuchten BesucherInnen und eine TV-gerechte Inszenierung. So wurde das riesige Stadion schliesslich für 4,4 Milliarden Rand im wohlhabenden Bezirk Green Point gebaut. Die Nachnutzung ist immer noch nicht geklärt. Auch die neuen WM-Stadien in Durban, Port Elizabeth und sogar die Soccer City in Soweto sind heute «weisse Elefanten» – kostspielige Prestigeobjekte ohne praktischen Nutzen. Einzig in Rustenberg kann das neue Stadion kostendeckend betrieben werden.
Hochgeschwindigkeitszug für Reiche
Auch andere Prestigeprojekte der WM sind umstritten. Dazu gehört der Gautrain, der 24 Milliarden Rand teure Hochgeschwindigkeitszug, der das reiche Viertel Sandton in Johannesburg mit dem Flughafen und dem Regierungssitz in Pretoria verbindet. Die Ticketpreise sind hoch, also beschränkt sich die Kundschaft auf TouristInnen und eine dünne Mittelschicht. An den Armen rast der Zug vorbei.
Laut Fifa betrug der Profit des Weltfussballverbands an der WM in Südafrika 573 Millionen Franken; etwa 86 Millionen Franken flossen – erst letztes Jahr – an den südafrikanischen Staat zurück. Einige Millionen sollen auch für Entwicklungsprojekte eingesetzt werden. Laut Gewerkschafter Gaoshubelwe haben südafrikanische Hilfsorganisationen kürzlich erste Gelder dafür erhalten. Überhaupt meint Gaoshubelwe, der Effekt der WM auf die Entwicklung der südafrikanischen Gesellschaft werde überschätzt: «Als Südafrika die WM bekommen hat, sagten alle, dass dies helfe, die Probleme mit HIV/Aids und der Armut zu lösen. Aber das blieb leere Rhetorik.»
Gut für die Völkerverständigung
«Was ist mit dem restlichen Afrika?», fragt Emmanuel Maradas, der Medienbeauftragte des afrikanischen Kontinentalverbands CAF: «Die Weltmeisterschaft wurde doch Afrika zugesprochen, und Südafrika sollte das Turnier stellvertretend für den Kontinent ausrichten.» Doch von dem seiner Meinung nach positiven Vermächtnis des Turniers profitiere nur das südlichste Land des Kontinents. Der versprochene gesamtafrikanische Entwicklungsschub sei ausgeblieben, selbst wenn man nur einen engen Bereich betrachtet: Der im Tschad geborene Maradas bemängelt, der afrikanische Fussball leide nach wie vor unter leeren Stadien, abwandernden Spielern und inkompetenten Funktionären.
Gewerkschafter Gaoshubelwe sieht immerhin einen positiven Einfluss der WM: So habe die Fremdenfeindlichkeit in Südafrika abgenommen. 2008 war es im ganzen Land zu mehreren tödlichen Angriffen auf MigrantInnen aus anderen Ländern des südlichen Afrika gekommen. «Über Sport und Fussball lernt man, die Unterschiedlichkeit wertzuschätzen», sagt Gaoshubelwe. Im Umfeld der Weltmeisterschaft und danach habe es keine nennenswerten Übergriffe auf AusländerInnen mehr gegeben.
Nach dem Ende der Apartheid 1994 hatte die ANC-Regierung immer wieder bewusst auf den Sport gesetzt, um eine gemeinsame Identität in der nach wie vor stark zerklüfteten Gesellschaft zu fördern. Angefangen mit dem Gewinn der Rugby-WM 1995 im eigenen Land über den Sieg als Gastgeber des Africa Cup 1996 bis zur WM 2010 – immer sollte auch das trennende Erbe der Apartheid überwunden werden.
Die Organisation des Africa Cup verläuft nun beinahe perfekt, ganz ohne Hilfe der Fifa. Auch der Viertelfinal zwischen Südafrika und Mali am Samstag in Durban. Das unglückliche Ausscheiden Südafrikas im Penaltyschiessen haben die Fans mit Fairness hingenommen. Wie schon bei der WM widerlegt Südafrika stereotype Vorstellungen über ein primitives, chaotisches und gewalttätiges Afrika. Und das ist ein nicht zu unterschätzender gesellschaftlicher Mehrwert.
WM 2014 : Brasilien setzt der Fifa Grenzen
Mit Brasilien richtet 2014 erneut ein Schwellenland eine Fussball-WM aus. Wie Südafrika ist das südamerikanische Riesenland durch wirtschaftliche Stärke, aber auch durch grosse soziale Ungleichheit geprägt. Zudem wiederholen sich Kritiken und Sorgen im Vorfeld der WM.
Solidar Suisse könnte beinahe die WM-2010-Kampagne wieder aus der Schublade ziehen: Auch jetzt kritisiert das Schweizerische Arbeiterhilfswerk, dass Arme vertrieben werden, dass die neuen Stadionbauten auf ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen beruhen und sich Fifa und die grossen Sponsoren weigern, ihre Gewinne im Gastland zu versteuern.
Brasilien will 14,5 Milliarden US-Dollar in Stadien, Flughäfen und weitere Transportsysteme investieren. Private Investoren halten sich zurück – sie haben offenbar ihre Lektion in Südafrika gelernt, wo sie sich nun mit unprofitablen Riesenstadien herumschlagen. In Brasilien tragen die Steuerzahlenden fast alle Kosten, während Fifa und Sponsoren den Grossteil der Gewinne einfahren werden.
Immerhin scheint Brasilien der Fifa gegenüber selbstbewusster aufzutreten als frühere Austragungsländer. Brasilias linke Regierung will nicht nur benachteiligten Bevölkerungsgruppen verbilligte Eintrittskarten abgeben, sondern den traditionellen StrassenhändlerInnen auch Zugang im Umfeld der Stadien gewähren. Die Fifa fordert hingegen wie üblich exklusive Verkaufsrechte für sich und ihre Partnerunternehmen. Brasilien weigert sich zudem, die Fifa zu entschädigen, falls eine Naturkatastrophe das Turnier beeinträchtigt. Dass die Beziehung zwischen Fifa und Brasilien angespannt ist, zeigte auch die (unübliche) öffentliche Schelte des Weltfussballverbands, wonach der Bau der Stadien kaum vorankomme und Budgets überschritten würden. spö