Medientagebuch: Annabelle und die Wölfe

Nr. 10 –

Lotta Suter über Quotenphobie in den Schweizer Medien

Es war einmal ein kleines, mutwilliges Mädchen namens Annabelle, das kam auf seinem Weg zur nächsten Beautyfarm am tiefen, dunklen Quotenwald vorbei. Kaum tat es ein paar Schritte in das Gehölz hinein, erschien auch schon der grosse, böse Wolf. Der aber war ein schlaues Tier und hatte jahraus, jahrein vom Gabenkörbchen des Mädchens profitiert. Deshalb frass er Annabelle nicht auf, sondern mahnte sie zähnefletschend, von nun an auf geradem Weg zur Studioküche, Modeschau oder Wellnessoase zu eilen.

Die Moral von der Geschicht: Frau betrete den Quotenwald nicht. Jedenfalls nicht, ohne auf heulende Wölfe gefasst zu sein. Denn die gibt es nicht nur im Märchen, sondern auch in der Medienwelt.

Wie die NZZ berichtete, verbot Tamedia-Verleger Pietro Supino der 75-jährigen Frauenzeitschrift «Annabelle» nach ihrer Frauenquotenkampagne im Oktober postwendend jedes weitere politische Engagement. «Politische Kampagnen gehören nicht zu den Aufgaben unserer Medien», so die Geschäftsleitung. Nun hat Lisa Feldmann, seit 2004 «Annabelle»-Chefredaktorin, gekündigt. Es ist zu hoffen, dass ihr Abgang – entgegen den neuesten offiziellen Stellungnahmen – mit dem Maulkorb zu tun hat. ChefredaktorInnen, die der Karriere wegen ihr politisches Licht unter den Scheffel stellen, gibt es schon mehr als genug.

Die Quotenphobie der Tamedia ist leider kein Einzelfall. Pietro Supino befindet sich in bester beziehungsweise schlechtester Gesellschaft. Da weiss der «Blick», neu unter weiblicher Leitung, zu berichten: «Frauenförderung bringt nichts.» Im «Blick»-Gespräch ärgert sich der ehemalige Männerbeauftragte Markus Theunert gewaltig über den «Schrei nach Frauenquoten». Er schimpft über die unheilige Allianz von Frauen mit Opferhaltung und gönnerhaften Männern. «Co-Feministen» nennt Theunert die Quotenbefürworter. Als wären Feminismus und Gleichstellung eine krankhafte Sucht.

Eine Steigerung dieser schon reichlich extremen Ansicht gelingt wie so oft dem Chefredaktor der «Weltwoche». Roger Köppel behauptet in einem Editorial zur «Annabelle»-Quotennummer schlicht und einfach, es stimme nicht, dass die Frauen in der Schweiz tiefere Löhne bekämen, nur weil sie Frauen seien. Und falls doch, sei auch hier «eine möglichst freie und offene Marktwirtschaft das beste Instrument, diese Ungerechtigkeiten zu beenden». Wie schlecht dagegen «staatliche Zwangsquoten» funktionieren, beweist Köppel ausgerechnet anhand der Privilegierung weisser Arbeitskräfte während der Apartheid in Südafrika. Dieser Vergleich von Frauenförderung mit Rassismus ist logisch ein Unding und politisch eine Beleidigung für alle Gleichstellungswilligen, die Männer wie die Frauen.

Die Idee, dass Geschlechterdiskriminierung von selbst verschwindet, weil sie nicht mehr rentiert, wurde in der Frauenquotennummer von «Annabelle» im letzten Oktober allerdings gründlich zerzaust. Und zwar von rund 200 Führungskräften aus Wirtschaft, Politik und Kultur, die darauf hinwiesen, dass die schweizerische Gesellschaft schon in der Vergangenheit – etwa 1971 bei der Einführung des Frauenstimmrechts – zu ihrem Glück gedrängt werden musste. Auch damals leistete die Frauenzeitschrift «Annabelle» übrigens einen wichtigen Beitrag zur Emanzipation der «neuen Frau». Und sie tat es den heulenden Wölfen zum Trotz.

Lotta Suter ist WOZ-Mitgründerin und WOZ-Autorin.