Medien: Ein neues Partyschiff und ein untergehendes Traditionsblatt

Nr. 5 –

Innovation versus Kahlschlag: Während AZ-Verleger Peter Wanner mit «Watson» ein Experiment wagt, setzt Tamedias Pietro Supino beim «Landboten» auf sein altes Rezept: Stellenabbau.

Zwei medienpolitische Ereignisse gaben letzte Woche zu reden. Das erste: eine Geburtsfeier. Das zweite: die Ankündigung einer Beerdigung.

An der Hardstrasse 235 in Zürich West herrscht offensichtlich gute Laune. Dort ist vergangenen Mittwochabend ein Partyschiff namens «Watson» in See gestochen. Unter der Führung von Ex-«20 Minuten Online»-Chef Hansi Voigt will eine 59-köpfige Belegschaft die Medienlandschaft aufmischen. Wie das aussieht? Wie eine Geburtstagsparty auf MDMA: prächtige Stimmung, wild, bunt, schrill und chaotisch. Alles in allem also überaus sympathisch und lustvoll. Viel mehr lässt sich über die Onlineplattform zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen. Ob die Festgemeinde irgendwann Geld verdient, ob sie neben animierten GIF-Grafiken (endlich!), grossen Bildern (schön) und grossen Titeln (na ja) auch aufklärerische und politisch relevante Geschichten veröffentlicht – das wird erst in ein paar Monaten zu beurteilen sein.

Erfreulich am Start von «Watson» aber ist, dass es «Watson» überhaupt gibt. Zwanzig Millionen Franken soll Peter Wanner in das Projekt gesteckt haben, an dem er persönlich und mit seiner AZ Medien AG zu 85 Prozent beteiligt ist. Ob das gut geht? Die Chancen stehen nicht schlecht: In einer Welt von Blinden ist der Einäugige König. «Watson» ist der Beweis, dass es noch VerlegerInnen gibt, die bereit sind, Neues zu wagen. Und was, bitte schön, soll Innovation denn sonst bedeuten?

Eine reine Männerangelegenheit

Am Garnmarkt in Winterthur hätte die Redaktion des «Landboten» vielleicht auch Innovatives zu sagen gehabt. Wenn sie gefragt worden wäre. Statt guter Laune herrscht dort jetzt Grabesstimmung.

Die Winterthurer Traditionszeitung war vergangenes Jahr Tamedia einverleibt worden, dem grössten Schweizer Medienkonzern. Am Mittwoch letzter Woche setzte der Verlag die langjährige Chefredaktorin Colette Gradwohl ab und unterstellte die Redaktion neu Benjamin Geiger, der bereits die Zürcher Regionalzeitungen leitet («Zürcher Unterländer» und «Zürichsee-Zeitung»). Zwei Tage später kündigte Tamedia eine «Neuorganisation von Redaktion und Verlag» an, was übersetzt so viel heisst wie Stellenabbau.

Der «Landbote» wird künftig Teil des Verbunds Zürcher Regionalzeitungen, in Winterthur werden fünfzehn Stellen gestrichen, zehn weitere fallen der Neuorganisation in Bülach und in Stäfa zum Opfer. Statt mit vier erscheint die Zeitung künftig mit zwei Bünden: einem ersten regionalen Teil und einem zweiten nationalen und internationalen Mantelteil. Inland- und Auslandteile werden komplett zusammengestrichen, die Nachrichten aus Bundesbern und der Welt sollen künftig von der «Berner Zeitung» geliefert werden. Was Tamedia im November 2013 noch als «Zusammenarbeit» kommunizierte, hat sich in den letzten Monaten zu einer vollständigen Übernahme der Inhalte entwickelt.

Beim «Landboten» sind die Direktiven aus Zürich schlecht angekommen: Der dreigeteilte Chef, der Verlust einer eigenständigen Berichterstattung über nationale Themen, keinerlei Mitsprache beim Umbau der Zeitung – so etwas war man sich in Winterthur nicht gewohnt. Entsprechend verunsichert und verärgert ist die Belegschaft.

Nach einer Versammlung verabschiedeten die achtzig MitarbeiterInnen letzte Woche ein Papier, in dem sie ihr «Befremden» ausdrückten. «Handstreichartig» sei die Chefredaktorin Colette Gradwohl ihres Amtes enthoben worden. Tamedia betreibe einen «Stellenabbau auf Vorrat», mit dem einzig der «Profit ihrer Eigentümer» vorangetrieben werde. Zudem befürchtet man auf der Redaktion eine andere Betriebskultur. Bislang habe man bei der Personalpolitik auf Mitbestimmung statt Diktat gesetzt und auf einen Ausgleich der Geschlechter. Die neue Führung des «Landboten» allerdings ist eine reine Männerangelegenheit.

Am schwersten aber wiegt, dass der neue Mantel von Bern aus bespielt werden soll. Mit Gradwohl zeichnete sich der «Landbote» in den letzten Jahren durch kompetenten, sorgfältigen Regionaljournalismus und eine lokale Perspektive auf nationale Themen aus. Diese Eigenständigkeit scheint nun gefährdet. Die Belegschaft erachtet es «als völlig verfehlt, dass nach 178 Jahren eine geschichtsträchtige und gewichtige Stimme im Schweizer Blätterwald ohne Not mundtot gemacht werden soll».

Rendite und Sparen

Innovation hier, Kahlschlag dort. AZ-Medien-Verleger Peter Wanner hat in den letzten Jahren eine mediale Gegenmacht aufgebaut: Er besitzt Printprodukte auf der Nordwest-Südost-Achse, die Fernsehsender Tele Züri, Tele M1 und Tele Bärn, 2014 soll TV24 auf Sendung gehen. Und nun lanciert er also das Onlineportal «Watson». Pietro Supino, Präsident des grössten und profitabelsten Medienkonzerns, scheint hingegen nur eine Grösse zu kennen – und ein Rezept: Rendite und Sparen.

In Winterthur spürt man bereits, was die neuen Besitzverhältnisse bedeuten. Als der Abgang Colette Gradwohls vermeldet wurde, setzte die Redaktion einen Titel, der Distanz markieren sollte: «Der neue Chef kommt vom See». Das liess dieser nicht durch. Er titelte stattdessen: «Auf Gradwohl folgt Geiger».