Verkauf: Süsssaures in der Kälte
Alleine im Laden, WC-Besuche praktisch unmöglich, Lohn unter zwanzig Franken pro Stunde: Die Arbeit bei der Süssigkeitenkette Lolipop ist kein Zuckerschlecken.
Sarah Weber (Name geändert) lächelt verlegen und sagt beinahe entschuldigend: «Dieser Job hat schon auch positive Seiten. Halt einfach nur wenige.» Weber arbeitet als Verkäuferin bei der Ladenkette Lolipop. Inmitten von Schleckstängeln, Zuckerschlangen und Gummibärchen. Um ihr Studium und das WG-Zimmer zu finanzieren, verkauft sie mehrere Tage in der Woche sechs bis sieben Stunden lang Süssigkeiten, putzt den Laden, füllt die Regale auf und bestellt neues Schleckzeug.
Für die Studentin ist diese Arbeit kein Zuckerschlecken: Sie steht für weniger als zwanzig Franken in der Stunde im Laden – meist alleine. «Oft kann ich nicht einmal auf das Klo. Dafür müsste ich die Kunden aus dem Laden schicken, die Tür schliessen und zum WC gehen», erzählt Weber. Im Winter ist es im Laden bisweilen unter zehn Grad kalt, da die Tür immer offen sein müsse: «‹Das gibt mehr Umsatz›, sagt die Chefin.» Pausen gibt es keine. Franziska Stier, Verantwortliche für den Detailhandel bei der Gewerkschaft Unia Nordwestschweiz, kritisiert diese Arbeitsbedingungen: «Wer länger als fünfeinhalb Stunden arbeitet, hat eine Pause von mindestens fünfzehn Minuten zugute.» Und weiter: «Bei Temperaturen unter fünfzehn Grad steht allen Beschäftigten nach jeweils 150 Minuten eine Pause von zehn Minuten zu.»
Und die Vorteile dieses Jobs? Die flexiblen Arbeitszeiten könne sie rund um das Studium gut einplanen, sagt Weber und fügt hinzu: «Ausserdem ist die Chefin nicht immer um mich herum – zum Glück!»
Sarah Weber ist eine von rund 150 Verkäuferinnen, die in 39 verschiedenen Lolipop-Filialen in der Schweiz und Deutschland arbeiten. Verkäufer gibt es keine. «Die Chefin» wolle nur Frauen einstellen, die zwischen zwanzig und dreissig Jahre alt sind, erzählen verschiedene Lolipop-Verkäuferinnen. «Die Chefin» heisst Alexandra Bisaz, gelernte Konditor-Confiseurin. Auf dem Beruf arbeitete sie nie. Ihr Traum war es, selbstständig zu sein. Nach mehreren Anläufen klappte es: Bisaz expandierte mit Lolipop schnell, gewann Preise als Jungunternehmerin und wurde in Talkshows eingeladen. Da erzählte sie von ihrer «Tellerwäscherkarriere», wie sie untendurch musste und es «mit Hartnäckigkeit» geschafft habe.
Basler Belegschaft drohte mit Streik
Im Herbst 2011 werden erstmals kritische Stimmen laut. Die Basler Belegschaft klagt über unwürdige Arbeitsbedingungen. Das Fernsehen wird erneut auf Alexandra Bisaz aufmerksam. Dieses Mal will sie aber nicht mehr vor die Kamera. Schriftlich richtet sie aus: «Das Unternehmen ist eine mitarbeiterfreundliche Firma, die alle Mitarbeitenden schätzt und sich stets bemüht, allen gerecht zu werden.» Ähnliches sagt Bisaz zur WOZ: «Ich gehe sogar mit Filialleiterinnen einen Kaffee trinken. Einfach so. Ich habe immer ein offenes Ohr für alle.»
Sarah Weber kann darüber nur lachen: «Nachdem die Baslerinnen mit Streik gedroht hatten, war sie eine Zeit lang freundlich. Doch schon bald war wieder alles beim Alten.» Bisaz hob damals die Löhne von achtzehn auf neunzehn Franken pro Stunde an und willigte in Sonntagszulagen ein. Doch mittlerweile werden neue Verkäuferinnen wieder zu den alten Konditionen eingestellt.
Als Sarah Weber dies bei einer Kollegin bemerkte, wollte sie etwas unternehmen: «Doch ich musste erkennen, dass ich dafür zu wenige Verkäuferinnen mobilisieren kann», erzählt sie. Einige würden die schlechten Bedingungen nicht kümmern, andere hätten Angst. Bisaz verstehe es, sie unter Druck zu setzen. «Der reinste Psychoterror!» Dies sei immer dann unerträglich, wenn die Umsätze nicht stimmen: «Dann ruft sie wütend an und erkundigt sich, ob ich dies oder jenes denn schon bestellt hätte, erzählt Weber. «Berge verkaufen Berge», sage Bisaz immer. Ein nettes Wort höre sie von ihrer Chefin höchst selten: «Wir werden nicht geschätzt. Es zählt nur der Umsatz.»
Probleme in mehreren Städten
Alexandra Bisaz bestätigt, dass sie «aus ernsten wirtschaftlichen Bedingungen den Lohn für neue Angestellte wieder etwas tiefer ansetzen» musste. Ab Juni wolle sie die Löhne schrittweise anheben. Von psychischem Druck will Bisaz nichts wissen: «Probleme mit Mitarbeiterinnen gibt es höchstens noch in Basel seit dieser Streikandrohung.» Solche Probleme löst Bisaz auf ihre Weise: Von rund einem Dutzend Verkäuferinnen, die damals an der Streikdrohung beteiligt waren, arbeiten lediglich noch zwei bei Lolipop. Den anderen wurde gekündigt, oder sie sind selbst gegangen.
Recherchen der WOZ zeigen: Lolipop-Verkäuferinnen aus verschiedenen Schweizer Städten äussern sich ähnlich wie Sarah Weber, die übrigens auch nicht in Basel arbeitet: «Eigentlich weiss ich nicht genau, warum ich noch hier arbeite. Wahrscheinlich bleibe ich nicht mehr lange.» Der Chefin Alexandra Bisaz dürfte das recht sein. Webers Nachfolgerin könnte sie dann auch wieder zu einem Stundenlohn von achtzehn Franken einstellen. «Das würde ich bestimmt nicht mehr mitmachen», sagt Weber. Das verlegene Lächeln ist aus ihrem Gesicht verschwunden.