Medientagebuch: Blaues Tuch der Pioniere

Nr. 22 –

Rudolf Walther über eine Kampagne gegen Angela Merkel

Bücher werden nicht nur verkauft, sondern zuweilen auch von einer schrillen Kampagne begleitet. Seit vorletzter Woche ist «Das erste Leben der Angela M.» – das Buch der beiden Springer-Journalisten Ralf Georg Reuth und Günter Lachmann – im Handel. Schon zuvor hat der deutsche Springer-Verlag das Publikum mit Interviews und Vorabdrucken bearbeitet: «Merkel, früher eine ehrgeizige Reformkommunistin?», fragte zum Beispiel «Die Welt».

In dem Buch ist zwar von «Reformkommunisten» die Rede, aber der «Reformkommunismus» selbst kommt nicht vor. Das passt, denn in der DDR gab es lange keine organisierte Opposition wie etwa die Solidarnosc in Polen oder die Charta 77 in der CSSR. Die DDR-Opposition formierte sich im Umkreis der Kirche, in Bürgerrechts-, Umwelt- und Friedensgruppen erst 1988. Nicht zuletzt mithilfe des Westfernsehens leiteten diese Gruppen die Wende ein, die ihnen dann schnell entglitt.

Tatsächlich ist «Reformkommunist» für Reuth/Lachmann ein Synonym für «sowjetisch orientierte Reformkräfte», und dazu zählen sie unter anderem die AktivistInnen im Demokratischen Aufbruch, der zunächst für den Wandel der DDR zu einem demokratischen Sozialismus eintrat – wie übrigens alle Ostparteien damals für die Zweistaatlichkeit optierten und nicht für den Einbau der DDR in die kapitalistische BRD («Wiedervereinigung»).

Die Autoren wollen nun nachweisen, dass Angela Merkel, geborene Kasner, in der DDR alles andere als eine Oppositionelle war: Im Gegensatz zum Beispiel zu Matthias Rau, ihrem Freund seit Sandkastenzeiten, arrangierte sie sich elastisch mit den DDR-Verhältnissen. Rau dagegen protestierte 1968 gegen die Zwangsrückführung tschechischer Urlauber aus Usedom. Weil ihm die Zulassung zum Studium danach verweigert wurde, ist er Krankenpfleger statt Arzt geworden. Nach diesem Strickmuster führen die Buchautoren die heutige Bundeskanzlerin als rückgratlose Opportunistin vor. Nur: Wurde jemals etwas anderes von ihr behauptet oder erwartet? Sie packte damals und sie packte später ihre Chancen: zuerst beim Aufstieg in die Wissenschaftselite der DDR, dann beim Abhalftern ihres politischen Mentors Helmut Kohl im Westen.

Gelegentlich nimmt das suggestive Verfahren der beiden Investigatoren groteske Züge an. So berichten sie, dass die fünfzehnjährige Angela ihrem Freund Matthias Rau zuhörte, wenn dieser auf der Gitarre Lieder von Wolf Biermann spielte, «aber dann zog sie doch wieder das blaue Halstuch der Pioniere oder die blaue Bluse der FDJ an». Interessanter als das aus Stasi-Prosa und Zeitzeugenvermutungen gezimmerte Merkel-Porträt selbst ist allerdings die Frage, warum die beiden Journalisten aus dem konservativen Springer-Verlag die CDU-Kanzlerin mit so viel Bissigkeit angehen. Notorisch ist der Satz von Springer-Chef Mathias Döpfner: «Wer mit uns hinauffährt, fährt mit uns auch wieder runter.» Derzeit titelt Springers «Bild» zwar noch mit Schlagzeilen wie «Jeder 2. Deutsche will Merkel-Fortsetzung», aber für den Fall, dass die Kanzlerin im Herbst bei den Wahlen verliert, richtet man sich auch schon ein. Am wohlsten fühlt sich der Boulevard bekanntlich stets mit der Mehrheit.

Die Behauptung, Angela Merkel habe dem SED-Staat nähergestanden, als bisher eingeräumt, hat eine gewisse Bedeutung in einem CDU-internen Clinch um «konservative Werte». Nach einer von ihr verlorenen Bundestagswahl würde das Thema wieder aktuell.

Rudolf Walther ist Journalist 
in Frankfurt am Main.