100 Wörter: Chamäleonschnecken

Nr. 29 –

In einem schönen Waldstück, das bisher von OrientierungsläuferInnen, Pilzsuchern und Mountainbikerinnen verschont geblieben war, gediehen vier seltene Schneckenarten, die ihr Perimeter nur einmal im Jahr verliessen, um sich auf der nächstgelegenen Wiese einen kurzen Urlaub zu gönnen und zu erfahren, was die WanderInnen diese Saison trugen. Diese Kenntnis versorgte die Schnecken mit der nötigen Heiterkeit, den langen Winter zu überstehen, in dem sie hauptsächlich so taten, als seien sie Tannzapfen. Darum hatte die Forschung sie bisher übersehen, was vor allem deshalb schade war, weil sie ein Sekret ausschieden, das nicht nur heilsam, sondern auch äusserst wohlschmeckend und leicht berauschend war.

Stephan Pörtner ist Krimiautor («Köbi der Held», «Stirb, schöner Engel») und lebt in Zürich. Soeben ist sein neuer Krimi «Mordgarten» erschienen, der in der Siedlung einer Wohnbaugenossenschaft spielt. Für die WOZ schreibt er Geschichten, die aus exakt 100 Wörtern bestehen. www.stpoertner.ch