Personenrätsel: Das rücksichtslose, grundgütige Weib

Nr. 37 –

«Ihre Gunst scheint Glück zu bringen», spöttelte Friedrich Engels, «ihre Liebhaber wurden alle bei den letzten Wahlen gewählt.» Das war 1891 auf dem Erfurter Parteitag. Da war die «freigebige Dame» (Engels) 34 Jahre alt. Treu war die 1857 in Schlesien geborene Schuhmacherstocher und Hutmacherin also nicht – jedenfalls nicht ihrem Mann, den sie jung geheiratet hatte. Sie ging – privat wie politisch – schon früh eigene Wege.

Bereits mit 24 Jahren trat die Wahlberlinerin der seinerzeit marxistischen SPD bei und gründete noch im selben Jahr mit anderen den «Frauen-Hilfsverein für Arbeiterinnen» – eine Art Frauengewerkschaft, die bessere Arbeitsbedingungen, mehr Fabrikinspektorinnen und Fortbildungsschulen für Mädchen verlangte. Der Verein wurde bald verboten, da er «nur aus Frauenspersonen bestand», wie es im Urteil hiess. In Preussen war bis 1908 «Frauenspersonen» jede politische Betätigung untersagt. Ähnlich erging es dem von ihr daraufhin mitbegründeten «Verein zur Vertretung der Interessen der Arbeiterinnen». Die Verhaftungen und Verurteilungen zu jeweils hohen Geldstrafen schreckten sie aber nicht. Sie baute eine Kranken- und Sterbekasse für Frauen auf, wurde Leiterin der Frauenagitationskommission und kämpfte an vier Fronten zugleich: gegen den Obrigkeitsstaat, gegen die Unternehmer, gegen die Rückständigkeit der proletarischen Männer – und gegen die bürgerliche Frauenbewegung, die die elende Lebenswirklichkeit der Arbeiterinnen auf ein Sittlichkeitsproblem reduzierte.

1889 konnte sie am Gründungskongress der Zweiten Internationalen in Paris durchsetzen, dass die Gewerkschaften auch Frauen aufnahmen, bald darauf wurde sie als erste Frau in die Generalkommission der deutschen Gewerkschaften gewählt. 1900 führte sie die Berliner Wäscherinnen und Plätterinnen in einen erfolgreichen Streik, neun Jahre später gründete sie den Centralverband der Hausangestellten.

Wie heisst die Herausgeberin der Zeitschrift «Die Arbeiterin» und «rücksichtslose Vertreterin der vollen Gleichberechtigung», wie Clara Zetkin über das «grundgütige Weib» schrieb, das 1911 nach schwerer Krankheit starb?

Wir fragten nach Emma Ihrer (1857–1911), die sich zeit ihres Lebens für Heim- und Fabrikarbeiterinnen und für die von der Herrschaft schikanierten schutzlosen Dienstbotinnen einsetzte. Viele der von ihr mitbegründeten Organisationen – darunter die Frauenagitationskommission und der Frauenbildungsverein – wurden von den preussischen Behörden verboten. Grund: «Agitation für das Wahlrecht der Frauen». Zu den vielen Ämtern von Emma Ihrer gehörte auch der Vorsitz (ab 1903) des Zentralverbands der Blumen-, Blätter-, Palmen- und PutzfederarbeiterInnen. Ab Mitte der 1890er Jahre war sie mit Carl Legien (1860–1920) liiert, dem ersten Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbunds. Beide wurden nebeneinander an der Ringmauer des Berliner Zentralfriedhofs Friedrichsfelde («Gedenkstätte der Sozialisten») bestattet. Auf Emma Ihrers Grabstein steht: «Zu wirken für andere war ihres Lebens ergiebigster Quell.»